26. Der Angriff

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Das Wasser des Ozeans war unglaublich blau. Das Licht brach sich tausendfach in den seichten Wellen, ließ meine Macht freudig aufsummen. Ich spürte, dass ich hier stärker war. Die Sonne schien den gesamten Tag lang mit ihrer vollen Macht hier zu scheinen. Ich hielt meinen Fuß in das warme Wasser und bewegte ihn, bis kleine Kreise entstanden.
,,Gefällt es dir hier?", fragte eine amüsierte Stimme hinter mir und ich lächelte leicht. Der junge High Lord trat neben mich und sah auf das Meer hinaus.
,,Es ist wunderschön", sagte ich ehrlich. Viele Fae waren in den Fluten, schwammen oder spielten. Sie alle wirkten überglücklich. Tarquin sah mich von der Seite aus an.
,,Worüber denkst du nach?" Er klang tatsächlich interessiert und ich drehte meinen Kopf zu ihm. Seine Haare waren zu einem unordentlichen Knoten auf seinem Kopf festgesteckt, seine Haut glänzte bronzefarben in der Sonne. Er sah nicht aus wie ein High Lord, eher wie ein Fae, der das Leben genoss.
Kurz zögerte ich. Das konnte ich ihm schlecht sagen. Also wich ich aus.
,,Ich denke über Bryaxis nach." Sofort verschwand die Sorglosigkeit aus Tarquins Miene. Stumm verfluchte ich mich, nicht an etwas anderes gedacht haben zu können.
,,Ist er tatsächlich so gefährlich?", fragte er mich mit leicht schwankender Stimme. Er musste dringend üben, seine Emotionen zu verstecken, wenn er seinen Hof gegen die anderen High Lords behaupten wollte. Aber irgendwie glaubte ich, dass das gar nicht sein Ziel war.
Es war wirklich erfrischend, jemanden frei heraus sprechen zu hören.
"Er ist nicht ungefährlich", antwortete ich ausweichen und Tarquin schnaubte belustigt.
"Wie elegant gelöst." Er richtete seinen Blick auf den Ozean und ich sah, wie ruhig er wurde.
"Ich bin froh, der High Lord des Sommerhofes zu sein", sagte er leise. Ich hatte mir nie vorstellen können, für Jahrtausende an einem Ort zu leben, immer nur das selbe zu sehen, Tag für Tag. Aber als ich neben Tarquin stand und ihn beobachtete, während er auf die Wellen starrte, da wusste ich, dass es manches gab, das man jeden Tag aufs Neue sehen konnte und nie davon genug hatte.
Plötzlich ertönte ein Horn.
Ich zuckte zusammen und Tarquin fuhr herum.
"Was ist das?", fragte ich alarmiert und bündelte meine Kräfte.
"Eindringlinge", erwiderte Tarquin rau und stellte sich vor mich.
"Geh ins Wasser!", befahl er schnell und ich gehorchte ohne Zögern. Die warmen Wellen umspielten meine Knöchel und ich ging leicht in die Hocke. Schatten zogen über dem Sandstrand auf und mein Atem stockte. Langsam schlichen sie über den gläsernen Palast, verdunkelten den blauen Himmel.
„Er ist hier", flüsterte ich und ballte meine Hände zu Fäusten. Tarquin versteifte sich, wich aber keinen Zentimeter zurück. Die Fae am Strand sahen verängstigt in den dunklen Himmel, ich spürte, wie die Panik auszubrechen drohte. Als die Schatten sich zu einer großen Wolke vor der Sonne sammelten und die Nacht über Adriata hereinbrach, schrieen die Fae auf. Das Chaos wurde größer, als sie alle aus dem Wasser flüchten wollten. Wasser spritzte umher, ich sah die vor Panik gelähmten Gesichter der Fae.
„Stopp!", rief Tarquin über all den Lärm hinweg und sie alle hielten inne.
„Bleibt alle im Wasser und rührt euch nicht von der Stelle!" Sein Befehl schnitt durch die Reihen der Fae und sie alle standen augenblicklich ruhig da. Ich hörte ihre schnellen Herzschläge. Sie waren keineswegs ruhig, aber sie vertrauten ihrem High Lord blind. Ich stellte mich näher zu ihm und kanalisierte meine Kraft. Mit einem Wink von mir strahlte die Sonne heller, einzelne Lichtstrahlen bahnten sich einen Weg durch die Schattenwand. Ich hatte keinen Zweifel mehr, dass es tatsächlich Bryaxis war. Die Schatten verdichteten sich, machten es mir zunehmend schwerer, für Licht zu sorgen. Sie legten sich wie eine Decke auf meine Strahlen, drückten sie nieder.
„Verdammt", fluchte ich. Tarquins Blick huschte kurz zu mir, vergewisserte sich, dass alles in Ordnung war. Ich nickte ihm zu, während Schweißperlen auf meine Stirn traten.
Bryaxis war stark. Sehr stark.
„Zeig dich!", rief Tarquin in die Schatten und ein dunkles Lachen ertönte.
„Kleiner High Lord, du kannst mir keine Befehle geben." Bryaxis klang tatsächlich amüsiert. Ich begann zu zittern. Er war sich sicher, dass wir ihm nicht gewachsen waren. Tarquin sah das ebenso. Und er zeigte ihm, dass er keineswegs so wehrlos war. Mit einem Fingerwink schleuderte er eine Welle direkt in die Dunkelheit. Das Wasser begann zu verdampfen, als es auf die schwarzen Schwaden traf, aber Bryaxis zischte schmerzerfüllt auf.
„Mach weiter", flüsterte ich und Tarquin nickte. Zeitgleich lenkte ich die Sonnenstrahlen auf die dunkle Wolke. Als Tarquin mehr Wasser auf das Monster lenkte, konzentrierte ich mich und lenkte all meine Macht auf die Welle in der Luft. Das Licht brach sich augenblicklich in den Fluten und verteilte sich großflächig auf den Schatten. Ein Jaulen ertönte aus der Dunkelheit und die Schwaden zogen sich Millimeter für Millimeter zurück.
„Es funktioniert!", rief ich. Die Fae hinter uns erwachten aus ihrer Schockstarre und begannen uns zu helfen. Sie bündelten ihre Kräfte, schickten uns Wellen aus klarem Wasser. Ich stellte mich nach vorn neben Tarquin, nahm seine Hand und ließ unsere Kräfte zusammenfließen. In einer kräftigen Welle aus Wasser und Licht brach Bryaxis zusammen. Die Schatten schienen zu implodieren, zogen sich augenblicklich in seinen Körper zurück.
Und da sah ich das Gesicht des Monsters.

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