,,Wir sind hier, weil Rhysand um dieses Treffen gebeten hat. Da ich nicht die geringste Ahnung habe, worum es sich handelt, gebe ich das Wort an ihn weiter." Der High Lord nahm Platz und nickte Rhysand zu. Wie eine Welle schlug die Macht des High Lords des Hofes der Nacht über mich ein, als er sich erhob. ,,Wir sind hier, weil ich etwas merkwürdiges gesehen habe." Tamlin schnaubte und ich biss mir auf die Lippe. So sehr er den Nachthof auch hasste, der Anstand musste gewahrt werden. Rhysand ignorierte ihn, aber Cassian sah meinen High Lord feixend an, als würde er nur auf eine Gelegenheit warten, um ihn anzugreifen. ,,Jedenfalls..." Rhysand fuhr fort und Ich hörte konzentriert zu. Was er erzählte war unglaubwürdig, weit hergeholt. Zumindest für die High Lords in der Runde, die keine Ahnung hatten, dass eine Weltenbeugerin unter ihnen weilte. Ich sah, wie Azriels Blick immer wieder zu mir zuckte, aber ich achtete nicht darauf. Das, was Rhysand erzählte, war zu wichtig. ,,Sie fiel direkt aus dem Himmel, ihre Geschwindigkeit glich der einer Sternschnuppe. Es war mir möglich, sie mit Hilfe meiner Macht zu bremsen, auf sie einzuwirken. Sie verschwand ebenso schnell, wie sie gekommen war, ein bloßer Wimpernschlag." Fieberhaft überlegte ich, aber mir war nichts bekannt, was so etwas bewirken könnte. Kein Gegenstand, kein Wesen in Prythian hatte so eine Macht. Zumindest keines, das in Prythian geboren wurde. Widerwillig musste ich Tamlin zustimmen. Die einzige Möglichkeit war eine zweite Weltenbeugerin in Prythian. Jemand wie ich. Die High Lords schwiegen, Blicke wurden im Bruchteil einer Sekunde ausgetauscht. Niemand schien die Geschichte zu glauben, hielt sie für übertrieben oder gar erfunden. Helion räusperte sich. ,,Rhysand, ich muss ehrlich sein. Hätte deine High Lady mir etwas ähnliches erzählt, ich hätte es auf die Schwangerschaftshormone geschoben. Aber bei dir? Du kamst mir nie verrückt vor." ,,Ich kann dir versichern, ich bin so klar im Kopf wie zuvor.", erwiderte Rhysand kühl. ,,Aber genau deshalb musst du doch wissen, wie absurd diese Geschichte klingt. Eine Frau, die aus dem Himmel fällt und dann wieder verschwindet?" Feyre erhob sich und stellte sich neben ihren Seelengefährten. ,,Mein Gefährte ist genauso wenig verrückt wie ich jungfräulich bin. Ich bitte euch, glaubt uns, wenn wir sagen, dass wir diese Frau gesehen haben. Es war keine Sternschnuppe, es war ein lebendes Wesen. Und sie stammte nichts aus Prythian." Beron lehnte sich nach vorn und fixierte das Paar. ,,Ich gebe keinesfalls zu, dass ich euch glaube. Aber wie sollte sie eurer Meinung nach hier her gelangt sein?" ,,Wüssten wir das wäre diese Versammlung wohl unnötig, nicht wahr?" Rhysand hielt Berons flammendem Blick mühelos stand. Tamlin lehnte sich in seinem Stuhl zurück, ein amüsiertes Lächeln lag auf seinen Lippen. ,,Wisst ihr, es ist durchaus interessant, euch dabei zuzusehen, wie ihr euch gegenseitig mit Blicken umbringt, aber mit der Zeit wird es doch ermüdend." Feyre sah ihn an und ich bewunderte sie für die Gleichgültigkeit, die sie wahrte. ,,Möchtest du uns etwas sagen?" Cassian mischte sich ein und rief durch den Saal zu Tamlin: ,,Oder wolltest du damit sagen, dass du gehen möchtest?" Tamlin zog eine Grimasse und neigte den Kopf. ,,Ich verbeuge mich ehrfürchtig vor der Subtilität des Nachthofes. Aber nein, ich genieße diese Gesellschaft viel zu sehr, als dass ich sie verlassen würde." Sichtbar enttäuscht lehnte Cassian sich wieder zurück. ,,Ich denke, ich habe eine Lösung für euer Problem." Rhysands Augenbrauen schossen in die Höhe, Tarquin fixierte Tamlin eingehend. ,,Was meint Ihr damit?" Ich atmete tief durch, genoss die Klarheit, die die warme Sommerluft mir schenkte und wartete auf mein Zeichen. ,,Was Rhysand erzählt hat, ist keinesfalls unmöglich. Es gibt Wesen, die unter uns weilen, Wesen, die Kräfte haben, die sich uns nicht erschließen. Und so ein Wesen kam vor genau 67 Jahren an meinen Hof, eine Ausgestoßene." Meine Augen brannten, Tränen der Wut bahnten sich ihren Weg nach draußen. Als Wesen bezeichnet zu werden, als Ausgestoßene... In diesem Moment hasste ich Tamlin für seine Worte, seine abschätzende Meinung über mich. Aber wenn ich dieses Treffen durchstanden, wenn ich es aushielt, nur dieses eine Treffen zu durchstehen und meine Identität preisgab, dann würde ich frei sein. Ich würde nie wieder den aufdringlichen Geruch der Rosen in der Nase haben, wenn ich aufwachte oder zu Bett ging, würde nicht mehr ausharren und ungesehen im Schatten wandeln. Ich würde mich selbst bestimmen können, Kleider in einer Farbe anziehen, die mir tatsächlich gefiel. Also straffte ich meine Schultern, stellte mich gerade hin und hörte auf Tamlins nächste Worte. Er verneigte sich spöttisch, deutete mit einer Hand zu den Schatten an der Säule und sah zu der Stelle, an der er mich vermutete. Schade, dass ich drei Meter weiter links stand. Azriel lachte kurz auf, versteckte es unter einem Husten. Er wusste, dass Tamlin nicht sah, wo genau ich stand. ,,Hiermit stelle ich euch Mareile vor, Weltenbeugerin und Mitglied meines Hofes." Ich griff nach dem Sonnenlicht, ließ die Wärme um meine Finger tanzen und vertrieb die Dunkelheit von meinem Platz. Die Lichtstrahlen umfingen mich, gaben den Blick auf das scheußliche Grün meines Kleides und das dunkle Schwarz meines Haares frei. Tamlins Mundwinkel zuckte bewundernd, als er mein Kleid betrachtete. Keiner der High Lords wirkte überrascht als sie mich sahen, einzig Tarquin keuchte erschrocken auf. Berons Blick glitt amüsiert zu ihm und ich runzelte die Stirn. Ich mochte es nicht, dass er sich über den jüngeren High Lord lustig machte. Stünde ich plötzlich in seinem Empfangssaal, säße er auch nicht so entspannt da. Rhysand schien mich zu erkennen, Feyre nickte mir freundlich zu. ,,Mir scheint, meine Wachen sind nicht ganz so effektiv, wie ich dachte.", sagte Tarquin trocken und fixierte mich mit seinen blauen Augen. ,,Wer ist das?", fragte Thesan interessiert. Ich spürte die Blicke aller High Lords auf mir, ihre Neugierde und ihr Misstrauen ließen mich zum Zentrum der Versammlung werden. Tamlin sah mich an, seine Augen hell und fordernd. Es machte mich nervös und wütend, wie er mich ansah. Ich hatte keinerlei Erfahrung mit High Lords, schon gar nicht mit allen auf einmal. Schnell suchte ich mir einen Punkt, auf den ich mich konzentrieren konnte, etwas, das mir Halt gab. Ich fand die dunklen Augen des Schattensängers, hielt seinen Blick fest und atmete durch. ,,Ich bin Mareile." Meine Stimme klang fest und selbstsicher, Stolz durchströmte mich. Keineswegs würde ich mich für das schämen, was ich war. Und ich würde ihnen alles erzählen. Alles, was ich wusste. ,,Ich komme nicht aus Prythian, nicht wirklich. Meine Heimat war eine Welt, die fern von eurer liegt. In ihr herrschte ich, meine Macht hatte kein Ende. In ihr war ich eine Weltenbeugerin." Die High Lords sahen mich an, aber ich achtete nicht auf sie. Einzig Azriels Blick hielt mich in dieser Welt, ließ mich konzentriert bleiben. ,,Ich erschuf Leben, gebot über Licht und Dunkelheit, war das oberste, das es gab. Meine Gabe ermöglichte es mir, zwischen verschiedenen Welten zu springen, aber es war immer eine gefährliche Angelegenheit. Nutze ich meine Macht nicht richtig, konnte ich zwischen den Räumen der Welten verloren gehen. Es war eine Gradwanderung. Und dann kam ich hier her. Ich hatte ein Tor erschaffen, das mich direkt in eure Welt führte. Aber es gab einen Fehler. Etwas hatte ich übersehen, falsch zusammen gesetzt. Als ich durch dieses Tor schritt, wurde ich nach Prythian geführt. Aber meine Macht schrumpfte, meine Fähigkeiten wurden beschnitten." Kurz brach ich ab, sammelte meine Gedanken und löste meinen Blick von Az. Ich sah in die Augen aller Anwesenden, sah den Unglaube, die Überraschung, das Misstrauen und den Spott. ,,Ich versuchte, mich zurückzufinden, versuchte mit all meiner verbliebenen Macht, ein weiteres Tor zu erschaffen." Erinnerungen stiegen in mir hoch, aus Untiefen, die ich lange verschlossen gehalten hatte. Bilder, wie ich weinend an einem Baum lehnte, Regen peitschte in mein Gesicht. Wie ich verzweifelt einen Weg aus der fremden Welt zurück suchte. Und Bilder, wie ich scheiterte. ,,Ich schaffte es nicht, ein neues Tor zu eröffnen. Also blieb ich hier, suchte Zuflucht am Frühlingshof und passte mich an. Das einzige, das mir von meiner Macht geblieben war, ist die Lichtkrümmung." Tarquin lenkte meinen Blick auf sich. ,,Was bedeutet Lichtkrümmung?" Ich demonstrierte es, nahm einen Lichtstrahl und ließ ihn über meinen Arm wandern, erstickte die schatten um mich herum und blendete Tarquin leicht. Er lächelte mich an und für einen Moment stockte mein Atem. Gefangen vom unendlich tiefen Blau seiner Augen gab es für mich eine Sekunde lang nichts außer dem High Lord. Rhysand räusperte sich und unterbrach unseren Blickkontakt. ,,Du hast also 67 Jahre lang hier gelebt und nur Tamlin wusste von deiner Gabe?" Ich nickte und Rhysand lehnte sich zurück, die Hand unter seinem Kinn und den Blick weiter prüfend auf mir. ,,Und deine Macht ist so weit zurückgegangen, dass es für dich nicht möglich wäre, jemanden aus einer anderen Welt hier her zu holen?" Ich wand mich Helion zu und versuchte, vor dem Verlangen in seinem Blick nicht zurückzuzucken. Aber es war verständlich. Er hortete in seinen Bibliotheken Unmengen an Wissen und ich war etwas Neues, eine exotische Absurdität. Etwas, dass seine Bibliotheken noch nie gesehen hatten. ,,Abgesehen davon, dass ich überhaupt keinen Grund hätte, irgendjemanden in diese Welt zu holen, glaube ich nicht, dass ich die Macht dazu hätte." ,,Das heißt, du wärst vielleicht dazu in der Lage, jemanden hier her zu bringen?" Helions Augen blitzten, er lehnte sich nach vorn. ,,Nein, das habt Ihr missverstanden...", stammelte ich und warf einen nervösen Blick zu Azriel, der sich alarmiert aufgesetzt hatte. ,,Zeigt es uns.", verlangte Helion begierig und ich zuckte zurück. Tamlin sah Helion mit gerunzelter Stirn an, schien der Idee aber angetan zu sein. ,,Wieso nicht?", stimmte auch Beron zu und sah mich auffordernd an. ,,Ich bin nur hier, weil vielleicht noch jemand hier leben könnte, der so etwas getan haben könnte...", versuchte ich mich herauszureden, aber Helion hörte meine Worte nicht. ,,Weshalb jemanden durch ganz Prythian suchen, wenn du hier bist und dazu in der Lage wärst, die Frau herzuholen? Dann können wir sie gleich selbst fragen, wie sie in unsere Welt gelangt ist." ,,Nein, ich bin vermutlich nicht dazu in der Lage, sie..." Helion unterbrach mich. ,,Dann testen wir es doch einfach aus." Mit aufgerissenen Augen blickte ich umher, in Gesichter, die begierig darauf waren, meine Fähigkeiten auszutesten. Rhysand sah mich an, die Augen unergründlich. ,,Ich denke nicht, dass Mareile uns etwas beweisen muss." Vor lauter Dankbarkeit wäre ich beinahe zusammengeklappt, aber Helion hörte nicht auf. ,,Lasst uns doch abstimmen. Wer findet, Mareile sollte uns ihre Fähigkeiten zeigen, hebt nun die Hand." Einen Augenblick lang stand die Zeit still, niemand wagte auch nur zu atmen. Helions Arm ragte bereits in die Höhe, Beron schloss sich ihm an. Nach ein paar Sekunden sah ich auch Thesans Arm in der Luft. Kallias schüttelte seinen Kopf und verschränkte seine Arme. ,,Ich muss das nicht sehen. Das Mädchen zittert ja schon fast." Es stimmte. Ich hatte Angst, wahnsinnige Angst davor, in den Raum zwischen den Welten zu geraten und nicht mehr herauszufinden. Dort verloren zu sein, im ewigen Nichts... Ich war oft in der Nacht aufgewacht, hatte gezittert und mir gesagt, ich hatte damit abgeschlossen. Ich war nicht mehr in meiner Welt, hatte meine Gabe nicht mehr. Ich war sicher vor der Gier und dem Verlangen, das mich in den Abgrund gestürzt hätte, wäre ich nicht in Prythian gelandet. Auch Tarquin bewegte seinen Arm nicht, blieb stumm auf seinem Stuhl. Alles schien an Tamlin zu hängen. Es war, als stünde die Zeit still. Tamlin fixierte mich, sah meine Angst und meine Panik, die allein schon der Gedanke, ich müsste wieder meine Macht anwenden, auslöste. Und doch zögerte er nur kurz. Als er seinen Arm hob, war es entschieden. Ich würde meine Macht demonstrieren müssen.
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Mareile
FanfictionHallo! Wenn ihr Das Reich der sieben Höfe auch so sehr mögt wie ich, dann seid ihr hier richtig. Ich werde ein Crossover zwischen Dem Reich der sieben Höfen und Throne of Glass schreiben. Lest meinen Fan Fiction, hasst sie, liebt sie, verliert euch...