9. Der Hof der Königin

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Ich wandelte im Schatten, ein Schemen, unsichtbar und still. Niemand sah mich, niemand nahm mich auch nur wahr. Niemand außer einem. Azriel war dicht hinter mir, mein Begleiter. Vielleicht auch mein Beschützer, aber ganz sicher mein Spion. Nun ja, nicht mein Spion, eher Rhysands. Ich wusste, dass er mir nicht vertraute, dass er mich misstrauisch beäugte, wann immer ich in seiner Nähe war. Aber das war ich gewohnt. Also ignorierte ich Azriel hinter mir, ließ ihn seinen Job machen und tat meinen. Zu allererst musste ich eine Sache klarstellen. Vorsichtig beugte ich das Licht und blendete den blonden High Lord vor mir. Blinzelnd wand er sich ab und fuhr zusammen. Ich war vor ihn geglitten, lautlos wie eine Assassinin. Tamlin stieß Luft aus und sah mich verärgert an. ,,Was willst du, Mareile?" Meine Augen waren kalt, als ich seinen Blick erwiderte. Der Geruch von Rosen stieg in meine Nase, aufdringlich und süß. Ich fragte mich, wie man so lange damit leben konnte. Mich begann er bereits zu ersticken. ,,Ich möchte, dass du deinen Teil der Abmachung einhältst. Entlass mich aus deinem Hof." Meine Stimme war fest, die, einer gleichberechtigten Partnerin, nicht die einer Magd. Tamlin verengte die Augen, sein Kiefer mahlte. Er musterte mich, schien alte Reserven für einen kleinen Kraftakt zu verbrauchen. Ich verstand. Er schätzte, wie viel Ärger ich ihm machen würde, wenn ich auf freiem Fuß war. Ob ich seinem Hof schaden konnte, wie Feyre es getan hatte. Mein Herzschlag beschleunigte sich, als sich meine erste wirkliche Chance auf Freiheit auf einen gefährlich schmalen Grad begab. Wenn Tamlin mir nicht gestattete, den Frühlingshof zu verlassen, wenn er mich dort behielt... Ich würde keine Magd mehr sein, sondern eine Gefangene. Ein Außenseiter, zu gefährlich, um frei zu sein. Trotzdem hielt ich mein Kinn aufrecht, versuchte, die selbstsichere Person zu sein, die ich heute nach Prythian gerissen habe, aus ihrer Heimat, und die doch die Aura einer Königin ausstrahlte, selbst wenn sie auf dem Boden lag. Ich wusste, dass ich nie so sein würde, aber es war mir egal. Ich konnte es zumindest versuchen. Denn niemals würde ich flehen. Niemals würde ich auf Knien um etwas bitten, niemals würde ich meinen Stolz opfern. Trotz dessen ging mein Atem unnatürlich flach, ich wusste, dass Tamlin die Angst an mir roch. Aber Tamlins Blick klärte sich, die Schärfe darin verschwand. ,,Ich halte, was ich verspreche. Geh, wohin auch immer du möchtest. Aber komm nicht an meinen Hof zurück. Ausgestoßene werden dort nicht gern gesehen." Seine Worte waren hart, aber wahr. Der Frühlingshof mochte zerstört sein, aber der Stolz der Verbliebenen hielt sich aufrecht. Verließ ich den Hof, würden sie mich hassen. Vermutlich hatte ich das von ihnen übernommen, diesen Stolz. Scharf stach der Gedanke an Diara in meinen Kopf, aber ich verdrängte ihn. Sie war die einzige, die ich wahrlich vermissen würde. Ich spürte Azriel hinter mir, seine ruhige Präsenz. Er hörte jedes Wort, das ich mit Tamlin wechselte, aber das war mir egal. Ich neigte den Kopf vor meinem High Lord, verbeugte mich ein letztes Mal. ,,Ich danke dir. Für alles, was du jemals für mich getan hast." Meine Worte waren ernst gemeint. Tamlin hatte mich gerettet, als ich vollkommen hilflos war. Hatte mir ein Leben ermöglicht. Und nun entließ er mich daraus. Seine Augen wurden sanfter, aber die Leere darin machte es fast unkenntlich. ,,Geh, Mareile. Schau dir an, was du in unsere Welt gebracht hast. Ich glaube, sie passen gut hier hinein." Es war der erste auch nur ansatzweise lustige Satz, den ich nach Amarantha von Tamlin gehört hatte. Das einzige Zeichen dafür, dass noch Leben in ihm war. Meine Mundwinkel verzogen sich zu einem leichten Lächeln. ,,Auf wiedersehen, High Lord." Ich bildete mir nicht ein, dass ich ihn nach diesem Treffen noch einmal sehen würde. Also schickte ich ihm einen letzten Wunsch, hoffte, dass er erhört werden würde. Ich hoffte, dass er glücklich wurde. Tamlin nickte, seine grünen Augen so leer wie immer, der Funke in ihnen erloschen. Trauer stieg in mir auf, als ich sah, wie verloren er durch die warmen Gänge des Sommerhofes strich. Allein, kein Gefolge bei sich. Er hatte niemanden mehr. Ich sah ihm nach, bis er hinter einer Ecke verschwand. Azriel trat aus den Schatten. ,,Er muss dir nicht leid tun.", murmelte die tiefe Stimme des Schattensängers in mein Ohr. ,,Doch", flüsterte ich leise. ,,Sonst wäre er ganz allein."

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