Die High Lords lehnten sich nach vorn, sie alle starrten mich an. Azriel fing meinen Blick auf und nickte kaum merklich. Ich konzentrierte mich auf das schöne Gesicht des Schattensängers, zog den Glauben an mich, den ich in seinen Augen sah, tief in mich auf. Ein letzter Atemzug, dann schloss ich meine Augen. Weit tauchte ich ab, tief in den Ursprung meiner Macht, die ich so lange vergraben und vergessen hatte. Doch sie war da, lauernd, wie ein Raubtier auf dem Sprung, Sie wartete auf mich, hieß mich willkommen und umfing mich. Ich spürte meine Stärke, meine Kraft. Die High Lords waren nichts dagegen. Sie alle hatten eine Begrenzung, die es ihnen verbot, mehr von ihrer Macht einzusetzen, als sie dürften. Ich nicht. Ich zog meine Macht aus der längst vergessenen Welt, die einst mein Reich war. Es versorgte mich stetig mit mehr, regenerierte sich selbst und sorgte so für ein nie endendes Quell der Macht. Ich sah, wie die Fäden meiner Macht sich enger um mich sponnen, wie sie sich verbanden und ein Netz aus Lichtfäden bildeten. Es beruhigte mich, dass sie noch da war. Dass sie all die Jahre tief in meinem Inneren vergraben auf mich gewartet hat. Denn auch wenn sie unberechenbar war, blieb sie doch ein Teil von mir. Ich öffnete meine Augen und sah mit klarem Blick zu Rhysand. ,,Zeig sie mir." Alle Höflichkeit war vergessen, eine Aura der Macht umgab mich, so stark, dass der High Lord meiner Aufforderung ohne zu zögern nachkam. Er sandte ein Bild in meinen Kopf. Eine junge Frau, lange, blonde, fast goldene Haare schwebten um sie herum, während sie direkt aus dem Himmel fiel. Ihre Augen waren blau, ein goldener Ring zog sich um die Pupille. Sie war schön, ihre Züge fein geschnitten. Ich nahm das Bild in mich auf, fühlte sie, versuchte zu ergründen, was sie ausmachte, wo sie herkam. Irgendeine Verbindung brauchte ich, um sie zu finden. Ich spürte ihre Macht, ähnlich der der High Lords. Sie schien stark zu sein und wichtig. Eine Person, die man nicht häufig fand. Irritiert zog ich meine Augenbrauen zusammen. Nirgendwo an ihr fand ich das Zeichen, das ein Weltenbeuger an ihr hinterlassen würde. Sie war rein, keine Magie dieser Welt wirkte auf sie ein. Aber etwas an ihr war magisch, durch etwas großes war sie durch die Welten gefallen. Oder sie wurde gestoßen. Ich versuchte, dieses magische an ihr zu fassen und festzuhalten. Um mich herum war alles still, ich glaubte sogar, die High Lords hätten aufgehört zu atmen. Ich konzentrierte mich, rief das Bild der Frau in meinem Kopf auf und ergriff sie. Ich spürte, dass sie schon lange nicht mehr der Magie ausgesetzt war, die sie durch die Welten gestürzt hatte, aber das hinderte mich nicht daran, sie zu fassen. Es war eine genaue Arbeit, ein Punkttreffen. Ich musste genau sie finden, die Frau unter vielen Wesen. Meine Stirn zog sich zusammen, meine Augenbrauen verengten sich. Ich spürte sie nicht genau, es waren zu viele Lebewesen bei ihr. Sie war nicht greifbar, zu weit entfernt. Ich brach den Kontakt ab und schüttelte den Kopf. Die High Lords sahen mich auffordernd an. ,,Ich kann sie nicht holen. Es sind zu viele bei ihr." Beron schnaubte verächtlich. ,,Ich denke viel mehr, dass es dir überhaupt nicht möglich ist, sie zu holen. Du hast deine Kräfte zu lange nicht genutzt und jetzt sind sie eingerostet oder ganz verschwunden." Helion lehnte sich vor, das gefährliche Glitzern in seinen Augen ließ mich zurückweichen. ,,Oder sie hatte von Anfang an keine Kräfte. Sie war allein, ausgestoßen und musste Tamlin etwas sagen, damit er ihr Zuflucht bot." Ein Klumpen eiskalter Wut bildete sich in meinem Bauch. Mein High Lord verdrehte seine grünen Augen. ,,Ich habe die Magie an ihr gespürt, du arroganter Verschwörungstheoretiker. Sie ist eine Weltenbeugerin." ,,Dann soll sie es beweisen." Helions schöne Augen sahen zu mir. ,,Hol sie her." Beinahe hätte ich aufgeschrien, so frustriert war ich von der Sturheit der High Lords. ,,Ich kann n sie nicht hier her holen. Ich wüsste nicht einmal, ob ich sie überhaupt wieder zurück schicken kann." Beron winkte ab. ,,Das tut nichts zur Sache. Sie wird schon einen Weg finden." Ein Räuspern drang aus der Ecke zu mir und ich sah, wie Tarquin sich erhob. ,,Ich denke, dass eine neue Abstimmung von Nöten ist. Mareile wollte ihre Gabe beweisen, aber es funktioniert nicht, da sie die Frau mit den goldenen Haare sonst womöglich verletzten würde." Feyre nickte zustimmend. Wieder hoben die High Lords den Arm, die für eine Demonstration meiner Macht waren. Kalte Angst formte sich in meiner Brust zu einem harten Klumpen und zwang mich fast in die Knie. Berons Arm war der erste, der oben war. Helion in seinem Wissenshunger verschwendete keinen Gedanken an die Konsequenzen und tat es Beron gleich. Thesans Arm blieb unten. ,,Ich möchte nicht, dass jemand unnötig verletzt wird." Tamlins Arm ragte in die Höhe, aber es blieben bloß drei von sieben. Beinahe hätte ich erleichtert aufgeatmet, aber gerade, als Tarquin die Abstimmung als erledigt ansehen wollte, hob Kallias seinen Arm. Viviane zog scharf Luft ein und bedachte ihren Seelengefährten mit einem Blick, der den High Lord in den Boden rammte. Trotzdem blieb der Lord des Winters bei seiner Entscheidung. ,,Wir müssen wissen, wozu sie im Stande ist. Ich würde meinen Hof niemals in Sicherheit wissen, wenn sie frei herumliefe, ohne dass jemand eine Ahnung hätte, wozu sie fähig ist." ,,Aber sie hat Angst davor! Es kann nicht ungefährlich sein.", hielt Vivianne dagegen, aber Kallias blieb mit einem entschuldigenden Blick zu ihr standhaft. Sie knurrte ihn wütend an und ihr Seelengefährte legte ihr eine Hand auf den Arm. Eine beruhigende Geste und ein Zeichen der Warnung, damit sie nicht vergaß, wo ihr Platz war. Bebend vor Ärger unterdrückte Vivianne einen erneuten Einwand und blieb stumm auf ihrem Platz. Ich atmete durch. Nach einer Sekunde der Entspannung lief meine Konzentration wieder auf Höchstleistung. Ich fasst erneut nach der Frau. Sie spürte mich, wehrte sich gegen meine Macht. Ich hörte sie schreien, fühlte, wie unzählige Menschen sie versuchten festzuhalten, wie sie sie zurückkehren wollten. Schweißperlen traten auf meine Stirn, als ich versuchte, sie zu trennen. Auch sie waren mächtig, allesamt. Und sie alle wandten ihre Magie gegen mich. Keuchend ging ich in die Knie, schnappte nach Luft. Kalte Hände legten sich an meine Schulter und gaben mir halt. Schwarze Schatten schirmten mich von den besorgt neugierigen Blicken der High Lords ab. Azriel raunte mir beruhigende Worte in mein Ohr und half mir, mich zu konzentrieren. Also hielt ich die Frau fest, ignorierte die vielen Fäden der Macht an ihr und riss sie mit einer Welle meiner Macht zu mir. Ich hatte sie viel zu lang nicht benutzt. Sie war eingerostet, längst nicht mehr so agil wie früher. Die Frau stieß sich zurück, ich zog wieder an ihr. Ein stetiges Hin und Her des Kräftemessens. Mein Herzschlag bebte, mit jedem Ruck spürte ich, dass er immer schneller wurde. Ich könnte aufhören. Ich könnte die Frau loslassen und einfach sagen, ich wäre zu schwach. Aber sie würden mir nicht glauben. Ich wäre nie wieder in Sicherheit, von den High Lords misstrauisch beäugt und verfolgt. Mein Leben hier wäre vorbei. Ich musste ihnen zeigen, wozu ich in der Lage war. Also sammelte ich mich, griff nach meiner Macht, die warm und weich in meine Finger glitt und zog mit aller Kraft an der goldhaarigen Frau. Mit einem verzweifelten Aufschrei riss ich sie zu mir, durch die Welten, die uns trennten. Mein Herzschlag setzte aus. Goldene Haare waren das letzte, das ich sah, bevor ich in bodenlose Schwärze fiel.

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Mareile
FanfictionHallo! Wenn ihr Das Reich der sieben Höfe auch so sehr mögt wie ich, dann seid ihr hier richtig. Ich werde ein Crossover zwischen Dem Reich der sieben Höfen und Throne of Glass schreiben. Lest meinen Fan Fiction, hasst sie, liebt sie, verliert euch...