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Ich brauchte nicht viel, bloß ein paar angemessene Kleider, die meinen Stand repräsentierten.
Nicht zu schön, nicht zu pompös. Schlichte grüne Kleider, die meine Taillie betonten und meine Zugehörigkeit zum Frühlingshof zeigten. Wie ich diese Farbe verabscheute. Das elegante Schwarz des Nachthofes oder das ruhige Blau des Sommerhofes schmeichelten mir weit mehr, als diese es tat. Ein Klopfen an der Tür riss mich aus meinen verräterischen Gedanken. Tamlin war nie schlecht zu mir gewesen, hatte mich gut behandelt. Ich durfte nicht so über ihn denken. Ich schuldete ihm viel dafür, dass er mich nie verraten hat. Also mäßigte ich meine Gedanken und atmete tief durch. Ich erahnte aus dem Augenwinkel Diaras braune Haare und drehte mich zu ihr.
,,Du gehst fort?", fragte sie leise und starrte mich aus ihren dunkeln Augen so durchdringend an, dass ich mich schon fast des Verrates bezichtigt fühlte.
,,Es ist eine Versammlung der High Lords. Tamlin erwünscht meine Anwesenheit." Verwundert zog Diara ihre Augenbraue nach oben. Sie wusste nichts von meiner Gabe, niemand außer Tamlin wusste davon. Nachdem ich in dieser Welt gelandet war, hatte ich mein altes Leben hinter mir gelassen, hatte versucht zu vergessen, was mir widerfahren war.
Und nun zwang mich mein High Lord, allen Oberhäuptern der Höfe meine Vergangenheit zu offenbaren. Sobald ich es getan hatte, war ich hier weg. Weg von diesem toten Hof.
,,Du gehst weg.", stellte Diara fest, als ich auf ihre unausgesprochene Frage nicht antwortete. Ich würde sie nicht als Freundin bezeichnen, aber da wir uns nun schon ein Zimmer teilten, seit ich am Frühlingshof war, was  56 mittlerweile  Jahre her war, betrachtete ich sie als eine Art Vertraute. Ich nickte. Diara drehte eine Strähne ihrer schwarzen Haare zwischen ihren Fingern und seufzte.
,,Wohin?"
,,Ich weiß es noch nicht. Wahrscheinlich an den Hof der Nacht.", antwortete ich mit einem Schulterzucken.
Diara schnaubte belustigt.
,,Eigentlich lebst du ja schon lange dort." Ich lächelte leicht.
Sie hatte Recht.
In den letzten fünf Jahren Jahren hatte ich immer wieder ein paar Tage dort verbracht. Ich war Feyre nach dem Krieg dorthin gefolgt, hatte mich bei Rhysand vorgestellt und ein Haus in der Stadt gemietet. Seitdem war ich dort immer häufiger zu Gast. Ich hatte schon früher Scherze darüber gemacht, einfach den Hof zu wechseln, es aber nie wirklich ernst gemeint. Die Angst, mein wahres Wesen offenzulegen, war stets größer als mein Wunsch nach Freiheit gewesen.
Aber jetzt...
Tamlin würde nicht mit sich reden lassen, er war fest entschlossen, der Welt meine Gabe zu enthüllen.
Und dafür verachtete ich ihn.
Seit Feyre ihn verlassen hatte, siechte Tamlin langsam vor sich hin. Und sein Hof starb mit ihm. Es war eine bloße Frage der Zeit, bis der Herbsthof hier einfiel und Territorium an sich riss. Ich wollte nicht mehr hier sein, wenn das passierte. Ich packte das widerwärtig grüne Kleid ein und richtete mich auf.
,,Du könntest mitkommen, weißt du?", fragte ich sie leise. Es wäre schön, sie in einer sicheren Umgebung zu wissen. Der Herbsthof richtete sich noch immer nach den Rängen und da Diara nach alten Maßstäben als niedere Fae galt würden sie nicht zimperlich mit ihr sein. Sie sah mich an und ihr Blick wurde warm.
,,Ich würde Velaris gern sehen. Aber du weißt, dass das nicht geht."
Ich nickte.
Natürlich wusste ich das.
Sie hatte Familie, ihre Mutter, ihre Geschwister...
Seit ihr Vater vor sieben Jahren unter dem Berg gestorben war, versuchten sie, so gut es ging, allein zu Recht zu kommen. Und Tamlin, dieser gefühlskalte High Lord, rührte keinen Finger um ihnen oder irgendjemand anderen zu helfen. Er ließ Familien verhungern, weil er stoisch alles abprallen ließ, was nichts mit Feyre zu tun hatte.
Einmal schlug sein Höfling ihm vor, zu heiraten um andere Höfe an uns zu binden. Der Kopf besagten Höflings steckte nun nach mittelalterlicher Manier an einem Spieß vor den Toren des Herrenhauses.
Ich erinnere mich, dass Rhysand einmal einen Kopf an den Brunnen gesteckt hat. Tamlin verteufelte und verfluchte ihn.
Was Feyre sagen würde, könnte sie ihn jetzt sehen?
,,Ich werde dich besuchen, Mareile.", versprach Diara mir und aus irendeinem Grund löste mein Herz sich bei diesem Satz. Als könnte ich nun wirklich fortgehen. Vielleicht war sie ja doch meine Freundin.

Die Nacht brach schneller herein, als ich erwartet hatte, als spürte sie, wie sehr es mich von diesem Ort fortzog. Je schneller der Morgen kam, desto besser. Meine Gedanken kreisten um die Versammlung. Ich kannte bloß Rhys und Tamlin, die anderen waren Fremde für mich.
Wie würden sie auf diese neue, von mir ausgehende, Bedrohung reagieren?
Würde Tamlin mich schützen?
Ich glaubte nicht daran.
Nicht, wenn er mich wie eine exotische Rarität auf der Versammlung präsentieren wollte. Ob ich auf den Hof der Nacht vertrauen konnte, war auch fragwürdig. Feyre kannte mich nur flüchtig, Rhysand wusste bloß meinen Namen.
Der einzige, auf den ich zählte, war Azriel, ruhig, wie ein Fels in der Brandung.
Mit ihm hatte ich die meiste Zeit verbracht und ich hoffte, dass ich ihm so ans Herz gewachsen war wie er mir.

Ich wachte vor Sonnenaufgang auf. Dienstbotenmacke.
Um Diara nicht zu wecken stieg ich auf Zehenspitzen aus dem Bett und nahm mein Gepäck, bloß ein kleiner Beutel mit meinen Kleidern. Ein komisches Gefühl der Trauer stieg in mir auf, als ich Diara betrachtete. Seit 56 Jahren teilten wir uns das kleine Zimmer.
Ich lächelte, alsich die Anfänge bedachte. Sie hatte mich angeknurrt und gefaucht, als Tamlin verordnete, dass sie ihr Zimmer mit mir teilen sollte. Ich hatte zwar nur noch einen Bruchteil meiner früheren Kraft, wollte es aber nicht einfach hinnehmen, dass sie mich so willkommen hieß. Schluss endlich schlossen wir mit gebrochener Nase und lauter blauen Flecken eine unsichere Waffenruhe.
Und jetzt würde ich sie vermissen, wenn ich den Frühlingshof verließ.
Ich seufzte, als ich leise auf dem Raum schlich. Ein wenig des Hofes würde mir ganz sicher fehlen.

Die frische Frühlingsluft blies mir sanft ins Gesicht, als Tamlin das Tor des Herrenhauses aufstieß.
,,Ich werde den Wind teilen", knurrte er und streckte seinen Arm aus.
Ich hielt meine Zweifel darüber, wie weit wir in Anbetracht seiner körperlichen Schwäche kommen würden, höflicherweise zurück. Mit festem Griff hielt ich mich an ihm fest und ließ mich durch den Raum katapulieren. Ein befremdliches Gefühl beschlich mich, als wir uns für kurze Zeit in diesem Zwischenraum befanden. Genau diese Gabe machte mich aus, das war ich. Und dass Tamlin mich mitnahm, als wäre ich schwach und wehrlos, machte mich wütend.
Als meine Füße wieder festen Boden berührten riss ich mich los und trat einen Schritt zurück. Tamlin sah mich irritiert an, befand meine Gefühle und Eigenheiten dann jedoch für unwichtig und wand seinen Blick desinteressiert nach vorn.
Wir befanden uns vor den Toren der Stadt Adriata.
Ich wusste nicht, ob Tamlin uns mit Absicht bloß bis hier bringen wollte, oder ob ihn einfach seine Kraft verlassen hat.
,,Komm!", befahl er und lief ohne ein weiteres Wort voraus. Ich schnaubte und folgte ihm.
Eine andere Wahl hatte ich ja nicht.

MareileWo Geschichten leben. Entdecke jetzt