10. Unsicherheit

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Ich hatte keine Ahnung, wie ich sie alle zurückbringen sollte. In meinem Kopf herrschte eine solche Leere, dass sich ein stechender Schmerz an meiner linken Schläfe eingenistet hatte. Ich strich ziellos durch die weiten Flure des Sommerhofes, fing erschöpft das Sonnenlicht ein und ließ mich davon stärken. Für einen kurzen Moment schloss ich meine Augen und lehnte mich der Sonne entgegen. Fensterglas gab es hier nicht, alles war offen und freundlich. ,,Passt auf, dass Ihr nicht hinunterfallt." Ich erschrak nicht, zuckte nicht zurück, als der High Lord des Sommerhofes an meine Seite trat. ,,Sonst gibt es für mich keine Möglichkeit, die Königin und ihren Hof zurückzuschicken." Die exotische Schönheit erschauderte. Unauffällig blickte ich ihn an. Seine weißen Haare waren zu einem Zopf zurückgebunden, ungeschmückt und ... normal. Es sah mehr wie ein praktischer Zopf als wie die kunstvoll zurechtgemachte Frisur eines High Lords, der auf Schritt und Tritt den scharfen Blicken anderer ausgesetzt ist. Als hätte er sich keine Gedanken darum gemacht, wie er auf andere wirkt. ,,Wollt Ihr mich bloß anstarren oder auch etwas sagen?" Ich lächelte leicht, als ich in seine amüsiert funkelnden Augen sah. ,,Eigentlich wollte ich schweigen. Den ganzen Tag lang. Aber wenn ein High Lord auf mich unbedeutende Person zukommt, werde ich mein Schweigegelübde brechen." Ich verneigte mich leicht. ,,Und was verlangt Ihr als Gegenleistung dafür, dass ihr euer heiliges Gelübde für mich brecht?" Tarquin grinste offen.  ,,Was seid Ihr denn bereit zu geben?", fragte ich lächelnd. Ich konnte nicht sagen, ob der High Lord es ernst meinte oder nicht. Das belustigte Funkeln war aus seinem Gesicht verschwunden und er sah mich vollkommen neutral an. Es verwirrte mich, nicht zu wissen, was jemand dachte. Bei den meisten konnte ich es einschätzen, nachdem wir die ersten Sätze gewechselt hatten. Aber bei Tarquin? Manchmal schien es ganz einfach zu sein. Ein junger high Lord, der für sein Volk kämpfte. Aber ich hatte nicht die leiseste Ahnung, wie weit er dafür gehen würde. Ob er wie Tamlin war, sich und seinen Hof für die Liebe zu Grunde richten würde, oder ob er neutral wie Thesan war. ,,Ich schätze, Ihr könnt als Weltenbeugerin alles von mir verlangen." Er hatte Angst. Ich spürte, wie sie an ihm hochstieg, sich in seinen Kopf schlich und ihn vergiftete. Ein schmerzhafter Stich brach aus meinem Herzen hervor und ich schluckte leicht. Diese Gefühl, vor jemandem zu stehen, der mich fürchtet, war zu lang her. Ich hatte vergessen, wie furchtbar es sich anfühlte. ,,Ich bitte Euch, seht mich nicht so an..", flehte ich leise mit brechender Stimme. Sofort wechselte sein Gesichtsausdruck, besorgt suchte er meinen Blick. Ich wich ihm aus, aber er fasste mein Kinn sanft mit seiner Hand und hob es nach oben. Leicht strich er über meine Wange und ich schlug die Augen nieder. ,,Ich habe keine Angst vor Euch." Seine tiefe Stimme strich über meine Haut, verursachte mir eine Gänsehaut. ,,Das Einzige, wovor ich mich fürchte, ist ein erneuter Krieg. Mein Volk hat schon zu viel gelitten." ich blinzelte zu ihm hoch, bemerkte jetzt erst, wie viel größer er war. Sein Blick fing meinen ein, seine Augen, so türkis wie der Ozean, doch so viel sanfter. Ich vergaß, wie man atmete. Einen Moment lang hielt er mich fest, seine Fingerspitzen verharrten auf meiner Wange. Sanft zog sein Daumen kreise und ich erschauderte. ,,Bitte, denkt nie wieder, ich würde mich vor Euch fürchten...", flüsterte er rau und ich nickte. ,,Damit kränkt Ihr mich in meiner Ehre als High Lord." Schief grinste er. In seiner warmen Art sicherer geworden, erwiderte ich es. ,,Zu Eurer Beruhigung, Ich glaube kaum, dass die Königin gegen Euch kämpfen wird. Sie möchte bloß wieder nach Hause." ,,Und könnt Ihr ihr diesen Wunsch erfüllen?", fragte Tarquin. Ich zögerte. Es war ein leichtes gewesen, wieder in meine Macht abzutauchen, mich von ihr einnebeln zu lassen. Das Problem war nur, dass ich nicht wusste, ob ich noch geübt genug war, um die Königin zurückzuschicken. Meine Macht hatte einen eigene Willen. Wenn sie etwas nicht wollte, musste ich kämpfen, um mich durchsetzten. Als ich in meiner Welt lebte, war es wie ein Spiel gewesen, lustig, da ich wusste, dass ich immer gewann. Aber nach so vielen Jahren... es war eine Gratwanderung und ich hatte das Gefühl, dass die Chancen nicht gleich verteilt waren. ,,Mareile?" Tarquin sah mich an, seine Stirn gerunzelt. ,,Ihr seid verschwommen." Damit war ich wieder in der Realität. Meine Arme flimmerten im Licht, das ich unwillkürlich um mich herum geleitet habe. Fasziniert strich Tarquin mit der Hand über meinen Arm. ,,Ich habe noch nie jemandem mit Eurer Gabe gesehen..." Nicht verwunderlich, wenn man bedachte, dass ich eigentlich gar nicht aus der Welt der Fae kam. Schritte ertönten hinter uns und Tarquin wand sich um, seine Hand im Bruchteil einer Sekunde ordentlich hinter seinem Körper gefaltet. So etwas wie Enttäuschung stieg in mir auf, aber ich unterdrückte es. Hier war nicht der Platz für Gefühle solcher Art. Aelin, Königin von Terrasen, kam mit ihrem Gefährten auf uns zu. ,,Mareile!" Freudig lächelte sie und schritt ohne zu zögern zu mir. Den High Lord an meiner Seite ignorierte sie gekonnt. Ihr weißhaariger Begleiter dagegen warf Tarquin einen Blick zu, der den Tod verhieß, sollte er seiner Königin etwas antun. ,,Es wundert mich, dass wir erst eure Schritte gehört haben, kein Knurren oder etwas anderes, das verblüffende Ähnlichkeit mit einem Kampf hat.", sagte ich grinsend. Die Königin machte es mir leicht, mich wohlzufühlen. ,,Manon und Dorian sind im Zimmer geblieben, die anderen bewachen sie. Wahrscheinlich ist es deshalb so erstaunlich ruhig. Wir wollten einen guten dritten Eindruck machen, weißt du?" Manon und Dorian. Die Hexe und der König, wenn ich mich richtig erinnerte. Tarquin grinste und ließ Rowans Gesicht etwas auftauen, als er erkannt, dass der High Lord seine Gefährtin nicht umbringen wollte. Aelin ergriff das Wort und wand sich erneut an mich. ,,Wir haben dich gesucht. Es ist zwar sehr schön hier, aber für meinen Geschmack doch etwas zu warm... Wann kannst du uns zurückbringen? Ich bekomme hier sonst bald einen Hitzschlag." Die Königin sah sich mit gerunzelter Stirn um. ,,Und diese ganze feuchte Luft tut meiner Haut auch nicht gut. Bald ist sie nicht mehr so makellos wie früher." Mit lebensecht gespielter Panik drehte sie sich zu Rowan. ,,Würdest du mich trotzdem noch lieben?" Ernst sah er sie an, ließ seinen Blick prüfend über sie gleiten und schüttelte dann bedauernd den Kopf. ,,Wenn deine Haut nicht mehr so makellos wie früher ist, dann muss ich dich verlassen. Dich aus deinem Königreich vertreiben und zu Rolfe stecken." ,,Hah! Wenn du das tust, bekommst du mich schneller zurück, als du Seedrache sagen kannst." Stumm verfolgten Tarquin und ich den Schlagabtausch mit einem Lächeln im Gesicht. Die Liebe im Blick der beiden strafte jedes ihrer Worte Lügen. Ich räusperte mich. ,,Also wolltet ihr fragen, wann ihr zurückkönnt?" Die Königin nickte. Kurz blieb ich still, zögerte. Ich konnte es versuchen, konnte das Risiko eingehen. Und wenn ich es nicht schaffte, konnte ich immer noch abbrechen. Mein Blick huschte für den Bruchteil einer Sekunde zu Tarquin. Er sah mich ruhig an, gab mir die Sicherheit, die ich brauchte, um mich zu entscheiden. Ich straffte die Schultern und nickte Aelin zu. ,,Wir treffen uns alle in einer Stunde im Thronsaal."

MareileWo Geschichten leben. Entdecke jetzt