11. Yrene und Hasar

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Aelins wachsame Augen verfolgten jeden meiner Atemzüge. Ich stand in der Mitte des Thronsaals, allein und vollkommen auf mich gestellt. Ich spürte die Blicke aller auf mir. Rhysand und Azriel, Tarquin und Varian, Aelin und ihr Hofstaat. Feyre und Cassian waren schon früher zurückgekehrt, weil ihr High Lord nicht zulassen wollte, dass seine Hochschwangere Seelengefährtin am Sommerhof blieb. Feyre hatte bloß die Augen verdreht, als er das gesagt hatte, aber der Sorge in seinem Blick nachgegeben. Rhysand und Azriel waren hiergeblieben, um Tarquin zu unterstützen. Sie waren die einzigen, die das taten. Alle anderen High Lords waren an ihre eigenen Höfe zurückgekehrt, hatten die vermeintliche Gefahr für ihre Gebiete an Tarquins Hofgelassen, ohne Unterstützung. Zwar hatte Kallias dem jungen High Lord des Sommerhofes versprochen, sofort Hilfe zu schicken, war dann aber auch zu den seinen gegangen. Aber so, wie es aussah, brauchte Tarquin keine Unterstützung. Ich konzentrierte mich wieder auf Aelin, nahm ihren Geruch auf, tauchte in die Schatten ihrer Welt. Ich nahm ihre Hand und führte sie. Nach ein paar Schritten musste ich anhalten. Es war alles verschwommen, ich sah keinen klaren Faden, der mich zu ihrer Welt bringen konnte. Schweiß trat mir auf die Stirn, als ich versuchte, das Chaos zu entwirren. Ich hatte keine Ahnung, weshalb die Fäden der Macht so verwoben waren, wieso sie nicht klar und deutlich nach mir riefen. Vielleicht war meine Gabe doch zu lange nicht genutzt worden, vielleicht war ich nicht mehr in der Lage, sie zurückzubringen. Ob es sein konnte, dass ich den Rest meiner Gabe dazu verschwendet hatte, Aelin und ihren Hof hier her zu bringen? Tief in mir wusste ich, dass es nicht stimmte. Es waren die Zweifel, die mich davon abhielten, den richtigen Faden zu wählen. Also griff ich blind nach einem und stürzte in die bodenlose Tiefe meiner Macht. Ich wusste nicht, ob es mein Schrei war, der von den Wänden widerhallte, aber ich spürte, wie feine Hände nach mir griffen. Ich keuchte auf, als sie meine Schultern packten und mich zu sich holten, immer weiter in die neue Welt hinein. Mit all meiner Kraft stemmte ich mich dagegen, ließ Aelins Hand los und griff nach den feinen Fingern, die doch stark genug waren, mich außer Gefecht zu setzten. Knurrend wolle ich sie vertreiben, aber sie waren zu schnell, als dass ich sie hätte halten können. Panik stieg in mir auf, als ich sah, dass ich unterliegen würde. Sie würden mich umbringen, in meine Macht reißen und nie wieder auftauchen lassen. Ich ruderte zurück, riss mich von den Händen los und stolperte zurück. Weg aus meiner Macht, in die Realität... und wurde unter zwei Frauenkörpern begraben. Brauen Locken hingen in meinem Gesicht, als ich erschrocken zurück robbte. Undeutlich sah ich Tarquin auf mich zukommen, er nahm meine Schultern und zwang mich, ihn anzusehen. ,,Beruhige dich...", flüsterte er. Ich starrte in seine Augen, nahm die Stärke darin auf und atmete tief durch. Am Rand spürte ich den wachsamen Blick des Schattensängers auf mir, fühlte, wie scharf er Tarquin beobachtete. Aber Tarquin ignorierte sowohl ihn, als auch den überraschten Blick von Rhysand. Er sah nur mich an, hielt mich so lange fest, bis ich mich wieder erheben konnte. Und auch als ich wieder stand behielt er seine warme Hand in meinem Rücken, eine Stütze vor all den Augen, die mich jetzt ansahen. Die zwei Frauen, die ich versehentlich mitgerissen hatte, saßen verwirrt auf dem Boden. Aelin kniete vor ihnen und grinste. ,,Hallo. Ich dachte nicht, dass ich euch zwei sobald wiedersehe. Habt ihr mich vermisst?" Die hübsche Frau mit den blonden Locken funkelte sie an. ,,Ich habe versucht, dich und die anderen zurückzubringen! Hasar hat mir geholfen, hat mir ihre Magie geliehen. Und dann sitz du hier und lachst? Wir dachten, ihr leidet Todesqualen... Wir dachten, dass... Dass Maeve einen Weg zurückgefunden hat." Das Grinsen erlosch aus dem Gesicht der Königin. Ihr Gefährte trat auf sie zu und strich mit einer Hand beruhigend über ihren Rücken. Einen Moment lang wagte niemand, etwas zu sagen. Dann ergriff die Königin das Wort. ,,Nein, Yrene, Maeve ist nicht hier. Es tut mir leid, dass ihr so in Sorge um uns ward." Ihre Stimme war schneidend, kalt. Aber diese Kälte richtete sich nicht gegen Yrene. Rhysand räusperte sich und unterbrach den eisigen Blickkontakt zwischen Aelin und ihrem unsichtbaren Feind. ,,Ich schätze, Mareile wird eine Weile brauchen, bis sie alle Besucher wieder zurück bringen kann, nicht wahr?" Ich nickte. ,,Ich brauche Übung. Es ist zu lange her, seit ich meine Macht benutzt habe." Schuldbewusst zog ich die Schultern nach oben. ,,Und ich denke, an den Frühlingshof kannst du nicht zurück?" ,,Nein, das kann ich nicht.", murmelte ich leise und Rhysand nickte. ,,Dann bist du am Hof der Nacht herzlich willkommen." Mein Blick zuckte zu Tarquin, der aber unverwandt auf den High Lord starrte. Also sah ich wieder zu Rhysand und nickte. ,,Ich danke Euch." Es waren ehrliche Worte.
,,Und wir?", fragte die goldhaarige Königin. Tarquin zögerte zu antworten. ,,Unsere Stadt ist groß.", meinte Rhysand und neigte den Kopf. Ich verstand, weshalb er sie bei sich haben wollte. Er war schon allein der mächtigste der High Lords, aber zusammen mit Feyre und den Illyrianern... und ich wäre ebenfalls als Unterstützung da. So ging er sicher, dass die Fremden niemanden gefährden konnten und entlastete den jüngsten der High Lords. Tarquin wusste das und sah ihn verstehend an. ,,In Ordnung. Wir gehen mit euch.", entschied die Königin, ehe einer ihrer Gefährten etwas sagen konnte. Yrene jedoch trat vor und runzelte die Stirn. ,,Aelin, ich kann nicht hier bleiben. Mein Kind und mein Mann sind in einer anderen Welt!" die Königin nahm ihre Hände und zwang sie, sie anzusehen. ,,Das weiß ich. Mein Königreich ist sowohl ohne seine Königin, seinen König, als auch ohne den Befehlshaber der Armee." ,,Genau wie das meine.", sagte Dorian von seiner Position in der Ecke. ,,Ihr habt gut reden...", murmelte Manon. ,,Die Hexen werden eine neue Königin krönen, ehe ihr geblinzelt habt." Fenrys zog eine Augenbraue nach oben. ,,Und wessen Schuld ist das?" Träge lächelte Manon und fuhr ihre Krallen aus. ,,Wiederhol das doch bitte noch einmal..." Rowan fuhr ungeduldig dazwischen. ,,Niemand wiederholt hier irgendwas. Wir gehen jetzt alle mit dem Mann mit den violetten Augen mit und lassen das Mädchen üben, sodass wir wieder zurück kommen." ,,Mann mit violetten Augen?" ,,Mädchen?", fragten Rhysand und ich gleichzeitig. Rowan verdrehte nur die Augen. ,,Nun gut.", meinte Rhysans leicht amüsiert. ,,Wir werden den Wind teilen und euch nach Velaris bringen. Kannst du den Wind teilen?", fragte er an mich gewandt und ich nickte.
Kurze Zeit später waren die Königin udn ihr Hofstaat auf Rhysand, Azriel und mich aufgeteilt.
Das letzte, das ich sah, bevor ich mit Fenrys, Aedion und Lysandra den Wind teilte, waren Tarquins türkisfarbene Augen, die ernst auf mir lagen.

MareileWo Geschichten leben. Entdecke jetzt