25. Bücher

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Ich war so froh, als wir endlich in Adriata ankamen und aus der Kutsche aussteigen konnten. Die Luft roch angenehm nach Meer, ließ mich frei durchatmen. Die Pferde neben uns schnaubten, als die Wachen sie abrupt anhielten. Tarquin ritt zwischen ihnen hindurch und saß neben der Kutsche ab.
,,Ich werde euch zu euren Zimmern führen", sagte er freundlich, aber ich spürte seine Vorsicht. Bei aller Höflichkeit war er allzeit darauf bedacht, sich und sein Volk zu schützen. Er kannte keinen von uns und bot uns doch Unterschlupf in seinem Hof. Also nickte ich und trat als erste aus der Kutsche. Tarquins Augen funkelten, als er mir einen Arm anbot und mich aus der Kutsche geleitete. Ich trug nur eine leichte dunkelblaue Tunika, sie ließ meine Arme frei, sodass die Finger des jungen High Lord direkt auf meiner Haut lagen. Ich hielt meinen Atem an, als er sanft über meinen Arm strich, ehe er mich losließ. Ein leichtes Grinsen lag auf seinem Gesicht. Ich spürte, wie alle uns beobachteten. Der High Lord brauchte eine Frau, er wurde von allen Seiten mit scharfen Augen analysiert. Nun war ich das Zentrum der Aufmerksamkeit. Ich achtete darauf, nicht über den sandigen Boden zu stolpern, als ich behutsam einen Fuß vor den anderen setzte und in den Palast vorausging.
Tarquin hatte mich gleich eingeholt.
,,So schnell unterwegs?", fragte er noch immer lächelnd.
,,Ich habe genug davon, in einer Kutsche sitzen zu müssen", sagte ich schmunzelnd. ,,Meine Beine schreien nach Bewegung."
,,Ich würde dir ja eine Führung durch den Palast anbieten, aber beim letzten Mal wurde mir ein überaus wichtiges Buch gestohlen", sagte er und verzog das Gesicht zu einer Grimasse. Ich schüttelte lachend den Kopf. Tarquin führte uns eine weiße Marmortreppe hinauf bis zu einem weiten Flur. Überall an den Wänden waren große Fenster, die die warmen Sonnenstrahlen herein ließen. Ich erkannte den Palast kaum wieder. Alles sah so anders aus als bei der Versammlung der High Lords. Ich konnte mich nicht einmal erinnern, bereits in diesem Flügel gewesen zu sein.
,,Wo sind wir hier?", fragte ich Tarquin leise. Er sah mich nicht an, als er antwortete.
,,Ich bringe euch neben meinen Gemächern unter. Sollte Bryaxis auftauchen, dann kann ich euch schneller helfen."
Ich schwieg, unschlüssig, was ich darüber denken sollte.
,,Ihr vertraut uns nicht", stellte ich schließlich fest und der High Lord sah mich ernst an.
,,Kannst du es mir verübeln?"
Ich schüttelte meinen Kopf. Es war unglaublich nett, dass er uns bei sich aufnahm. Er konnte tun und lassen, was er wollte. Ich ließ meinen Blick umherwandern, während wir liefen. Es war wirklich wunderschön. Filigrane Verzierungen an den Wänden zogen sich über die gesamten Flure, umschlossen die Türen. Erst, als ich sie genauer betrachtete, merkte ich, dass sie Geschichten waren. Es war viel zu fein gearbeitet, als das ich es aus dem Gehen heraus hätte sehen können. Meine Macht fuhr langsam darüber, ließ die Sonne um sie tanzen. Da erst konnte ich erkennen, was sie zeigten. Ich zuckte zusammen. Wilde Kämpfe, Stürme, Verwüstung, Tod. Unglaublich grausame Szenen von enthaupteten Männern, weinenden Kindern und vergewaltigten Frauen. Ein großer Kontrast in mitten der friedlichen Schönheit des Sommerhofes.
,,Was sind das für Geschichten?" fragte ich den High Lord etwas verstört und er sah mich verwundert von der Seite an.
,,Du hast sie bemerkt?" Ich spürte seinen Blick auf mir, wie er mich ansah, direkt ansah, mein Gesicht tatsächlich sah. Es war nicht unangenehm.
,,Wie gefallen dir die Geschichten?", fragte er mich, statt auf meine Frage zu antworten.
,,Sie... sind sehr gut gearbeitet", sagte ich ausweichend und er lachte auf.
,,Ich mag sie auch nicht. Meine Vorfahren ließen sie anfertigen, um den nachfolgenden High Lord daran zu erinnern, dass wir allzeit bereit für den Tod sein müssen."
Ich schüttelte mich. ,,Wie umsichtig", sagte ich trocken.
,,Wenn man nicht zu genau hinsieht, kann man sie gut ignorieren", meinte der High Lord mit einem leichten Lächeln. Trotzdem liefen mich die Bilder nicht ganz los. Zeigten mir, worauf wir uns nun vorbereiten mussten. Was Bryaxis und allen antun konnte.

Es beunruhigte mich, dass ich keine Aufzeichnungen über das Monster gab. Der Himmel war bereits dunkel, die Sterne spiegelten sich auf dem glatten Ozean. Meine einzige Lichtquelle war eine kleine Kerze, die nur spärlich dafür sorgte, dass ich die Buchstaben erkennen konnte. Ich zischte auf, als das Wachs auf meine Hand tropfte. Tarquin hatte uns bereits Bücher auf die Zimmer bringen lassen, die er persönlich herausgesucht hatte. Trotzdem fand ich nichts auch nur ansatzweise auf Bryaxis passendes. Es schien tatsächlich so, als existierte er nicht. Als wäre er eine Sagengestalt. Frustriert machte ich meinem Ärger Luft, indem ich das Buch zuschlug und auf die weiche Matratze warf. Niemand hatte etwas gefunden. Wir traten dem Monster beinahe schutzlos gegenüber und es gab nichts, das wir dagegen tun konnten. Ich und meine Gabe waren vollkommen nutzlos, eher eine Gefahr als eine Hilfe. Ich fuhr durch meine Haare und atmete tief ein. Die breite Fensterfront ließ mich auf den Ozean blicken. Die stetigen Wellen beruhigten mich, strichen sanft über meinen Geist. Ich war noch nie zur See gefahren, aber ich liebte den Geruch und den salzigen Geschmack des Meeres auf meinen Lippen. Niemand hatte mich je gelehrt, wie man schwamm, aber das war etwas, wogegen man etwas tun konnte. Ich hasste es, wenn ich die Kontrolle über die Situation verlor. Und so hilflos wie jetzt war ich lange nicht gewesen.
Irgendetwas mussten wir finden. Irgendeinen Hinweis darauf, was Bryaxis war. Also zündete ich mir eine neue Kerze an, setzte mich auf das Bett und las weiter.

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