Begleitung

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Ich stehe im Regen vor der Haustür von Nate

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Ich stehe im Regen vor der Haustür von Nate. Die Stimme von dem Mädchen ist mir unbekannt. In meinem Kopf ist ein Hurrikane.

Einerseits kann ich verstehen, dass er nicht will, dass ich mit ihm gesehen werde... immerhin habe ich grade noch mit ihm rumgemacht und er scheint sich alles andere als sicher zu sein, was seine sexuelle Orientierung angeht. Außerdem hat er eine Freundin. Oder hatte. Das weiß ich. Vielleicht, sehr vielleicht sogar, war das grade sie.

Wieso hast du dich auf sowas eingelassen?

Um ehrlich zu sein war mir im Moment des 1. Kusses nicht mehr bewusst, dass er eine Freundin hat. Und die restliche Zeit war ich mit anderen Gedanken beschäftigt. Vielleicht wusste ich es noch irgendwo in meinem Unterbewusstsein, aber hätte er mir gesagt, dass er in einer Beziehung ist, wäre ich nicht mit zu ihm gekommen. Oder? Trotzdem fühle ich mich schuldig.

Ich fühle mich schuldig, weil ich jemanden geküsst habe, der in einer Beziehung ist. Ich fühle mich benutzt, weil ich von einer Person geküsst wurde, die nicht an mir interessiert zu sein scheint. Ich fühle mich dumm, weil ich das alles verdrängt habe und darauf reingefallen bin. Und dann wurde ich weggeschickt. Wie eine Prostituierte. Nur ohne das Geld. Ich lache auf.

Mir fällt auf, dass ich immer noch vor Nates Tür stehe. Ich will gerade gehen, als ich einen Knall höre. Ich schaue durch eines der großen Fenster. Ein Mädchen kommt die Treppe runter. Sie hat lange, glatte dunkelblonde Haare. Sie ist geschminkt. Ihr Outfit ist elegant und knapp. Alles in allem würde ich sie als hübsch beschreiben. Sie geht in die Küche. Kurze Zeit später kommt sie wieder heraus. In der Hand hält sie etwas.

Fuck.

Ich krame hektisch in meiner Jackentasche, kann aber mein Handy nicht finden.

Das was sie gerade in ihrer Hand hält ist dein Handy. Wieso hast du dein Handy in der Küche liegen gelassen.

Mit dem Smartphone in der Hand geht das Mädchen wieder die Treppe hoch. Sie verschwindet aus meinem Sichtfeld. Es ist Zeit für mich zu gehen. Ohne mein Handy muss ich laufen. Mein Geld und meine Fahrkarte sind in meiner Handyhülle. Ich seufze. Das wird ein langer Spaziergang. Also los, damit ich wenigstens ein wenig Schlaf bekomme.

Kurz überlege ich zurück zur Party zu laufen um Kia zu finden und sie zu fragen ob sie mir Geld für ein Busticket leiht. Aber was soll ich ihr sagen? Immerhin denkt sie ich wäre schon zuhause gewesen. Ich entscheide mich, vernünftig wie ich bin, dagegen.

Ich habe erst vor zwei Minuten Nates Grundstück verlassen, als mich ein Mädchen einholt und mich anspricht. Ich erschrecke mich tierisch: "Entschuldigung, ich wollte fragen, ob du mich zum Bus begleiten kannst. Ich bin alleine unterwegs und angetrunken und..." Sie beendet den Satz nicht.

Ich schaue sie an. Es ist das Mädchen aus Nates Haus. Ich atme aus, fange mich, lächle sie gezwungen an und nicke: "Klar."

Ich schaue sie erneut an. Ihr Make-Up ist verwischt. Ich schlucke. Ich bin schuld daran, dass es ihr nicht gut geht. Ich bin schuld an ihrem Gefühlschaos und ich weiß es. Im Gegensatz zu ihr.

"Wie heißt du?", fragt sie.

"Mika.", sage ich. "Du?"

"Jasmin.", sagt sie. Ich fühle mich unwohl und weiß nicht was ich sagen soll.

"Welchen Bus musst du nehmen?", fragt sie.

"Ich laufe.", antworte ich.

"Wohnst du hier in der Nähe?", fragt sie.

"Ich hab meine Fahrkarte und mein Geld vergessen.", antworte ich. Jasmin sagt eine Weile nichts. Dann: "Ich kann dir eine kaufen." Ich schlucke. Mit jeder Minute die vergeht fühle ich mich schlechter.

"Das ist sehr nett von dir, aber ich würde mich schlecht fühlen Geld von dir anzunehmen.", sage ich.

"Du begleitest mich. Ich revanchiere mich nur.", sie lächelt mich an.

"Danke.", sage ich. Dann füge ich hinzu: "Beschissener Abend, was?"

Sie schnaubt und nickt: "Hätte nicht schlimmer laufen können." Dann wischt sie sich eine Träne weg. "Ich habe mich mit meinem Freund gestritten.", fügt sie traurig hinzu.

"Oh.", sage ich.

"Er verheimlicht mir irgendwas. Aber ich weiß nicht was. Ich glaube nicht, dass er mir fremdgeht oder so, aber irgendwas verheimlicht er mir."

"Oh.", sage ich und muss schlucken.

"Was ist bei dir passiert?", fragt sie und wirft mir einen Blick von der Seite zu.

Ich zucke mit den Schultern: "Eigentlich nichts so schlechtes. Aber Partys sind einfach nicht so mein Ding, wenn du verstehst was ich meine."

Sie nickt: "Ich mag Partys eigentlich, wenn ich mich nicht grade mit meinem Freund streite und er mich rauswirft, wenn ich versuche den Streit zu schlichten."

"Klingt nicht nach einem guten Freund." Ich bereue direkt etwas gesagt zu haben. Shit, das ist mir rausgerutscht.

Sie schnaubt: "Das ist das erste Mal, dass sowas passiert ist. Die anderen Streits sind immer harmlos gewesen und wir haben immer drüber geredet und jedes Mal konnten wir es klären. Eigentlich ist er ein guter Typ.", sie seufzt. "Naja. Wird sich bestimmt wieder klären."

"Hoffentlich.", sage ich.

Wir kommen an der Bushaltestelle an. Zufälligerweise müssen wir den gleichen Bus nehmen. Jasmin muss nur ein paar Stationen früher aussteigen. Unser Bus kommt in fünf Minuten.

"Hast du eine Freundin?", fragt sie mich. Ich schüttle den Kopf.

"Oder einen Freund?", fügt sie hinzu. Ich schüttle erneut den Kopf.

"Bist du straight?", fragt sie dann.

Ich schüttle den Kopf.

"Bi?"

Ich zucke die Schultern. Dann: "Ich glaube schon."

Okey. WTF? Hast du dich grade geoutet? Vor der Freundin von dem Typen mit dem du noch vor 15 Minuten rumgemacht hast? HA. Du hast echt ein Rad ab.

Ich weiß. Es ist komisch. Aber es fühlt sich richtig an ihr wenigstens in diesem Bezug die Wahrheit zu sagen.

Der Bus kommt. Sie kauft ein Ticket für mich. Ich bedanke mich. Dann setzen wir uns nebeneinander hin. Jetzt wo wir sitzen wird mir kalt. Meine Sachen sind etwas nass und ich beginne ein wenig zu zittern.

"Mir ist auch kalt.", sagt sie, nachdem sie mich eine Zeitlang schweigend angeschaut hat. Ich nicke. Dann reden wir nicht mehr. Sie, wahrscheinlich in ihren Gedanken versunken, ich, überlegend, was in ihrem Kopf grade vor sich gehen mag, und dass ich daran Schuld bin. Ich habe Schuldgefühle. Am liebsten würde ich es ihr sagen, aber ich kann nicht. Erstens nicht, weil ich Nates Leben ruinieren würde und zweitens, weil sie denkt bei mir in gewisser Weise Sicherheit gefunden zu haben.

Dann steigt sie aus und ich bin erleichtert. Ich wundere mich, wieso ich nicht weine. Wahrscheinlich, weil in meinem Kopf grade so viele Sachen gleichzeitig passieren, dass mein Gehirn überfordert. Da passt Traurigkeit und Weinen einfach nicht mehr hinein.

Dann steige ich aus. Es regnet immer noch, was mich aber nicht weiter stört. Wenigstens fühle ich jetzt etwas: Kalte, nasse Regentropfen auf meiner Haut. Sonst ist da nichts. Kalte, nasse Regentropfen auf meinem Gesicht. Mein Kopf ist leer. Kalte, nasse Regentropfen in meinem Herzen. Wie Stacheln. Kalte, nasse Tropfen wie Stacheln, doch ich bin wie betäubt. Ich merke nichts. Nichts ist in meinem Kopf. Nichts ist in meinem Herzen. Nichts. Ich höre auf zu existieren. Zumindest für einen kurzen Augenblick.

Und ich wünsche das würde anhalten.


Diese verregneten TageWo Geschichten leben. Entdecke jetzt