Fassungslos starre ich Nate an. Ich versuche in seinem Gesicht zu lesen, versuche Anzeichen zu finden, dass er mich verarscht. Aber ich finde nichts. Er schaut mich fragend an. Ich bemerke, dass mein Mund offen steht und schließe ihn schnell.
"Oh.", sage ich erneut.
Nate atmet zittrig aus. Er bewegt sich nicht von der Stelle, steht wie erstarrt und schaut mich aus ein paar Metern Entfernung abwartend an. Ich lache nervös ein paar mal. Lasse es dann aber schnell wieder sein.
Sag nein. Sag, dass du ihn nie wieder sehen willst.
Wieso?
Weil er dein Leben zu sehr auf den Kopf gestellt hat. Willst du, dass das erneut passiert? Und es würde erneut passieren, wenn du jetzt ja sagst. Sei vernünftig. Sage nein.
Nate wirkt aufrichtig. Seine dunklen Augen ruhen weiter auf mir. Ich betrachte ihn. Seine Stirn, die winzige Falten wirft. Seine starken Augenbrauen, die seinem Gesicht so viel Ausdruck verleihen. Seine Nase, mit dem leichten Schwung, die ohne den Septum seltsam unecht und leer wirkt. Seine, von unscheinbaren Sommersprossen gesprenkelten Wangen und die starken Wangenknochen. Seine Lippen, die gerade einen Spalt weit offen stehen und deren weiche Berührung ich gerne erneut spüren möchte. Und seine Augen. Seine tiefdunklen Augen, die mich an das stürmische Meer und Sommergewitter erinnern. Seine Augen die mich gefangen nehmen und in denen ich Stück für Stück immer tiefer versinke. Seine Augen die mir neue Welten offenbaren und die mir das seltsam fremde Gefühl geben zuhause zu sein. Seine Augen, die er in diesem Moment alleine mir zu schenken scheint.
Und plötzlich fühle ich wieder alles auf ein Mal. Die Wut, die Enttäuschung, den Hass, die Angst, die Trauer. Aber auch die Stärke, die Freude, das Glück, die Geborgenheit, das Richtige an dieser Sache. Und irgendwie weiß ich es. Aber ich kann nicht. Es wäre egoistisch mein fragiles Ich auf ihn loszulassen.
"Nate?", frage ich leise.
"Ja?", fragt er zurück.
"Ich...", ich kann es nicht aussprechen. "Ich...", setze ich erneut an. Was will ich ihm überhaupt sagen? Dass ich krank bin? Dass er das selber gar nicht wollen kann? Dass er lieber Abstand zu mir wahren sollte zu seinem eigene Wohl? Dass ich zu kaputt für sowas bin? Dass ich zu viel Scheiße erlebt habe? Dass ich ihn sonst mit in meinen Abgrund reißen würde?
Scheiße.
Und dann fällt es mir auf. Wenn das funktionieren soll, muss ich ihm alles sagen. Ich kann ihn nicht belügen. Wenn das hier wirklich funktionieren soll, dann muss ich mich öffnen, dann muss ich ihm alle Seiten von mir zeigen und das kann ich nicht.
"Mika?", fragt er und tritt auf mich zu. Ich bleibe stehen. Dann steht er plötzlich unmittelbar vor mir. Und dann mache ich etwas, was ich eigentlich nicht hätte tun sollen. Weil ich damit alles, was ich grade beschlossen habe wegschmeiße. Ich umarme ihn. Nate erstarrt kurz. Dann erwidert er die Umarmung. Und es ist nicht nur eine ganz normale Umarmung. Also eigentlich ist sie es, aber sie sagt so viel mehr. Für mich ist es wie eine kleine Explosion in mir drinnen und ich weiß, dass die falsche Seite den Krieg in mir drinnen gewonnen hat. Ich umklammere seine Hüfte und presse mein Gesicht gegen seine Schulter.
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Diese verregneten Tage
RomantikMika ist 17 Jahre alt und erwartet von seinem Leben nicht besonders viel. Aufgrund von Geld- und anderen zahlreichen Problemen wechselt er erneut die Schule, doch Hoffnung auf Besserung hat er nicht. Wieso auch? Entgegen seiner Erwartung ändert sich...