Hass

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 Am nächsten Morgen wache ich ungewohnt früh auf

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 Am nächsten Morgen wache ich ungewohnt früh auf. Und das ohne erkennbaren Grund. Vielleicht von den leichten Schmerzen in meinem Kopf und in meinem Arm. Vielleicht auch einfach durch die ungewohnte Umgebung und die harte Matratze, oder durch das helle Sonnenlicht, dass seine Strahlen direkt in mein Gesicht wirft.

Ich verspüre Hunger und den Drang auf Toilette zu gehen. Ich überlege kurz einfach zu gehen aber ich erinnere mich an die Worte meiner Pfleger, dass ich immer die Klingel betätigen soll. Aber das ist mir unangenehm.

Mach doch einfach. So schlimm kann es nicht sein. Und außerdem haben sie es dir angeboten. Und...wäre es dir angenehmer dir in die Hose zu machen?

Ich betätige die Klingel. Kurze Zeit später kommt die Krankenschwester von gestern, deren Namen ich vergessen habe.

„Was ist los?", fragt sie mit ihrer unangenehm hohen Stimme.

„Ich muss auf Klo.", sage ich. Ich habe mich bereits aufgerichtet und sitze mit hängenden Beinen auf dem Krankenhausbett.

Nachdem ich auf Klo war und festgestellt habe, dass mein Spiegelbild immer noch nicht wirklich besser aussieht als gestern und ich mir in der Krankenhauscafeteria etwas zu essen geholt habe bin ich zurück in mein Zimmer gebracht worden.

Stella, ihr Name ist mir wieder eingefallen, teilt mir mit, dass in einer halben Stunde der Arzt kommen würde, um Untersuchungen durchzuführen und über die nächsten Schritte mit mir zu sprechen.

Die nächste halbe Stunde sitze ich auf der harten Matratze und mache nichts. Also ich mache nichts außer mir Gedanken was der Arzt mit mir anstellen und wie sehr er mir wehtun könnte.

Ich hasse Ärzte und alles was mit ihnen zu tun hat. Ich hasse Krankenhäuser. Ich hasse es Angst zu haben. Aber ich habe Angst vor dem Arzt und ihrer Macht. Ich weiß auch, dass alles was Ärzte tun dafür ist, dass es mir im Endeffekt besser geht, aber kurzfristig betrachtet stecken dann halt Schläuche und Spritzen in meinem Arm. Kurzfristig betrachtet habe ich größere Schmerzen.

An sich sind Ärzte sehr gute Menschen. Sie haben ihr Leben darauf ausgerichtet das Leben anderer Menschen zu erhalten.

Und dann, eine halbe Stunde später betritt ein junger Arzt das Zimmer. Er hat braune Haare, die er in einem kleinen Pferdeschwanz zusammengebunden hat. Er trägt, wie sollte es auch anders sein, einen Arztkittel, an dem ein Namensschild mit der Aufschrift "Doktor L. Walsh". Sein Gesicht ist kantig, er hat keinen Bart und seine dichten Augenbrauen lassen sein Gesicht etwas düster wirken.

"Guten Morgen Mika.", begrüßt er mich. Seine Stimme ist angenehm und wäre er nicht Arzt würde ich ihn mögen.

"Guten Morgen.", sage ich.

"Wie geht es dir?", fragt er.

Ich zucke die Schultern. "Okey. Nehme ich an.", sage ich dann.

Er nickt verständnisvoll. "Ich möchte, dass du mir beschreibst, was genau passiert ist. Wenn es für dich okey ist."

Ich nicke. "Ich kann es versuchen." Und dann erzähle ich ihm alles. Von dem Film, und dass ich Horrorfilme hasse. Von dem Gefühl alles stärker wahr zu nehmen und davon, dass ich meinen Körper nicht mehr bewegen konnte. Ich erzähle ihm von meiner Angst und von dem Gefühl als würde ich sterben.

Doktor L. Walsh hört mir aufmerksam zu und macht sich Notizen auf einem Klemmbrett. Mir fällt auf wie oldschool das ist. Wieso schreibt er nicht an einem Computer?"

"Ist an dem Tag noch irgendwas passiert, abgesehen davon, dass du dir einen Horrorfilm angeschaut hast? Also irgendetwas, was extremere Gefühle bei dir ausgelöst hat?"

Ich schüttle den Kopf. Dann fällt mir ein, dass es vielleicht sinnvoll wäre, auch das zu erzählen.

"Also doch. Da war was, also ich habe mit einer Person geredet, also mit der ich in gewissen Maßen zerstritten war. Ich meine bin. Und deshalb war ich, also ich war etwas durcheinander und verwirrt.", sage ich und überlege, ob ich schon mal jemanden so oft hintereinander 'also' sagen gehört habe.

Eher nicht.

Der Arzt nickt nachdem ich fertig mit erzählen bin und schreibt etwas auf das Klemmbrett.

"Das was dir passiert ist, ist eine Art von Panikattacke gewesen. Du hattest Glück, dass du nicht ungünstiger Gefallen bist, und dass du relativ früh gefunden wurdest." Ich schlucke. Der Arzt redet weiter: "Es gibt medikamentöse Behandlungen, die ich dir anbieten könnte, aber das ist keine der Lösungen die ich präferieren würde."

Ich nicke.

"Dann gibt es noch eine andere Sache über die ich mit dir Sprechen möchte."

Ich schlucke.

Doktor L. Walsh schluckt auch, bevor er anfängt zu reden: "Ich bin mir dessen bewusst, dass das eine Sache ist, über die du wahrscheinlich eher ungerne sprechen möchtest, weshalb ich dich bitte mir erst ein mal zuzuhören und nichts zu sagen. Es sei denn ich liege falsch."

Ich glaube zu wissen, was jetzt kommt und wünsche mir, dass ich falsch liege. Ich nicke zögernd.

"Mika, bei deiner Notbehandlung sind mir an mehreren Körperstellen Narben aufgefallen. Vor allem auf der Innenseite deiner Oberschenkel und deinen Oberarmen. Brand- und Schnittnarben. Ich gehe davon aus, dass du sie dir selbst zugefügt hast. Wenn ich falsch liege würde ich dich bitten mich aufzuklären."

Ich schaue zu Boden und schweige. Ich habe den Drang ihm zu sagen, dass er sich irrt, aber mir fällt nichts ein, was ich als Ausrede benutzen könnte. Die Narben sind zu akkurat und grade, als dass sie ein Unfall hätten sein können. Außerdem sind die Stellen, an den sie sich befinden auffällig. Immerhin sind es alles Stellen, die niemand so einfach zu sehen bekommt. Gut versteckt. So war es von vornherein geplant, damit sie niemand jemals sehen würde. Wer konnte denn auch ahnen, dass ich ins Krankenhaus muss, um notbehandelt zu werden.

"Ich möchte, dass du darüber nachdenkst in therapeutische Behandlung zu gehen. Nur probeweise. Und wenn es nicht hilft können wir es auch wieder absetzten." Dann schweigt er und schaut mich lange still an. Ich spüre, wie sein Blick schwer auf mir lastet während ich den Boden anstarre.

Zur Therapie zu müssen war schon immer eine Sache, die ich niemals in meinem Leben machen wollte. Ich mag keine Menschen. Und ich möchte niemandem erzählen wie es mir geht. Wieso auch sollte ich einer komplett fremden Person vertrauen? Ich schlucke. Dann schaue ich Doktor L. Walsh an. Ich mache meinen Mund auf, aber die Worte die ich mir zurechtgelegt hatte sind weg. Ich merke wie sich in meinen Augen Tränen bilden. Ich schüttle den Kopf.

"Mika, ich weiß, dass es nicht einfach für dich ist darüber zu sprechen. Aber ich möchte nicht, dass dein ganzes Leben auf ein Medikament aufgebaut ist. Mit Medikamenten kann das alles langfristig nicht besser werden. Und ich bin der Meinung, dass ein Therapeut das kann."

Ich schüttle weiterhin den Kopf. Ich merke wie sich Tränen den Weg aus meinen Augen bahnen. Schnell wische ich sie mir weg. Ich möchte jetzt alleine sein und weinen. Ich möchte, dass Walsh geht und mich in Ruhe lässt. Endlich aufhört zu reden. Aber das tut er nicht. Seine beschissen beruhigende Stimme redet weiter und ich höre nicht mehr zu. Ich sitze mit baumelden Füßen auf meinem Bett und weine geräuschlos und ohne Tränen. Ich sitze da und denke nicht mehr. Ich überlege, ob es besser gewesen wäre, wenn ich mit dem Kopf auf einer Kante gelandet wäre. Und dieser Gedanke beängstigt mich.

Ich hasse mich für die Verzweiflung die mich überrollt. Ich hasse mich für meine Ängste, die so unbegründet scheinen. Ich hasse mich für meine Hilflosigkeit. Ich hasse mich für mein fehlendes Vertrauen. Ich hasse mich für die fehlende Motivation, die ich bräuchte um zeitig aufzustehen. Ich hasse mich für all die Narben an meinem Körper. Ich hasse mich für meine blöde Dummheit. Ich hasse mich für meinen Körper. Ich hasse mich für den Hass den ich mir selbst gegenüber verspüre. Und ich hasse mich, weil ich in diesem Moment sterben will und nichts dagegen machen kann.


Diese verregneten TageWo Geschichten leben. Entdecke jetzt