Kapitel 26

51 3 0
                                    


Es braucht einen Moment, bis ein gefasster Rei einen nervösen Nagisa an der Hand hereinführt.

„Ich will nicht lange um den heißen Brei herumreden." beginnt Frau Amakata und atmet tief durch. „Ich habe mit deinen Eltern gesprochen, Nagisa, es tut mir leid, ich konnte sie nicht dazu bringen, dich so zu akzeptieren, wie du bist." Nagisa sinkt in sich zusammen, sein einziger Halt ist in dem Moment der Plüschpinguin in seinen Armen und die Seite seines Freundes. „Aber zumindest konnte ich deine Eltern von der Konversionstherapie abhalten." Sie zögert kurz, „Unter der Bedingung, dass du aus ihrem Leben... verschwindest." Nagisa bricht in Tränen aus, lautlos rinnen die kleinen, salzig-nassen Perlen über das sanfte, momentan jedoch müde und schmerzverzerrte Gesicht des Blonden. Seine schlimmste Befürchtung ist eingetreten, verstoßen von der eigenen Familie. Nagisa möchte schreien, aber er kann nicht, er fühlt sich leer und hilflos. Die Anwesenheit seiner Freunde lässt ihn sich zumindest nicht verlassen fühlen.

Auch Amachens Augen sind wässrig. „Nagisa, eine deiner Schwestern war auch da, als ich mit deinen Eltern gesprochen habe. Sie hat mir heimlich eine Nachricht zugesteckt." Sie holt einen Zettel hervor, „Die Nachricht ist an dich adressiert, soll ich sie Vorlesen?" Nagisa nickt leicht. Amachen beginnt zu lesen:

***

„Brüderchen,

ich wusste ja schon lange, dass unsere Eltern sehr konservativ sind, aber, dass sie dazu fähig sind, schockiert mich. Ich werde dich immer lieben und werde dich unterstützen. So sehen es auch unsere beiden Schwestern, auch wenn du jetzt ein potenzieller Konkurrent bist, aber zum Glück bereits vergeben ;). Wir Schwestern freuen uns für dich und deinen Partner, haltet die Ohren steif; es sind nicht alle so rückständig wie unsere Erzeuger.

Melde dich doch mal

Deine Schwestern"

***

Bei den letzten Zeilen huscht ein Lächeln über Nagisas Gesicht, ein Hoffnungsschimmer am Horizont.

„Amachen, was können wir tun?" fragt Haruka, der gerade mit einem Tablett mit einer Kanne und Tassen aus der Küche kommt. Er setzt das Tablett ab und beginnt den Tee und Wasser auf die Tassen zu verteilen. Sie sehen ihm schweigend zu, wie er den Matcha mit einem kleinen Bambusbesen aufschlägt. Frau Amakata nippt an ihrem Tee. „Ich denke, es ist besser, wenn Nagisa erst einmal bei euch bleibt, wenn es für euch ok ist und wenn du, Nagisa, dich hier wohl fühlst. Den Kontakt zu deiner Familie solltest du zwar nicht unbedingt abbrechen, aber das ist deine Entscheidung. Ich kann dich verstehen, wenn du nichts mehr mit deinen Eltern zu tun haben willst, zumindest deine Schwestern wollen ja wohl noch den Kontakt zu dir. Ich werde euch alle unterstützen, komme was wolle." Sie hält kurz inne. „Lieber würde ich mir einen Bikini anziehen, als euch schutzlos der Homophobie zu überlassen." Amachen ist in einen Redefluss geraten und fügt zu ihrem Vortrag noch etwas hinzu: „In der Bibel, genauer in der Bergpredigt, steht ‚Selig sind die da leid tragen; denn sie sollen getröstet werden. Selig sind die, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihrer ist das Himmelreich.' (Matthäus 5,4+10)."

Sie erntet irritierte und fragende Blicke, wie so oft, wenn sie ein Zitat zum Besten gibt. „Was ich damit sagen will: Habt Hoffnung, dass die Situation für euch besser wird, egal, ob ihr in Bedrängnis geratet, weil ihr queer seid, so wie Nagisa, oder, weil ihr ihn verteidigt." „Schon, aber wie sollen wir auf den Hass reagieren? Wie sollen wir uns wehren?" hakt Rei nach und rückt dabei seine Brille zurecht. „Nun, darüber steht auch etwas in der Bibel, sogar im selben Kapitel: ‚Ich aber sage euch: Liebet eure Feinde; segnet die, die euch fluchen; bittet für die, die euch beleidigen und verfolgen' (Matthäus 5,44). Damit ist gemeint, ihr sollt dem Hass mit Frieden begegnen, das erwarten eure Gegner nicht. So könnt ihr sie entwaffnen, es wird sie ärgern. Vor allem aber gibt es ihnen keinen Grund gegen euch zu agieren. Ja, einige wenige könnten sogar ihre Einstellung überdenken." Die Lehrerin blickt in die Runde. „Ich warne euch jedoch, das ist definitiv nicht der einfache Weg, aber der Friedliche."

Die Freunde fangen an zu grinsen: „Das schreckt uns nicht, wir haben eins gelernt: Die Gesellschaft ist wie das Werkstück in einer Schmiede, der Hammer formt mit viel Gewalt das Werkstück, die Homophoben probieren es ebenso mit der Gesellschaft. Das Werkstück erhält seine Form aber nicht nur durch den Hammer, sondern auch durch den Amboss, auf die Menschen bezogen können die offenen und gerechten Menschen als Amboss verstanden werden. Das bemerkenswerte dabei ist, der Amboss muss selbst keine Gewalt anwenden, um das Werkstück zu formen, er muss nur den Schlägen des Hammers standhalten und meistens hält der Amboss deutlich länger als die Hämmer." erklärt Makoto. „Schön gesagt, murmelt Nagisa, der neuen Mut gefasst hat. „Leider nicht von mir" gibt Makoto zu. „Aber hast wohl aus dem Geschichtsunterricht gelernt", schmunzelt Amachen.

Sie wechseln das Thema und unterhalten sich noch über die Reise, während sie ihren Tee trinken und die Sonne langsam hinter dem Horizont versinkt. Schließlich kommt Amachen zu dem Schluss, dass es Zeit sei zu gehen. Sie verabschiedet sich von der Runde, nicht aber ohne ein Treffen für den nächsten Nachmittag zu verabreden. 

Urlaub mit dem TeamWo Geschichten leben. Entdecke jetzt