43 - Hayate

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Wenn die Zeit reif ist und Menschen uns verlassen, schmerzt nicht ihr Fehlen, sondern die Lücke, die sie hinterlassen.
Den Verbliebenen hinterlassen die Gegangenen einen großen Brand, mitten in der Seele.
Von heute auf morgen entreißen sie sich aus unserem Leben.
Wir wissen nicht was wir mit dem Schmerz machen sollen, wohin wir mit ihm gehen sollen. Deshalb wollen wir ihn um jeden Preis vermeiden.
Aus Angst vor dem Scheitern, wollen wir Änderungen nicht akzeptieren.
Angst davor, dass wir mit der Situation nicht klarkommen können.
Angst davor, in die Sehnsucht zu verfallen.
Angst davor überfordert zu sein.
Die Wahrheit ist, dass überall wo die Liebe ist, auch Angst gibt.
Wer bereit ist zu lieben, muss die Angst ertragen können.

~demez34



























Es war eigentlich ein Wunder, dass Cihangir auf die Welt kam.
Eine Frühgeburt war er, ein hoffnungsloser Fall, dem Arzt nach. Die ersten Monate im Krankenhaus mit schwachem Puls verbracht. Doch er konnte sich trotz allem am Leben halten.

Cihangir bedeutet so viel wie ein Mann, der viele Kämpfe hinter sich gebracht hat und Gebiete erobert hat. Ein starker beständiger Mann, im wahrsten Sinne. Vielleicht passt deshalb der Name so gut zu ihm.
Ob er den Überlebenskampf auch überstehen würde, war eine Frage, die auf den Herzen brannte.

„Gehe nicht, habe ich gesagt!", wiedergab Sahar in schwachem Ton. Cihangir überlebte viele Angriffe. Aber das erste Mal war die Lage so kritisch.
„Er hat nicht auf mich gehört!"
„Unser Sohn wird es überleben.", blickte Diyar sie fest entschlossen an.

Seit Stunden steckte Cihan im OP-Raum.
Eine Menschenmenge versammelte sich vor der Privatklinik. Einem Bekannten gehörte diese. In einer normalen Klinik wären die Behörden auf den Vorfall aufmerksam geworden.

Eine triste Stille herrschte im Korridor.
Hakan hatte noch kein Wort von sich gegeben. Stumm fraß er seine Sorgen in sich hinein. Die Fäuste knetete er ineinander.
„Sakin ol! Abin güçlü bir insan. (Beruhige dich! Dein Bruder ist ein starker Mensch.)", redete Onur auf ihn ein.

Hakan wusste von Anfang an, dass das Wiedersehen mit Asel nur Probleme bereiten würde. Aber Liebe, was sollte man tun? Was könnte man einem erwachsenen Mann noch einreden? Am Ende zeichnet jeder sein eigenes Schicksal, wie Oma Nevin einmal sagte.

Zum ersten Mal sah Yusuf seine Frau zutiefst betrauert. Nichts konnte Meyras Schmerz lindern. Ihm waren die krummen Geschäfte der Kaplans kein Geheimnis. Doch mit einer filmreifen Schießerei, die Cihan den Tod kosten könnte, hätte er niemals gerechnet.
Stumm verfolgte Yusuf das Geschehen.

Oma Nevin laß Verse aus dem heiligen Buch. Sahar und Diyar schienen am Ende mit ihren Nerven zu sein. Zwei Freude von Cihan kamen, sobald sie von der Verletzung mitbekamen. Onkel Yasin und Tante Hayat versuchten Cihans Eltern Trost du spenden. Manche der Angehörigen warteten vor dem OP-Raum, andere im Vorgarten der Klinik. Anzugsmänner in schwarz postierten sich vor den Eingangstüren. Typen aus Eschersheim waren hergekommen.

Am anderen Ende des Korridors tauchte eine dunkle Gestalt auf, sodass sich einige Köpfe auf sie richteten.
Angespannt richtete sich Hakan auf. Nevin klappte das kleine Buch zu und nahm ihre Brille ab. Diyars Blicke glichen scharfen Klingen.

Resigniert blickte Meyra von der Runde zu Asel. Sobald sie ihren Platz verließ, verfielen sie sich in die Arme.
Asel konnte ihre Tränen nicht zurückzuhalten. Die Schuldgefühle waren nicht zu ertragen. Ihr Kindheitsfreund wurde vor ihren Augen erschossen. Das würde sie nie in hundert Jahren vergessen.

„Es tut mir so leid!", schluchzte Asel.
„Es ist nicht deine Schuld!"
„Doch, Meyra!", beschuldigte sie sich weiterhin.
Das würde sich Asel niemals verzeihen.

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