19. Ich habe mir Sorgen um dich gemacht / Niemand macht sich sorgen um mich

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Ich kann nicht genau sagen wie viel Zeit vergangen ist, denn während ich, wie erstarrt auf dem Waldboden liege, habe jegliches Zeitgefühl verloren. Selbst als sich von hinten, leichte Schritte nähern, bewege ich mich keinen Millimeter. Als jedoch die Person mit ruhiger Stimme meinen Namen flüstert, springe ich mit gesträubtem Fell auf. «Hey, hey, ich bin's nur...», beruhigt mich die Person und hebt abwehrend die Hände. Beschämt glätte ich mein Fell.

«Du bist verletzt...», murmelt er leise und kniet sich neben mich. Ich weiche zurück und lecke mir die blutende Schulter, in der noch immer die Schusspatrone steckt. Ich muss, ohne es zu bemerken, meine schnelle Selbstheilung ausgeschaltet haben. Nachdem ich ein paarmal mit meiner rauen Zunge darübergefahren bin, fällt die Patrone leise klappernd zu Boden und die Wunde verschliesst sich sauber, nur eine feine Narbe hinterlassend. In meiner Wolfsgestalt sieht man meine diese zum Glück fast gar nicht.

Unter dem faszinierten Blick des Mannes verwandle ich mich zurück und frage schärfer als beabsichtigt: «Was willst du hier, Loki?» Etwas eingeschüchtert murmelt er: «Du hast mir wahrscheinlich gerade das Leben gerettet und du warst verletzt. Ich habe mir Sorgen um dich gemacht...» Traurig schaue ich zu Boden. «Niemand macht sich Sorgen um mich. Ausserdem wärst du ohne mich gar nicht in die Situation gekommen, gerettet werden zu müssen», spreche ich meine Gedanken laut aus. Ich sehe es in seinen Augen, dass er weiss, dass diese Diskussion aussichtlos ist. «Das waren die Typen, die uns verfolgt haben. Nicht wahr?», sucht er also meine Bestätigung. Ich nicke. «Wer waren die?», wiederholt er seine Frage, die er mir schon mehrmals gestellt hat. «Ein Albtraum und die Leute, die mich zu dem gemacht haben, was ich jetzt bin», zähle ich auf. «Erzähl mir alles», fordert er mich auf. «Nicht hier», antworte ich bestimmt und tappe wieder als Wolf, tiefer in den Wald hinein. Als es hinter mir still bleibt, schaue ich zurück und blinzle Loki fragend an, woraufhin er zu lächeln beginnt und mir folgt.

Eine Weile streifen wir schweigend durch den Wald. Als die Dämmerung einbricht, haben wir bereits eine weite Strecke hinter uns gelassen. Eine flinke Bewegung lässt mich aufschauen. Mit einem gewaltigen Sprung lande ich auf dem fetten Kaninchen und breche ihm sauber das Genick. Stolz trage ich es zurück und lasse es Loki vor die Füsse fallen. «Und was soll ich jetzt damit?», fragt er mich kritisch. Ich lache ein wölfisches Lachen, hebe es wieder auf und mache mich auf die Suche nach einem Unterschlupf. Nach ein paar Minuten habe ich eine kleine Höhle in einem Felsen gefunden, woraufhin ich erschöpft das Kaninchen dort hineinschleppe und mich zurückverwandle.

Als Loki sich neben mich setzt, lässt er eine kleine, grüne Flamme auf seiner Hand entstehen und gemeinsam grillen wir damit das Kaninchen, nachdem ich ihm vorsichtig das Fell abgezogen habe. Ich bin froh, dass ich das Feuer nicht selber machen musste und somit noch mehr Fragen zu beantworten habe.

Sobald das Fleisch gar ist, halbiere ich das Kaninchen so gut es geht und überreiche Loki eine Hälfte davon. Ich selbst verschlinge meine Hälfte, als Wolf. Durch den Hunger gewöhnt, bin ich nach dem Stück Fleisch so gut wie satt und lecke mir genüsslich die Schnauze, bevor ich mich wieder als junge Frau neben Loki setzte.

Abwartend sieht er mich an. Kurz schliesse ich die Augen, um mich zu sammeln und beginne schliesslich langsam zu erzählen. Und so erzähle ich in dieser sternenklaren Nacht, das erste Mal in meinem Leben jemandem meine Geschichte...

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Pov. Loki:

Entsetzt starre ich erst auf die toten Männer und dann auf den riesigen, schwarzen Wolf, dessen Augen angriffslustig funkeln. Als sie mich ansieht verändert sich ihr Blick – ihre strahlend blauen Augen verlieren ihren Glanz und zeigen Müdigkeit und Enttäuschung.

Bevor ich etwas sagen kann, dreht sie sich um und schleppt sich in den Wald. Die Ohren lässt sie dabei traurig hängen und ihren buschigen Schwanz zieht sie erschöpft hinter sich her. Ihre Schulter, wo sie angeschossen wurde, blutet und hinterlässt eine feine, rot-braune Spur auf dem weichen Waldboden. «Mia!», rufe ich ihr hinterher, doch sie ist beschleunigt und haut eilig ab.

Shadow and Ice: Die Vergangenheit als Begleiter  (Loki ff)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt