Lautlos stiege ich durch das geöffnete Fenster im ersten Stock ein. Natürlich erst nachdem ich vorsichtig über den Fensterrahmen in das kleine und zum Glück verlassene Badezimmer spähte. Ich gebe dem Winter Soldier ein Zeichen mir zu folgen und lande lautlos neben dem Waschbecken. Gleich darauf steht er neben mir.
Ich schleiche mich auf die Tür zu und linse auf den langen Flur hinaus. Aus einem der Zimmer höre ich leise Stimmen. Konzentriert lege ich den Kopf schief und lausche sorgfältig nach weiteren Geräuschen. Ich kann zwei erwachsenen Personen ausmachen. Über eine mühsam einstudierte Zeichenabfolge leite ich die Information an den Winter Soldier weiter. Seine Hände formen die Frage, ob sich sonst noch jemand in diesem Stockwerk aufhält. Nur zur Sicherheit schliesse ich die Augen und lausche erneut. Sicher schüttle ich schliesslich den Kopf und husche schnell den Gang entlang, wo wir uns auf beiden Seiten des Türrahmens aufstellen.
Jetzt sind deutlich ein Mann und eine Frau zu hören. Ich orte über mein Gehör die ungefähren Positionen der zwei Personen und Teile diese schnell dem Winter Soldier mit. Wir schauen uns tief in die Augen und zählen stumm auf drei, dann stürzen wir gleichzeitig durch die halb geöffnete Tür. Rasch lege ich der Frau eine Hand über den Mund und ersticke damit ihren überraschten Schrei. Der Winter Soldier macht dasselbe mit dem Mann. Die beiden sehen entsetzt voneinander, zu uns und wieder zurück. Ohne zu zögern, zücke ich meinen Dolch und ziehe ihn der Frau über die Kehle. Die beiden zappeln noch kurz, hängen aber schon kurze Zeit später, schlaff in unseren Armen. Vorsichtig lege ich sie zu Boden und verschwinde wieder aus dem Zimmer.
Aufmerksam lausche ich erneut in die Stille. Ich mache zwei oder drei weitere Personen einen Stock weiter unten aus, so genau kann ich es von hier oben aber noch nicht sagen. Der Winter Soldier folgt mir die Treppe nach unten, wobei ich darauf achte auf keinen knarzenden Absatz zu treten. Ohne auf meinen Gefährten zu warten, schlüpfe ich in den Raum und ramme dem kleinen Mädchen von hinten den Dolch ins Herz. Aus dem Augenwinkel erkenne ich, dass der Winter Soldier dasselbe mit dem anderen Mädchen macht. Die zwei sind tot bevor auch nur ein Ton ihre Lippen verlassen kann.
Ich will gerade über Funk verkünden, dass wir fertig sind, als ich einen Schatten im Türrahmen erkennen. Schützend werfe ich mich vor meinen Teamkollegen und schiesse dem Mann blitzschnell in den Kopf. Einen kurzen Moment starrt er uns mit entsetzten Augen an, bevor er die Waffe fallen lässt, mit der er den Winter Soldier erschiessen wollte und schliesslich leblos zusammensackt. Eilig fange ich seinen Körper auf und lege ihn leise zu Boden.
Das Haus ist leer, die ehemaligen Bewohner tot...
Kurz blicke ich zum Winter Soldier. «Mission abgeschlossen», knurre ich nun doch noch gefühlslos in mein Headset.
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Seit Stunden starre ich an die bröckelige Decke meiner Zelle. Ich zwinge mich dazu an etwas anderes zu denken, doch es geht einfach nicht. Ich habe gerade eine ganze Familie umgebracht. Die Töchter waren vielleicht gerade mal 6 Jahre alt. Sie hatten noch ihr ganzes Leben vor sich und ich habe sie einfach umgebracht... Sobald ich die Augen schliesse, sehe ich wieder ihre panischen Gesichter und die leuchtenden Flammen – die das Haus verschlangen, nachdem wir mit dem Jet davonflogen – vor mir. Ich frage mich, ob man schon bemerkt hat, dass der Brand gelegt wurde und die Bewohner bereits zuvor tot waren. Vermutlich nicht. Vermutlich wird man es auch nie herausfinden.
Rumlow jedenfalls war sehr zufrieden mit uns. Schnell, lautlos, ohne Zeugen und unnötige Schweinerei, genauso wie er es sich gewünscht hat.
Ich hole das Messer hervor, welches ich unauffällig eingesteckt habe. In der Spiegelung des glatten Metalls starren mich meine eigenen, müden und eingesunkenen Augen an. Ich denke an alle die Schmerzen, die mir Hydra zugefügt hat und an all die Toten, für die ich in der Zukunft noch verantwortlich sein werde. Hilflos fahre ich mir durchs lange Haar und kneife meine Augen so fest wie nur möglich zu. Wenn ich sie lange genug geschlossen halte, ist all das hier vielleicht vorüber, wenn ich sie wieder öffne. Oder ich könnte sie einfach nie wieder öffnen...
Ich stutzte. Langsam blinzle ich in die Dunkelheit und hebe erneut den Dolch an. Während ich in vorsichtig in der Hand wiege, glaube ich in der Spiegelung der Klinge, kurz den Shadow Soldier aufblitzen zu sehen. Erschrocken lasse ich los, woraufhin die Klinge scheppernd zu Boden fällt.
Rumlow hat mich nie mit meinen richtigen Namen angesprochen – falls er ihn überhaupt kennt. Seit über einem halben Jahr bin ich aus seinem Mund nur noch der Shadow Soldier, doch bis jetzt waren es bloss Worte. Erst heute – mit meinen ersten Morden – wurde ich zum Shadow Soldier. Ich bin er und er ist nun ein Teil von mir.
Zögernd hebe ich den Dolch wieder auf. So schrecklich es mir manchmal auch ging, ich hatte noch nie den Wunsch zu sterben. Genau genommen will ich dies auch jetzt nicht. Doch etwas hat sich geändert. Ich will mich nicht umbringen, doch das Verlangen diesen dunklen und gefährlichen Teil von mir zu töten – ihn bis auf den letzten Rest zu zerstören – scheint mich zu konsumieren.
Bereits während ich nur darüber nachdenke, klammer sich meine Finger bereits entschlossen um das Messer. Stumm entschuldige ich mich bei Bucky. Er wird sich sowieso nicht mehr an mich erinnern können..., tröste ich mich.
Ich konzentriere mich auf meine Selbstheilung, bis ich dasselbe Unwohlsein verspüre, wie wenn Rumlow sie deaktiviert. Dann hole ich tief Luft, bevor ich mir die stählerne Klinge grob in den Bauch ramme. Sobald ich den Dolch wieder herausziehe und neben mir zu Boden lege, sprudelt klebriges Blut aus der Wunde.
Plötzlich überkommt mich eine Angst. Was nun?, will ein kleiner Teil von mir wissen. Der Teil, welcher das Leben – auch wenn es noch so erbarmungslos und hart war – über alles liebte. Was nun? Wo werde ich enden oder ist dies alles, das da ist? Ich allein in dieser kalten, leeren Zelle. Keiner der meine Hand hält oder dem ich letzte Worte hätte zu wispern können. Ich weiss es nicht.
Doch, während mein Leben – langsam mit dem Blut zusammen – meinen Körper verlässt, verspüre ich keine Schmerzen und auch die Angst lässt nach. Stattdessen breiten sich Erleichterung – diesem Horror endlich entrinnen zu können – und eine tröstende Wärme in mir aus. Trotz allem hatte ich jemanden der mich liebte und um alles in der Welt beschützt hätte. Bucky – der einzige Mensch der mich nicht vergessen würde, sich aber nie wieder ganz an mich erinnern wird.
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Shadow and Ice: Die Vergangenheit als Begleiter (Loki ff)
FanficRaven ist 14 Jahre alt und lebt, seit sie sich erinnern kann auf der Strasse. Jedoch nimmt ihr Leben eine tragische Wendung, als sie von Hydra entführt wird und deren Experimenten zum Opfer fällt. Damit jedoch noch nicht genug... Plötzlich kommen au...