60. Teil: Nachhause kommen

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Das aus dem Krankenhaus auschecken war am Heimkommen noch das einfachste.

Russell und ich versicherten uns bestimmt zwanzig Mal, dass die Kindersitze sicher im Auto befestigt waren und unsere Babys richtig angeschnallt. Während ich dann zwischen den Sitzen auf dem mittleren Sitz saß um, die beiden auch im Auge behalten zu können, fuhr Russell in bester Fahrlehrermanier, vorausschauend und nicht einmal ansatzweise in der Nähe des Geschwindigkeitslimits, nach Hause.

Das alles war für uns Neuland und wir wollten alles richtig machen, weshalb wir uns auch gegen den Aufzug entschieden und Russell stattdessen beide in ihrem Maxi-Cosi über die Treppen in unser Stockwerk trug. Der Alpha hatte damit kein Problem, aber ich und mein erschöpfter Körper hatte mit den Stufen doch ganz schon zu kämpfen, sodass ich mich noch nicht einmal bei der Hälfte darüber ärgerte, nicht doch mit den Aufzug gefahren zu sein.

Die erste Nacht war genauso schlimm, wenn nicht sogar schlimmer als die Heimfahrt im Auto. Wir waren beide so nervös, dass wir nicht schlafen konnten und stattdessen pausenlos einen Blick auf unseren Kindern hatten, die sich von unserem Stress nicht stören ließen und schliefen wie kleine Engel.
Obwohl es keinen Grund zu Angst gab, konnte wir uns auch die folgenden Nächte kaum entspannen und die hektischen Tage mit zwei neugeborenen Babys, die zwar sowieso größtenteils nur schliefen und aßen, entzogen uns sämtliche Kraftreserven.
Ich war verdammt froh, dass Russell sich um so vieles kümmerte, während mein Körper noch immer mit den Nachfolgen der Geburt kämpfte und ich daher nur wenige Kraftreserven zur Verfügung hatte. Manchmal hatte ich ein schlechtes Gewissen, doch Russell schien sich nicht daran zu stören, dass er den Haushalt alleine schmiss und Tag aus, Tag ein Fläschchen und klitzekleine Strampler waschen musste.
Eher im Gegenteil. Wie erwartet ging Russell in seiner Vaterrolle völlig auf und trotz der sichtbaren Augenringe in seinem Gesicht, trug er immer ein breites, glückliches Grinsen auf den Lippen.

Es dauerte seine Zeit, bis wir uns daran gewöhnt und auch endlich realisiert hatten, dass ihnen nichts passierte, wenn Russell und ich nachts gleichzeitig schliefen. Bei dem ersten Ton von ihnen waren wir sowieso wieder wach, weshalb wir uns den Luxus gönnten, zumindest dazwischen genügend Schlaf zu bekommen.
Unsere Kinder waren ohnehin total umgänglich und machten uns keine großen Probleme. Esther war ein wenig aufbrausender und launischer als ihr Bruder, den man mit viel kuscheln immer positiv stimmen konnte, aber selbst sie beruhigte sich in den Armen ihres Papas sofort. Russell und sie waren bereits jetzt, wenige Tage nach ihrer Geburt, ein eingespieltes Duo.

Obwohl es verdammt anstrengend war und ich teilweise einfach nur Schlafen wollte, könnte ich nicht glücklicher sein. Russell und ich entpuppten uns als perfektes Team und fanden recht schnell eine Routine, die uns beiden auch etwas Zeit zum Atmen und für ein wenig Zweisamkeit gab.

Unsere Familien ließen uns die ersten Tage in Ruhe, damit wir uns an die Umstellung erst einmal gewöhnen könnten, bevor der Trubel mit Gästen losging, wofür wir wirklich dankbar waren. Olsen, der zwar schon vor Tagen in meine Wohnung gezogen war und jederzeit vorbeikommen hätte können, traute sich nicht und wartete stattdessen lieber ab, bis auch unsere Eltern uns besuchen kamen. Er hatte die paranoide Angst, allein mit seiner Anwesenheit irgendetwas kaputt zu machen.
Ich fand seine unberechtigte Angst irgendwie süß und konnte es kaum abwarten ihn bald zusammen mit unseren Kindern zu sehen.

Russell hatte mittlerweile auch Lukes über die Geburt informiert, woraufhin gleich ein großes Packet bei uns ankam, gefüllt mit allerlei Klamotten, Spielzeug und einem Extrapack Windeln. Obwohl Lukes uns bereits die Matratzen für die Kinderbetten geschenkt und so viel Zeit in das Kinderzimmer gesteckt hatte, bestand er darauf, dass wir auch diese Geschenke annahmen.
Das schürte mein schlechtes Gewissen, dass ich nicht wollte, dass Lukes und seine Gefährtin unsere Kinder bald kennenlernten nur weiter, doch Russell sprach mir mehrmals gut zu, dass es mein gutes Recht war, zu entscheiden, wer zu Besuch kommen durfte und wer nicht, und dass mir das niemand, erstrecht nicht Lukes, böse nehmen würde. Russell konnte meine Beweggründe sehr gut verstehen und irgendetwas sagte mir, dass auch Lukes meine Entscheidung nachvollziehen konnte.
Früher oder später würde er unsere Jungen auch kennenlernen können, aber erst nachdem unsere Familien sie gesehen und wir uns weiter an unser neues Familienleben gewöhnt hatten.

Trotz der Anstrengung machten wir bereits eine Woche nach ihrer Geburt ausgiebige Spaziergänge an der frischen Luft. Es tat uns beiden gut etwas rauszukommen und unseren Kindern schien es auch zu gefallen, auch wenn sie das meiste ohnehin verschliefen.

Ich spürte, wie mein Körper mit der Zeit auch wieder kräftiger wurde und die Geburt immer weiter in die Vergangenheit rutschte. Meine Narbe war schnell verheilt und mittlerweile konnte man sie nur noch ein wenig erkennen, aber in ein paar weiteren Tagen würde sie ganz verschwunden sein.
Mein Bauch war noch immer ein wenig aufgebläht und überschüssige Haut hing locker herum, doch momentan hatte ich einfach nicht die Zeit, mich unwohl zu fühlen und in den Selbsthass zu verfallen. Ich hatte auch zum Glück nicht die Zeit, nach dem Duschen lange einen Blick in den Spiegel zu werfen und meinen Körper zu begutachten. Andernfalls würde es mit meiner Psyche wahrscheinlich ganz anders aussehen.

Russell betonte oft, dass ich ja erst vor kurzem zwei wundervolle Kinder zur Welt gebracht hatte. Da durfte mein Körper sich auch seine Zeit nehmen, um das zu verarbeiten. Es war von vornherein klar, dass ich nicht gleich danach wieder aussah wie früher und einen flachen Bauch hatte, damit musste ich jetzt einfach zurecht kommen. Russell war dabei eine große Hilfe und ließ sich von meinem überschüssigen Bauchfett nicht beirren. Wir hatten zwar keine Zeit und auch nicht wirklich die Kraft, um groß intim zu werden, aber innige Kuscheleinheiten und zarte Küsse auf dem Körper des anderen, waren zeitlich gerade so drinnen.
Diesen Ausgleich und die Nähe zueinander brauchten wir auch. Es gab uns frische Kraft und tankte den inneren Energiespeicher schnell wieder auf.

Russell hatte seit der Geburt unserer Kinder sein Arbeitszimmer nicht mehr von innen gesehen und auch sämtliche Anrufe aus der Firma ignoriert. Er konzentrierte sich ausschließlich auf uns und verließ sich darauf, dass Lukes in unserer Abwesenheit, immerhin war ich ja eigentlich Russells Stellvertretung, alles regelte und am Laufen hielt. Russell und er telefonierten ab und an, aber selbst da achtete Lukes penibel genau darauf, nichts aus der Firma durchsickern zu lassen, damit Russell nicht noch irgendwie Blut leckte und doch wieder früher zurückkehren wollte, weil er wegen irgendetwas besorgt war.

Zwar schätzte ich Russell, der es offensichtlich liebte Zeit mit unseren Kindern zu verbringen, nicht so ein, aber da seine Firma auch irgendwo sein Baby war, wäre es ihm nicht einmal zu verübeln.

Ich genoss die Zeit mit unserer kleinen Familie genauso sehr wie Russell und konnte noch immer kaum glauben, dass wir wirklich zwei kleine Kinder hatten. Das hätte ich mir niemals zugetraut, aber es funktionierte einwandfrei und ich war glücklich.
Verdammt glücklich.

Die Bestimmung der Omegas ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt