[7] 25|Sonntag

80 15 158
                                    

Alice hat das alles so locker aufgefasst, warum habe ich mir nur solche Gedanken darum gemacht?, sind so mitunter die ersten Fragen, die ihr durch den Kopf geschossen kommen, als sie aufwacht. Die Uhr meint, es sei bereits 9:02 Uhr. An Schlafproblemen hat sie definitiv nicht zu leiden. 

Alice liegt wohl schon eine ganze Weile nicht mehr bei ihr ... Mit ihrer einen Hand, die sie auf Alice' Seite des Bettes fallen lässt, spürt sie, dass diese bereits abgekühlt ist. 
Sie steht auf, zieht sich ihre Kleidung über und geht zunächst ins Badezimmer. Danach klopft sie sachte an den Rahmen des Kinderzimmers. 
Keine Reaktion. Sie geht weiter zur Küche. 

„Guten Morgen", trällert Alice und zieht Ronja in eine Umarmung. Ronja eher überrumpelt, lässt Alice einfach, ohne selbst zu interagieren. So weit ist Ronja noch nicht, sie ist doch gerade erst aufgestanden. 

„Morgen", gibt sie daher zurück und lässt sich dabei auf den Küchenstuhl fallen. „Du wirst ja von Morgen zu Morgen fröhlicher und wacher." 

„Nicht gut?" 

„Doch natürlich." 

„Ich weiß, du musst erst einmal wach werden. Nika ist schon mehrmals durch, liegt gerade wieder im Bettchen, kannst dich ruhig auf die Terrasse setzen und ich komme gleich mit Café und setz mich zu dir. Hm?" 

„Das klingt fantastisch." Jetzt ist es Ronja, die sich Alice schnappt, um sich eine Umarmung abzuholen. 

◦◦◦◦◦◦

„Vielleicht hat er keine Lust mehr, mit mir einen Film anzuschauen." 

„Wovon sprichst du?", fragt Alice irritiert nach. 

„Oh." 

„Hast du vergessen, dass ich neben dir sitze?" 

„Nein Al. Quatsch. Ich wollte es nur nicht laut aussprechen." 

„Ja, aber nun ist es so. Hm?" 

„Joe." 

„Wieso sollte er sich keinen Film mit uns antun wollen?" 

„Nicht uns, mit mir." 

„Okay, aber wieso?" 

„Vielleicht stört ihn ja die Audiodeskription." 

„Ich kann mir das nicht vorstellen. Das stört doch nicht. Also, wenn ich mir mit AD einen Film anschaue, mit den Augen, kann ich es nach einiger Zeit ausblenden oder ich mache die Augen zu und versuche den Film so zu sehen wie du. Aber ich wüsste nicht, warum es stören sollte. Wie kommst du auf einmal darauf?" 

„Ja, vielleicht hast du recht. Ach, meine komischen Gedanken in letzter Zeit." 

„Sicher? Also kann ich den Tag vorbereiten?" 

„Ja alles gut, wirklich", hofft sie zumindest. 

Derweil Alice für den schönen Freundschaftstag die Vorbereitungen trifft, geht Ronja mit Woody eine Runde durch den Park spazieren und schüttelt dabei ihre Gedanken um Joe ab. Alice wird recht haben. Das ist doch auch Blödsinn. Wie oft hatte er sie schon bestärkt und sie wissen lassen, dass sie ein gleichwertiges Mitglied der Gesellschaft ist? Völliger Unsinn, den sie da dachte. 

Befreiter durch den Spaziergang kommt sie wieder zu Hause an und setzt sich mit einer Tasse Café sowie einem Hörbuch draußen auf die Terrasse hin. Noch ein wenig abschalten, bis die Bande eintrifft. 

◦◦◦◦◦◦

Etwa eine halbe Stunde später wird ihr sachte über ihren Arm gestreichelt. Sie nimmt ihre Kopfhörer ab. 

„So, ich geh dann jetzt Elmar abholen. Nika ist gesättigt, auch gerade erst die Windel gewechselt, also müsste gerade nichts anstehen." 

„Oh. Klar. Das Babyphone?" 

„Habe ich dir hierhin gestellt." 

„Gut, dann bis gleich." 

Noch etwa eine Stunde hat sie. Zwar würde sie Nika auch über das Babyphone hören, wenn sie weiter ihrem Hörbuch lauschen würde, aber das ist ihr einfach zu unsicher. So lässt sie es lieber bleiben. Sie trinkt ihren Café aus und geht dann hinein. Nika ist nicht am Schlafen und so holt sie sie aus ihrem Bettchen und setzt sich mit ihr auf das Schlafsofa dem Bettchen gegenüber. Sie erzählt ihr Geschichten, die sie auswendig kennt, – dichtet eventuell ein paar Stellen um – und genießt einfach die Zeit mit ihrer Tochter. 

◦◦◦◦◦◦

Irgendwann hört sie, wie sich die Wohnungstür öffnet und zwei Menschen hineinkommen. Elmar und Alice. Elmar ist zwar immer sehr leise, doch erkennt sie ihn daran, dass er alles im selben Prozedere durchführt. Er kommt in die Wohnung, wartet, dass die Tür, in dem Fall von Alice, geschlossen wird, zieht dann einen Schuh nach dem anderen aus, fragt dann, wohin er sie stellen soll – natürlich jedes Mal an die gleiche Stelle, – dann zieht er seine Jacke aus, wobei er ganz langsam den Reißverschluss herunterzieht, als würde es keinen Morgen geben, seine Jacke hängt er dann an den freien Haken, – der immer für ihn frei ist – und dann geht er in jeden Raum hinein, weshalb sie vorher jede Zimmertür geöffnet haben. Er betätigt den Lichtschalter, betritt den Raum mit einem Schritt, schreitet den Schritt zurück, macht das Licht wieder aus und geht weiter. Er fängt vorne beim Kinderzimmer an. Ronja ruft ihm ein 'Hallo' zu, was er erwidert, dann geht er weiter zum Badezimmer, zum Schlafzimmer, in die Küche, ins Wohnzimmer, auf die Terrasse und dann zu einer der beiden, um zu fragen, wo er sich hinsetzen soll. Je nach Wetter oder angedachten Plan antworten sie ihm 'Terrasse' oder 'Sofa'. Heute ist es Letzteres. 

Ronja klickt gegen ihre Armbanduhr. Es ist mittlerweile 12:09 Uhr. Komisch, Joe kommt eher zu früh, mindestens pünktlich. 
Ronja legt Nika in ihr Bettchen und gesellt sich zu Alice und Elmar ins Wohnzimmer. 

„Warum ist Joe noch nicht da? Kommt er nicht? Bringt er nicht den Film heute mit?" 

„Joe ist heute mit Film mitbringen dran. Das ist richtig. Warum er noch nicht ..." 

„Ah, das wird er bestimmt sein." Alice geht zur Tür und alle hoffen, dass es Joe ist und Elmar sich beruhigen kann. Gebannt wird abgewartet. Natürlich ist es Joe, scheinbar hat er den versprochenen Film mitgebracht, denn Alice kommt zurück in den Raum und öffnet den DVD-Player. Ronja hört, wie Joe seine Schuhe flüsternd fluchend auszieht. Na, das kann ja heiter werden. Niemand sagt etwas dazu. Elmar entspannt sich etwas, sein Wippen wird weniger. 

„So, nun dann. Getränke wie immer?" 

„Für mich ja, Kakao mit Milchschaum und ein Glas Wasser", antwortet Elmar ganz freudig. 

„Ja. So wie immer", entgegnet Joe beim Reinkommen ins Wohnzimmer. 

„Hallo Joe", begrüßt ihn Elmar. 

„Hey an alle." 

„Ronnie, für dich wie immer Café?" 

Ronja nickt. Alice kommt kurz darauf mit den zubereiteten Getränken und den bereits zuvor gebackenen Croissants wieder ins Wohnzimmer zurück. 

Als es sich alle auf dem Sofa bequem gemacht haben, wird der Film gestartet. Ronja sitzt ganz außen rechts, neben ihr Elmar, dann Alice und am anderen Ende Joe. Ronja bemerkt anhand von Elmars Bewegungen, wie die Stimmung unterschwellig umzukippen droht. Irgendetwas liegt hier in der Luft, doch ansprechen will sie es nicht. 

Vielleicht erzählt ihr Alice heute Abend, wenn sie alleine sind, was los ist. 

Auf den Film kann sie sich dadurch leider auch nicht gut konzentrieren. Schade, dabei soll er so toll sein. Für die Audiodeskription wurde er sogar ausgezeichnet. 

ImpressionspunkteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt