Kapitel 16

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Ohne Justin eine Antwort zu geben drehe ich mich von ihm weg und überlege mit wem ich mich unterhalten könnte. Doch alle sind in irgendwelche Konversationen verwickelt. Mir fällt auf dass Marie gar nicht da ist. Mir entwischt ein freudiges Lächeln, denn das bedeutet, dass es ein einigermaßen ruhiger Abend wird.

"Wie war dein Tag?", versucht Justin mich erneut in ein Gespräch zu verwickeln. Ich zucke mit den Schultern "Er war ganz in Ordnung. Ich war mit Lila bei Dan."

"Wieso?"

"Wegen des Chemieprojekts", erinnere ich ihn.

"Woher soll ich das denn wissen? Das hast du mir noch nie erzählt."

Oh, stimmt. Wann soll ich es ihm auch erzählt haben? Wir unterhalten uns so gut wie nur über ernste Themen oder streiten uns. Ich zucke nur mit den Schultern.

"Wann kommst du morgen?", fragt er mich weiter. "So gegen 19 Uhr. Dann werde ich die Kleinen ins Bett bringen und dann können wir singen."

Justin nickt und schaut mich weiterhin etwas nachdenklich an. Erst starrt er mir in die Augen und dann fährt sein Blick mit einem Lächeln über meinen Körper. Justin's Grinsen wird breiter. Ich fange an mich nackt zu fühlen, weshalb ich etwas unbehaglich auf meinem Platz umherrutsche. 

"Du hast hier wahrscheinlich von allen Mädchen die meisten Sachen an und trotzdem würde ich jede stehen lassen um mit dir zu fi-"

"Sprich es nicht aus", schreie ich ihn etwas hysterisch an. Von einem Moment auf den nächsten herrscht totale Stille am Tisch. Während mein Teint wahrscheinlich gerade neue, unbekannte Farben annimmt bricht Justin in schallendes Gelächter aus.

"Alles in Ordnung?", fragt Lila schmunzelnd. Ich nicke nur und traue mich nicht den Kopf zu heben und irgendwen auch nur anzuschauen.

"So unschuldig", flüstert er mir kichernd ins Ohr. "Du bist ein Blödmann." 

Justin entweicht ein raues Lachen, welches für ein Kribbeln auf meinem Nacken sorgt.

"Ich muss an die frische Luft", murmle ich. Justin nickt, bleibt aber sitzen. "Dafür müsstest du aufstehen."

"Kannst du dich nicht an mir vorbeiquetschen?" 

"Nein", antworte ich schlicht und einfach. Justin seufzt einmal theatralisch steht dann aber auf und lässt mich vorbei.

Draußen wickle ich meinen Cardigan etwas stärker um meinen Körper. Ich weiß ehrlich gesagt nicht weshalb ich raus wollte. Vielleicht um vor Justin oder der Situation an sich zu fliehen. Ich weiß es nicht, aber es ist auch eigentlich unwichtig. Ich setze mich auf eine Bank und lege den Kopf in den Nacken. Die kühle Nachtluft umweht meinen Körper und lässt mich etwas zusammenzucken.

"Kommst du irgendwann wieder rein?", fragt mich Harry der sich neben mir auf der Bank niederlässt.

"Wo ist Lila?", ignoriere ich seine Frage. Harry zuckt mit den Schultern "Ich denke mal sie ist noch drinnen. Als ich gemerkt habe wie lange du schon weg bist wollte ich lieber gucken gehen ob alles in Ordnung bei dir ist."

Ich lächle ihn dankbar an "Es geht mir gut. Geh' lieber rein und unterhalte dich weiter mit Lila. Die arme ist doch sonst ganz allein da. Die hat ja sonst nichts mit euch zu tun."

"Ach die ist doch selbstbewusst genug um auch die anderen in ein Gespräch zu verwickeln. Ich bleibe hier bei dir", beharrt er. Ich lasse die Schultern hängen und nicke nur. Was bleibt mir auch anderes übrig? Ich kann ihm schlecht sagen, dass Lila total besessen von ihm ist und er deswegen wieder reingehen soll.

"Luca hier bist du. Ich habe mir schon Sorgen gemacht", kommt Justin schnell auf mich zu. Dann bleibt er stehen und schaut Harry missbilligend an "Oh. Ist das wieder eines eurer Dates?"

Ich muss die Augen verdrehen, weil ich genau weiß wie das wieder enden wird. Harry und ich schütteln beide den Kopf, da wir wissen, dass mann bei Justin zur Prävention seiner kleinen Ausraster einigermaßen Fassung bewahren muss. Er schnaubt nur einmal und macht dann wieder kehrt.

"Dieser Junge raubt mir noch den letzten Nerv", stöhne ich und stehe dann auf, "Sorry, aber ich muss ihm das erklären." Harry nickt etwas enttäuscht und ich gehe dann zu Justin. Eigentlich hätte ich bei Harry bleiben und mich nett mit ihm unterhalten sollen, stattdessen renne ich Justin hinterher aus Angst, dass er wieder falsch von mir denkt.

Doch in diesem Moment fällt mir ein, dass ich mich gar nicht rechtfertigen muss. Es kann mir egal sein was Justin von mir denkt. Justin und seine Gedanken sind mir egal und außerdem will ich nicht anhänglich wirken. Vielleicht ist es sogar von Vorteil, wenn Justin denkt ich hätte was mit Harry, dann würde er mich in Ruhe lassen und wenn Justin mich in Ruhe lassen würde, dann wäre mein Leben wieder wie vorher und nicht komplett auf den Kopf gestellt. Dann müsste ich nicht täglich mit schmerzenden Sachen konfrontiert werden, also unfreiwillig. Es tut mir nicht gut. Justins Nähe und Fragerei tut mir nicht gut. Ich dachte nur es würde mir gut tun.

Ich gehe also stattdessen zu meinem Auto und fahre los ohne mich auch nur von irgendwem zu verabschieden. Es sind eh alle mit sich selbst beschäftigt, ebenso wie ich. Wir Menschen sind so veranlagt. Wir sind Egoisten.

Zu Hause schmeiße ich mich nach einer ausgiebigen Dusche in mein Bett und lese noch etwas.

Wie die ganzen anderen Samstage seit ich hier lebe werde ich von dem Geräusch der Klingel geweckt. Vom Ausschlafen haben diese Bewohner wohl noch nichts gehört. Ständig werde ich an meinen einzigen freien Tagen geweckt. Es ist aber heute ausnahmsweise mal zehn Uhr. Mit Justin rechnend öffne ich schon etwas aggressiver als sonst die Tür, doch ehe ich mich versehe rauscht eine Person an mir vorbei gefolgt von einem hysterischen Quieken. Erschrocken fahre ich herum und blicke Lila an. Wer kommt auch sonst so dreist hier rein?

"Harry ist so perfekt und wir haben uns den ganzen Abend unterhalten und oh man, er ist einfach unbeschreiblich, er ist so nett und toll und er ist ein guter Zuhörer und sein Lächeln..." Lila verzieht schwärmerisch den Mund. Ich muss Lachen.

"Ich mach uns einen Kaffee und dann erzählst du mir alles in Ruhe", kichere ich. Lila nickt aufgeregt und folgt mir dann in die Küche. Kaum ist das Wasser aufgesetzt klingelt es auch schon wieder an der Tür. Stöhnend rausche ich an Lila vorbei und öffne die Tür. Heute bin ich wohl besonders beliebt.

"Was gibt's?", frage ich Justin leicht genervt.

"Es tut mir leid, okay?"

"Okay."
Justin schaut mich verdutzt an. "Wie jetzt?"

"Ich habe gesagt: Okay", wiederhole ich mich.

"Ich weiß ich bin nur so überrascht. Darf ich reinkommen?"

"Nein. Ich habe Besuch und außerdem sehen wir uns heute Abend. Ich glaube es tut uns ganz gut wenn wir nicht jeden Tag aufeinander hängen. Bis heute Abend Justin."

Er nickt etwas enttäuscht aber geht dann. Während er sich umdreht sehe ich, dass er eine Blume in seinen Händen versteckt hält. Oh nein, er macht sich Gedanken und muss sich wahrscheinlich total überwinden sich zu entschuldigen und das mit einer Blume und ich schicke ihn einfach weg. Ich bin drauf und dran ihn zu mir zu rufen. Doch gestern Abend habe ich eigentlich meine Entscheidung getroffen. Aber wenn ich ihn dort mit der versteckten Blume weggehen sehe fängt mein Herz an weh zu tun. Ich kämpfe mit mir selbst. Soll ich meinen Stolz und meine Entscheidung beiseite legen oder soll ich ihn gehen lassen?

(1215 Wörter)

Strangers (pausiert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt