Kapitel 18

51 6 1
                                    

"Ich könnte was?", fragt er ruhig. Ich zucke mit den Schultern und schüttle dann mit meinem Kopf "Nicht so wichtig."
"Doch es ist wichtig. Ich könnte was? Dich schlagen?", rät Justin. Ich zucke bei seiner Vermutung heftig zusammen was Justin als Bestätigung nimmt.
"Ich könnte dich niemals verletzen", sagt er erschrocken. Wieder zucke ich nur mit den Schultern, man kann nie wissen. Meine Mutter hat bestimmt auch gedacht mein Vater würde sie nie schlagen.
"Luca, schau mich an."
Ich blicke zögerlich in sein Gesicht aber nicht in seine Augen. Lieber betrachte ich seinen schönen Mund.
"Ich würde dich niemals verletzen, das musst du mir glauben. Wieso denkst du so was?"
"Mein Vater", murmle ich kaum verständlich mit zitternder Stimme. Justin versteift sich, sein Griff um das Kissen verstärkt sich.
"Sag' mir jetzt nicht, dass er dir etwas angetan hat." Seine Stimme hat einen bedrohlichen Unterton. Ich schüttle sofort den Kopf "Nein, er hat nur Mom verletzt. Mich nicht. Mich würde er nicht schlagen", schluchze ich. Bei meinem letzten Satz bin ich mir nicht sicher aber ich hoffe es einfach.
"Hat er das schon öfter gemacht?", fragt er mich ruhig. Ich nicke zaghaft, schlucke den Kloß, der sich in meinem Hals gebildet hat hinunter und sage mit unsicherer Stimme: "Schon seit Jahren. Aber sie wissen nicht, dass ich es weiß."
"Luca, wir müssen was dagegen machen."
"Dann sag' mir bitte was ich machen soll!", flehe ich ihn an. Hoffend, dass er eine Idee hat die ich noch nicht hatte.
"Wir müssen zur Polizei, oder mit deiner Mutter reden."
Ich schaue ihn lächelnd an "Wenn ich zur Polizei gehe wird die Familie daran kaputt gehen. Ich kann Mom nicht darauf ansprechen. "
"Ich kann es mit dir zusammen machen", schlägt er vor.
"Nein, das geht erst recht. Justin, es ist lieb, dass du meiner Familie helfen willst, aber das geht nicht."
"Ich will deiner Familie nicht helfen, ich will dir helfen. Verdammt Luca du bist 19 Jahre alt und ich habe noch nie einen so sehr verschlossenen und verletzlichen Menschen wie dich kennengelernt", sagt er. Seine Augen drücken einen Grad von Traurigkeit und Mitleid aus.
"Ich brauche keine Hilfe und vor allem bin ich nicht verletzlich. Ich bin nicht wie meine Mutter. Ich werde mich nicht verletzen lassen", gifte ich ihn an.
"So meinte ich das nicht", widerspricht er "Du bist stark Luca, stärker als viele andere Menschen aber auf der anderen Seite bist du genauso verletzlich wie du stark bist."
Ich bin still, denke über seine Worte nach. Er hat wahrscheinlich recht. Aber ich bin wohl verletzlicher als stark. Ich bin kaputt. Ich bin müde..so müde von all dem. Also nicke ich. Ich bin plötzlich viel zu erschöpft um zu diskutieren.
"Du hast recht", flüstere ich.
"Luca, du musst mir vertrauen, ich würde dich niemals, hörst du? Niemals würde ich dich verletzen. Hast du mich verstanden?" Zur Antwort nicke ich nur.
"Ich denke ich glaube dir." Justin lächelt mich zufrieden an.
"Ich denke das ist ein Anfang. Heißt das ich darf dich jetzt öfter berühren?", fragt er. Sein Blick wird von einem hoffnungsvollen Schimmer verschleiert. Ich schaue ihn traurig an "An den Händen, ja. Im Gesicht. Nur mit Vorwarnung. Der Rest meiner Körpers, vor allem meine Oberschenkel und- arme, sind tabu", sage ich in einem ernsten Ton. Es ist wahrhaftig krank, dass ich ihm Anweisung gebe wo er mich berühren darf und wo nicht. Das beweist doch einfach nur, dass ich total kaputt im Kopf bin.
"Sorry das klingt so dumm", entschuldige ich mich und schüttle beschämt den Kopf.
"Hey", flüstert er auffordernd, und als ich nicht höre greift er das erste Mal bewusst nach meiner Hand. Ich zucke zusammen und will sie ihm erst entziehen, doch ich entscheide mich dagegen. Ich lasse mich einfach fallen und konzentriere mich auf seine sanften Hände, sein Daumen der so zaghaft über meinen Handrücken gleitet als würde meine Hand bei einer zu starken Berührung für immer verschwinden. "Du hast recht", flüstere ich erstaunt. Justin schaut mich lächelnd und fragend an.
"Berührungen können auch tröstend sein", erkläre ich. Eine Berührung von einer bestimmten Person kann einen alles um sich herum vergessen lassen. Vielleicht ist Justin ja diese Person. Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. Für diesen Moment weiß ich nur, dass ich es mir wünschen würde, dass Justin diese Person wird. Doch bis dahin ist es ein langer Weg. Nicht nur für mich, sondern auch für ihn.
"Ich bin so froh, dass du das zulässt. Du glaubst gar nicht wie viel mir das bedeutet, dass du mich in deine Welt lässt. Und ich werde es nicht ausnutzen."
Ich nicke zur Bestätigung. Es ist beängstigend wie viele Fortschritte ich durch und mit diesem Menschen gemacht habe. Kein Kindermädchen, keine Freundin, kein Psychologe ist soweit mit mir vorangekommen wie Justin.
"Du würdest einen guten Psychologen abgeben", kicherte ich. Justin hebt belustigt eine Augenbraue "Würde ich das? Ich glaube du brauchst einfach nur einen guten Freund und keinen Psychologen. Du bist nicht krank."
Mir entweicht ein bitteres Lachen "Du hast ja keine Ahnung."
"Wie meinst du das?"
"Nichts Justin. Schon gut. Für heute habe ich dir mehr als genug erzählt.", murmle ich mit einem flehenden Unterton. Für mehr Beichten und Offenbarungen bin ich nicht bereit. Ich bin viel zu müde und erschöpft.
"Ich will einfach nur schlafen." Kaum hat dieser Satz meine Lippen verlassen fallen auch schon meine Augen zu. Das letzte was ich höre ist Justin's glucksendes Lachen. Mit einem Lächeln im Gesicht falle ich dann endgültig in den Schlaf.

"Luca", flüstert eine Stimme nah an meinem Ohr. Ich schrecke hoch und knalle gegen etwas sehr hartes. Mein Kopf knallt zurück und ich liege wieder da. Mir entfährt ein leichter, schmerzerfüllter Schrei. Ich öffne meine Augen während ich meine pochende Stirn reibe und sehe Justin der seinen Kopf in den Nacken gelegt hat und das gleiche tut. Mein Kopf lag während ich schlief auf Justins Schoß. Ich setze mich aufrecht hin, meine Wangen färben sich bei dem Gedanken auf Justins Schoß geschlafen zu haben leicht rosa.
"Tut mir leid", entschuldige ich mich. Ich entschuldige mich viel mehr dafür, dass ich auf seinem Schoß geschlafen habe als das wir zusammengestoßen sind.
"Schon in Ordnung", stöhnt er und schaut mich belustigt an.
"Ihr scheint ja einen netten Abend gehabt zu haben", ertönt Erins Stimme. Ich fahre herum und blicke in die belustigten Gesichter von Erin und Jeremy.
"Ich bin nur ähm eingeschlafen. Es ist nichts passiert", stotterte ich mir diesen Satz zurecht. Erin schüttelt nur amüsiert den Kopf.
"Ach? Es ist nichts passiert? Und warum war dein Kopf auf meinem Schoß?", meldet sich Justin provokant zu Wort. Ich drehe mich zu ihn um und haue ihn gegen den Oberarm.
"Wie schon gesagt, es ist nichts passiert, den Kindern geht es gut und ich muss dann jetzt auch gehen", sage ich peinlich berührt und stürme an den dreien vorbei. Ich höre Justin zufrieden lachen. Auch ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen. So ein Blödmann.
"Tschüss, bis zum nächsten Mal", rufe ich noch und begebe mich dann in die Dunkelheit. Okay das war ein sehr überstürzter und peinlicher Abgang, aber es ist nicht mehr zu ändern. Draußen ist es komplett dunkel. Sogar die Straßenlaternen sind abgestellt. Kein Auto fährt mehr.
Nach einer Weile fährt ein Auto im Schrittempo hinter mir her. Ich drehe mich um und sehe ein mir unbekanntes Auto, also beschleunige ich meinen Gang, ebenso wie das Auto. Ich werde schneller und schneller und fange irgendwann an zu rennen. Eigentlich total schwachsinnig ein Auto kann mich so oder so überholen, da kann ich rennen wie ich will. Wahrscheinlich bin ich einfach nur paranoid. Bestimmt darf man hier nicht schneller fahren und ich denke ich werde verfolgt. Trotz allen Beruhigungsversuchen rast mein Herz von Sekunde zu Sekunde schneller und das Atmen fällt mir immer schwerer.
Plötzlich gibt das Auto Gas, überholt mich, wendet auf Straße und bleibt vor mir stehen und versperrt mir den Weg. Ich bin regelrecht eingefangen. Ich kann den Fahrer nicht erkennen, da mir die Scheinwerfer ins Gesicht blenden.
Die Tür des Autos geht auf und das ist der Moment in dem ich einen Hilfeschrei ausstoße und panisch wegrenne. Jetzt geht es um Leben und Tod. Der Typ greift mich am Handgelenk und reißt mich zurück. Ich versuche mich zu wehren doch er ist viel zu stark. Die Panik krallt sich in meinem Hals fest und mir entweicht kein einziger Ton mehr.

(1395 Wörter)

Strangers (pausiert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt