Kapitel 19 (!)

39 7 0
                                    

Im nächsten Moment ertönt ein mir bekanntes Lachen neben meinem Ohr. Erschrocken schaue ich Justin an, der mir ein amüsiertes Grinsen schenkt. Das kann nicht sein ernst sein.
"Was fällt dir ein du Arschgesicht? Ich hatte gerade wirklich Angst", keife ich ihn an.
Justin zieht kichernd eine Augenbraue hoch "Arschgesicht?"
"Das tut doch jetzt gar nicht zur Sache. Meine Güte Justin, sowas kannst du nicht machen. Ich hatte Panik", schreie ich ihn auf offener Straße an, da ich mich provoziert fühle.
"Komm' runter. Ich wollte dich eigentlich nur zu dir nach Hause fahren, aber du bist vor mir weggerannt", erinnert er mich. Ich nicke "Trotzdem hättest du dich auch anders bemerkbar machen können anstatt mich so in die Ecke zu drängen."
"Es tut mir leid und jetzt steig ein", seufzt er. Ich verdrehe die Augen steige aber trotzdem ein. Da ich jetzt, obwohl ich weiß, dass es Justin war, total Angst habe verfolgt zu werden. Da sitze ich doch lieber ein paar Minuten mit Justin in einem Auto und fühle mich beschützt. Justin steigt kurz nach mir ein und wirft mir einen letzten amüsierten Blick zu bevor er losfährt. Ich zeige ihm meinen Mittelfinger, was ihn wieder zum Lachen bringt "Ich dachte schon ich bekomme diese Geste nie wieder zu sehen." Ich bin gerade wirklich sauer auf ihn und er hat nichts besseres zu tun als sich über mich lustig zu machen.
Die restliche Autofahrt verläuft still und als wir bei mir zu Hause ankommen murmle ich nur ein "Danke" und gehe dann hinein.

Heute ist ein Tag an dem ich ausnahmsweise mal ausschlafen durfte. Niemand hat mich aus dem Schlaf geklingelt. Ich konnte einfach so lange schlafen wie ich wollte und deswegen fühle ich mich jetzt auch das erste Mal wieder richtig ausgeruht. Nachdem ich mich fertig gemacht habe gehe ich nach unten und bereite mir etwas zum Frühstück vor obwohl ich nur mäßigen Hunger habe.
Kaum habe ich mich auf der Couch niedergelassen klingelt es auch schon an der Tür.
"Was möchtest du denn jetzt schon wieder?", frage ich Justin als ich ihn sehe, "ich habe wirklich keinen Bock heute irgendetwas zu unternehmen."
"Du bist gestern so schnell abgehauen, dass Dad und Erin dich nicht mehr bezahlen konnten", antwortet er nur. Ich schüttle den Kopf und schiebe seine Hand mit dem Geld weg "Ich will wirklich nicht dafür bezahlt werden."
Justin verdreht seufzend die Augen "Nimm es doch einfach. Anstatt es ständig abzulehnen."
"Justin, ich brauche dieses Geld wirklich nicht. Ich kann damit nichts anfangen. Guck doch mal bitte in was für einem protzigen Haus ich wohne", erinnere ich ihn.
Er wirft mir einen resignierten Blick zu. "Dann lass' mich dich wenigstens auf einen Kaffee einladen", bittet er mich. Nun bin ich es die seufzt "Eigentlich muss ich mir nochmal Biologie angucken."
"Aber eigentlich möchtest du jetzt viel lieber mitkommen, oder? Komm schon, das eigene Bedürfnis steht immer an erster Stelle. Also begleitest du mich jetzt ins Ocean", beschließt er für mich.
"Na schön."

Im Café angekommen bestellen wir uns beide einen Eiskaffee und setzen uns in die warme Mittagssonne.
"Danke für den Eiskaffee", sage ich und nehme einen großen Schluck davon.
"Nicht der Rede wert." Im nächsten Moment klingelt Justins Handy und er zieht dieses aus der Innentasche seiner Jacke. Ich beobachte wie ein Zettel dort herausfällt und hebe ihn auf. Justin scheint dies nicht zu bemerken er entfernt sich etwas vom Tisch um mit der Person ungestört reden zu können. Gerade will ich den Zettel wieder wegstecken als ich meine Schrift darauf erkenne. Hastig falte ich diesen auseinander. Es ist der Zettel aus dem Philosophieunterricht, der auf den wir schreiben sollten was unsere größte Angst ist. Justin wusste die ganze Zeit über, dass ich Berührungsängste habe und warum und er hat immer so getan als wüsste er nichts. Von wegen ich kann ihm vertrauen. Ich war und bin so naiv. Er hat mich die ganze Zeit über angelogen. Justin hat über meine verdammte Angst Bescheid gewusst und die ganze Zeit immer so getan als würde er über nichts Bescheid wissen. Ich merke wie mir leicht schwindelig wird, doch ich werde jetzt sicherlich nicht schwach werden. Ich werde Fassung bewahren.
Justin kommt mit einem Lächeln zurück "Sorry, das war Dan, er will sich heute Abend mit mir treffen. Wo waren wir stehen geblieben?"
Ich antworte nur mit einem Schulterzucken. Innerlich fällt gerade alles in sich zusammen. Ich habe wirklich gedacht, dass dies der erste wird, der mich berühren darf, dem ich meine Sorgen anvertrauen kann, doch er ist nichts von dem. Er wollte sich wahrscheinlich nur beweisen, dass er Jede rumkriegen kann. Ich muss einmal schwer schlucken, um die Tränen zurückzuhalten.
"Na ja wie auch immer, morgen müssen wir Tears in Heaven vorsingen, das wird bestimmt gut."
"Ich weiß nicht, wird es gut?", frage ich ihn. Justin schaut mich verwirrt an geht aber nicht darauf ein "Wollen wir danach noch woanders hingehen?"
"Ja, am besten springe ich gleich mit dir ins Bett, dann brauchst du dir und deinen Freunden nichts mehr beweisen."
"Was redest du da?", fragt er etwas verunsichert.
"Wie? Was rede ich? Das war doch dein Ziel, egal wie kaputt dieses Mädchen ist, ich werde ihr Vertrauen gewinnen, sie flachlegen und sie dann fallen lassen. Ja Justin, der tolle Kerl, der jede kriegt", zische ich.
"Ich weiß jetzt wirklich nicht wie du auf so einen Mist kommst. Ich will hier Niemanden etwas beweisen", verteidigt er sich und rutscht unruhig auf seinem Stuhl umher.
"Natürlich nicht. Ich dachte echt ich kann dir vertrauen, aber du bist einfach nur ekelhaft. Du solltest dich schämen."
"Kannst du mich jetzt bitte mal aufklären?", meckert er mich an. Langsam scheint er auch wütend zu werden.
"Ich bin so bescheuert ich hätte es von Anfang an wissen müssen. Wie konnte ich bloß so naiv sein und glauben, dass sich jemand für mich interessiert? Bis morgen Justin", flüstere ich und lege ihn den Zettel vor die Nase. Ich entferne mich sofort vom Tisch. Ich will weder seine Reaktion, noch seine Ausreden hören und sehen.
"Luca, warte", ruft er. Ich drehe mich um um zu gucken ob er mir hinterher rennt. Doch das tut er sowieso nicht. Ich renne den ganzen Weg nach Hause.
Als ich ankomme tun meine Gesichtsmuskeln vom Weinen, meine Waden vom Laufen und meine Lungen vom schweren Atmen weh. Jeder Schritt tut weh und jeder Atemzug fühlt sich an, als würde ich kaum noch Luft kriegen. Doch all diese Schmerzen sind nicht genug. Es reicht nicht um das zu betäuben was ich gerade alles fühle. Es ist tiefe Enttäuschung, Verletztheit, Trauer und Wut. Auf mich und auf ihn. Ich weiß nicht was mich wütender macht: Meine Naivität oder Justin.

Strangers (pausiert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt