Paxton

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Paxton
Wo zum verfickten Teufel nochmal ist sie?
Mein Plan war eigentlich ganz simpel. Jedes Kind hätte ihn durchziehen können, aber nein, der grosse Paxton Archer ist gescheitert. Ich kriege die Krise.
So wie Cass mich heute Morgen angesehen hat, war mir klar, dass sie etwas in mir sieht, dass nicht da ist oder besser gesagt nicht da sein sollte. Genau wie sie Seiten in mir hervorruft, auf die ich absolut keinen Bock habe, tue ich bei ihr wohl das selbe. Sie gibt sich immer tough und unnahbar, aber ich habe sie schon anders erlebt und ich denke, dass sie ihre softe Seite nur mir preisgibt. Weil sie mich einfach nicht kennt oder scheiss naiv ist. Keine Ahnung. Auf jedenfall wollte ich mir diese Tatsache zunutze machen. Ich sollte sie treffen und ihr damit zeigen, dass sie mit ihrer Annahme falsch liegt und sie bei mir nicht willkommen ist. Klar könnte ich sie einfach rauswerfen, aber so herzlos bin ich nun auch wieder nicht. Ich will ja nicht, dass die Kleine unter der Brücke schlafen muss. Sie sollte von sich aus gehen wollen.
Weil ganz erlich, ich wollte kein scheiss schlechtes Gewissen haben so einfach ist das.
Ich ging davon aus, dass wenn ich vor ihren Augen mit der Schlampe Bianca rummachen würde, dass sie ausrasten würde. Mir eine Standpauke hält, mich vor allen Leuten anblaffen wird oder mir sogar eine reinhaut. Ich dachte, mit dieser Aktion würde ich sie so weit verletzen, dass sie freiwillig das Weite suchen wird. Aber wieder einmal, hat sie mich total überrascht. Bin ich ihr so egal? Und warum zum Teufel sticht es in meinem Herzen, wenn es so wäre? Ich bin am Arsch. Bianca war natürlich mehr als offen dafür sich mit mir einzulassen. Seit Monaten tanzt sie vor meiner Nase herum und macht keinen Hehl daraus, dass sie von mir gefickt werden will. Aber anders als Bishop oder Xander stehe ich nicht so auf schnelle Nummern. Da muss schon mehr dabei heraus springen. Und auf so Mädchen wie Bianca stehe ich einfach nicht. Aber egal, Sinn und Zweck des Ganzen war jetzt eh für die Katz. Cass ist aberauscht und ich habe sie seit Stunden nicht mehr zu Gesicht bekommen. Bianca habe ich kurz darauf unmissverständlich klar gemacht, dass sie sich heute doch besser einen anderen Maker suchen soll. Bishop ist dann mit den beiden Ladies abgerauscht. Gut für ihn. Wenn er wieder andere Weiber vögelt, kriegt er wenigsten Cass aus seinem Schädel.
Die Nacht neigt sich langsam dem Ende zu. Da die Party auf Xanders Mist gewachsen ist, darf er natürlich auch die Aufräumarbeiten übernehmen. Wo steckt er überhaupt? Als ich ihn mit Cass auf dem Sitzsack gesehen habe, hat es tief in meinem Inneren heftig gebrodelt. Ich dachte er steht nicht auf sie? Oder nicht mehr. Aber sie waren so vertraut miteinander, dass der pure Anblick von den beiden, mir einen Kloss in den Hals gepflanzt hat. Irgendwie kann ich mir vorstellen, dass er von meinem Plan nicht so begeistert sein wird. Aber Xanders Gefühle sind eine andere Baustelle. Zuerst muss ich mir Cass vornehmen.
Und als ob es sich das Schicksal doch noch anders überlegt hätte, reisst jemand neben meinem Zimmer die Türe auf. Eigentlich wollte ich mich gerade geschlagen geben und mich hinlegen, aber jetzt siegt meine Neugierde. Denn niemand geringeres als die kleine Tamy kommt aus dem Raum und schlendert pfeifend an mir vorbei. «Morgen Pax!» Gott, wie kann man nach so einer Nacht noch so fröhlich rumpfeifen oder überhaupt gerade stehen. Ich kann mich erinneren, dass Cass, neben Xander, den ganzen Abend mit ihr verbracht hat. Sie hat die Türe nur angelehnt und ich höre leise Musik. Ob sich Cass wohl die ganze Nacht bei Tamy versteckt hat? Aber das Zimmer gehört ihrem Freund Max. Den habe ich auch seit Stunden nicht mehr gesehen. Meine Neugierde überwiegt und ich schreite leise zur Türe und schiebe sie auf.
Das Zimmer ist dunkel und die Musik wird lauter. Gott, wie kann man nur in einem solchen Ghetto leben? Ich lasse meinen Blick durch den Raum gleiten, über den überstellten Schriebtisch, die Klamotten die statt im Schrank, davor liegen und dann halte ich beim Bett inne. Max liegt oben ohne darauf und sein Schnarchen übertönt fast die Musik. Leere Flaschen liegen auf dem Nachttisch und gerauchte Blunts überfüllen den Aschenbecher daneben. Die hatten wohl eine kleine Privatparty hier oben. Naja, soll mir recht sein, solange sie nicht die Bude abfackeln. Ich drehe mich zurück zur Türe, als mich eine Bewegung auf dem Bett zurück hält. Es scheint auch Max zu stören und er faselt unverständliches Zeug während er sich umdreht und mir jetzt seine nackte Rückenpartie präsentiert. Gestern war es lautes Männergestöhne, das mich geweckt hat und heute muss ich mir einen weissen Männerarsch ansehen. Und das alles noch vor dem Frühstück. Das sind doch mal Aussichten.
Eine innere Vermutung lässt mich auf leisen Sohlen ums Bett herum gehen. Unter der Decke lugt ein nackter Frauenfuss hervor. Das war wohl definitiv eine Privatparty. Ich gehe ums Gestell herum und halte beim Kopf der jungen Frau inne. Ich kann ihr Gesicht nicht sehen, da es in das Kissen gedrückt ist, aber der schwarze Haarschopf kommt mir doch sehr bekannt vor. Aber ich muss auf Nummer Sicher gehen. Vor ihr gehe ich in die Hocke und rüttle an ihrem Arm, der jetzt auch hervor lugt. «Cass. Wach auf.» Sie schlägt meine Hand weg und grummelt mich an. «Lass mich Tamy.» Obwohl ihre Stimme vom Alk und den Blunts kratzig ist, erkenne ich sie überall wieder. Leider hat sie mir damit auch bestätigt, dass sie heute Abend das Bett mit Max und wahrscheinlich auch noch mit Tamy geteilt hat. Sie hat gegen die Regel verstossen, obwohl ich nicht dachte, dass es so schnell passieren würde und dann auch noch mit Max. Das wird Bishop nicht gefallen. Endlich habe ich einen Grund, dass ich sie rausschmeissen kann, aber warum versetzt es mir dann einen so schmerzhaften Stich? Sollte ich nicht dankbar und glücklich sein über diese plötzliche Wendung? Ja verdammt das sollte ich!
«Cass!» Ich rüttle ein bisschen energischer an ihrer Schulter. Jetzt hebt sie endlich ihren Kopf und streicht ihre Haare zurück. Als ihre mintgrünen Augen meine treffen, weiten sie sich geschockt. «Pax?» Sie muss sich räuspern und setzt sich langsam auf. Ihre nackten Füsse stellt sie auf den Teppich zwischen meine Knie. Sie trägt noch das Top von gestern, aber ihre Beine sind bis auf einen winzigen Slip nackt. Ah Fuck Cass! Warum musstest du nur diesen Schritt gehen? Wut und Enttäuschung kriechen durch meine Wehnen. Ich habe mehr von ihr erwartet.
Langsam lasse ich meine Hände über ihre nackten Waden nach oben gleiten. Sie keucht überrascht auf und ich kann sehen, wie sich die Härchen auf ihren Armen nach oben stellen. Ihr Beine zittern leicht, aber sie hält mich nicht davon ab weiter nach oben zu wandern. An den Seiten ihrer Oberschenkel mache ich einen Stopp und starre sie an. «Ach Cass.» Tadel liegt in meiner Stimme und ich schüttle missbilligend den Kopf. «Warum machst du es mir nur so einfach?» Auch sie schüttelt jetzt den Kopf und in ihren Augen stehen grosse Fragezeichen. «Was meinst du damit? Was habe ich gemacht?» Ich blicke an ihr vorbei und sie tut es mir gleich und schielt über ihre Schulter zum nackten Max. Ihr Kopf schnellt wieder zu mir. «Es ist nicht so wie es aussieht!»
«Ts ts, echt jetzt Cass? Dieser lahme Spruch willst du mir reindrücken?» Sie ist genau wie alle andern. Richig klischeehaft. Ich packe sie grob an den Oberschenkeln und presse ihr meine Finger in das Fleisch. Cass keucht schmerzerfüllt auf. «Fuck Pax, hör auf du tust mir weh.» Max hinter ihr dreht sich wieder auf die andere Seite. «Leute, regelt euren Scheiss draussen. Ich will pennen, die Nacht war hart.» Oh, das kann ich mir gut vorstellen. Ich lasse widerwillig von Cass ab. Es braucht viel Willenskraft, dass ich ihr nicht vor die Füsse spuke. «In zehn Minuten in deinem Zimmer!»
Damit lasse ich sie stehen und stürme aus der Türe, die ich laut hinter mir zuknalle. Sie wird noch ihr blaues Wunde erleben. Jemand hat mir mal gesagt, dass ich ein Monster sei. Jetzt hat Cass es geweckt und es will rauskommen und spielen. Ich werde ihr einen Denkzettel verpassen, den sie nicht so schnell vergessen wird.
Nach genau zehn Minuten stürme ich aus meinem Zimmer und gehe zu ihr rüber. Ohne anzuklopfen, reisse ich die Türe auf und knalle sie wie vorhin hinter mir ins Schloss. Mit noch nassen Haaren sitzt Cass, diesmal komplett angezogen, auf dem Bett und starrt mich mit grossen Augen an. Ich lasse meinen Nacken knacksen und gehe ruhig auf sie zu. Sie soll zwar schon merken, dass ich wütend bin, aber sie soll auch Angst bekommen und diese kreige ich nur aus ihr raus, wenn ich die Ruhe selbst bin. «Du hast gegen unsere Regel verstossen Cass.» Meine Hände sind hinter dem Rücken gefaltet und ich komme mir vor wie ihr Lehrer, der gerade einen Verweis ausspricht. Obwohl hier ein Verweis nicht reichen wird.
«Ich habe nichts getan Pax.» Sie scheint genau so ruhig zu sein wie ich und doch entgeht mir das Zittern in ihrer Stimme nicht. «Die Situation war wohl mehr als offensichtlich findest du nicht auch?!» Jetzt strafft sie ihre Schultern. «Es ist nichts passiert. Frag Tamy und Max. Ich habe dort geschlafen, mehr nicht.» Es ist schon fast süss, wie sie sich versucht herauszureden. «Du kanntest die Regel und hast dich nicht daran gehalten.» Verständnislos kneift sie ihre Augen zusammen und erhebt sich. Sie reicht mir gerade mal so bis unter das Kinn. «Es ist scheissegal was ich sage oder was andere sagen hab ich Recht? Du wirst mich so oder so rauswerfen?» Ah, sie ist doch noch ziemlich smart. Ich komme ihr mit meinem Gesicht entgegen und unsere Lippen berühren sich beinahe. Ihr schneller Atem streift meine Haut, ihr Duft betört meine Sinne und doch sind es ihre Augen, die mich gefangen halten wollen. Zu spät Baby.
«Dein letzter Kurs endet um zwei Uhr. Danach wirst du herkommen und deine Sachen packen und verschwinden.» Ihre Augen werden glasig. «Du kennst meinen Stundenplan?» Das interessiert sie wirklich? «Ich kenne alles von dir Ophelia Cassandra Thomas. Und glaub mir, so beeindruckend bist du nicht.» Eine glatte Lüge, aber das würde ich ihr nie auf die Nase binden. Niemandem. «Wenn das die Wahrheit wäre, dann wüsstest du, dass das nicht mein Stil ist.» «Aha, aber mit Bishop beim ersten Abend zu ficken schon?!»
Der Schmerz auf meiner Wange durchfährt mich wie ein Stromschlag. Sie hat mich geschlagen. Cass hat mir tatsächlich eine Ohrfeige verpasst. Und nicht nur eine, ich glaube das ist die erste, die ich je bekommen habe. Es kribbelt dort, wo sie mich getroffen hat, aber  ich nehme es gerne in Kauf. «Wenn ich zurück bin, bist du weg!», donnere ich ihr entgegen und wende mich ab. «Das wirst du bereuen Pax.» Ohne mich zu ihr umzudrehen, bleibe ich stehen. «Soll das eine Drohung sein?» Ihre Stimme ist so leise, dass ich mich konzentrieren muss, um sie zur verstehen. «Nein, nur eine Tatsache.» Da nicht mehr von ihrer Seite zu kommen scheint, gehe ich weiter und lasse sie alleine zurück.
Erst als ich in meinem Zimmer die Türe geschlossen habe und daran lehne, kann ich wieder freier atmen. Als sie so nahe vor mir stand, war ich kurz davor die ganze Scheisse abzublasen und sie stattdessen bewusstlos zu küssen. Gott! Wie kann man nur so verkorkst sein?! Mein Handy klingelt. Xander. Scheisse nein, auf den habe ich gerade echt keinen Bock. Meine Hände zittern, als ich es zurück in meine Hosentasche stecke. Habe ich das Richtige getan? Fuck ja! Ich brauche den Abstand zu ihr. Ich hasse es, wer ich wegen ihrer Nähe bin. Hasse es zu was ich geworden bin.
Wieder klingelt mein Handy. Ich muss hier raus. Die Akte von Damon liegt noch auf meinem Bett. Ich hole sie mir samt meinen Autoschlüsseln und gehe auf direktem Weg in die Tiefgarage. Ich steige in den schwarzen Maserati und starte den Motor. Ihr Motorrad steht immer noch auf ihrem Abstellplatz. Habe ich sie heute das letzte Mal gesehen? Zweifel fangen an sich in meine Gedanken zu fressen. Wie ein Krebsgeschwür nissten sie sich in mir ein. Ahhh! Mit meiner Faust schlage ich auf das Lenkrad ein. Scheisse verfluchte! Meine Stirn lehnt an dem kühlen Leder und ich fühle mich beschissen. Und genau so will ich nie wieder fühlen müssen! Es ist der richtige Weg. Ich und auch die Jungs müssen wieder auf Spur kommen. Und das klappt nur ohne Cass.
Mit der Fernbedienung öffne ich das Garagentor und trete das Gaspedal durch. Die ersten Kurse beginnen zwar erst in einer Stunde, aber ich muss auf den Campus. Ich muss meinen Kopf frei kriegen und das kann ich hier nicht. Weil der Dekan damals ein Kunden von meinem Dad war, hat er ihm ein kleines Büro neben seinem eingerichtet. Jetzt, da mein Vater nicht mehr unter uns weilt, habe ich neben den Dekan als Drogenabnehmer auch das geerbt. Bis zum heutigen Tag habe ich es nicht benutzt. Das wird sich jetzt nun zwangsläufig ändern. Solange Cass in meinem Haus ist, ihr verdammter Duft an den Wänden haftet und die Jungs nicht die Biege kriegen, verbarikadiere ich mich dort. Sicher ist sicher, ich kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr garantieren, dass ich niemanden kille.
Der Campusparkplatz ist bis auf ein paar einzelne Autos wie leer gefegt. Das wird sich im Laufe des Tages noch ändern. Mit der Akte und ein paar Schulbüchern unter dem Arm mache ich mich auf dem Weg zum Büro des Dekans. Dekan Miller sollte wohl schon vor zehn Jahren in den Ruhestand befördert werden, aber er lässt sich nicht so leicht abspeisen. Mit eiserner Hand führt er diese Schule schon seit über dreissig Jahren. Somit gehört er eigentlich schon fast zum Inventar. Viellecht hilft auch sein regelmässiger Kokskonsum, dass er immer noch wie ein junges Reh herumhüpfen kann. Who knows. «Oh, guten Morgen Mister Archer.» Susan, seine Sekretärin begrüsst mich überrascht. Wie auch ich, hat sie wahrscheinlich nie damit gerechnet mich hier zu sehen. «Guten Morgen Susan. Ist der Dekan schon da?» Sie startet ihren Computer und schiebt sich die Lesebrille auf der Nase zurecht. «Nein, Dekan Miller ist diese Woche im Urlaub. Brauchen Sie was Bestimmtes?», will sie von mir wissen und holt sich schon einen Notizblock mit Stift hervor. Ich winke ab. «Nein, alles gut. Ich werde mal in mein Büro rüber gehen.» Das Lächeln der alten Dame erhellt kurz meinen Tag. «Gerne. Wenn Sie was brauchen, ich bin den ganzen Tag hier.» Damit wendet sie sich wieder ihrem Computer zu und ich gehe zum Büro daneben.
Das letzte Mal, als ich hier war, war ich noch in der Highschool. Mein Dad sass auf seinem ledernen Bürostuhl und ich auf der Couch nebem seinem Tisch. Wir unterhielten uns über meine Collegewahl. Naja, eigentlch gabe es diese Wahl nie wirklich. Ich hatte eine Zusage von Dartmouth, aber für meinen Vater gabe es nur Princeton. Mein Weg war vorherbestimmt. Da gab es nie was zu rütteln. Schon damals waren Xander, Bishop und ich eine Einheit. Sie sind zwar nich so privilegiert aufgewachsen wie isch, aber in Sachen Bildung konnte uns selten jemand das Wasser reichen. Deshalb verwunderte es auch niemanden, dass ich auch in Princeton angenommen wurde und auch die beiden ein Stipendium hier ergattern konnten. Wir waren eine Einheit und sind es auch bis heute. Das wird auch eine Cass nicht ändern können. Niemand stellt sich zwischen uns. Dafür werde ich schon sorgen. Und sobald Bishop und Xander ihre rosarote Brille abgesetzt haben, werden auch sie erkennen, dass es der richtige Weg ist.
Alles hier sieht noch genau so aus wie damals. Rechts an der Wand entlang sind deckenhohe Bücherregale aufgestellt. Ein Buch reiht sich ans nächste. Nebst Sachbüchern, Gesetztesbüchern finden sich hier auch einige Klassiker. Darunter Werke von Thomas Hobbes, Voltaire, Schiller und Tolstoi. Mein Vater war trotz seiner fragwürdigen Berufswahl sein sehr gelehrter Mann. Seinen Master in Public Affairs hat er hier an der Uni abgeschlossen. Er war hier, vor allem beim Dekan, so hoch angesehen, dass er kurzerhand einen Medizinlehrgang eingeführt hat. Diesen Master gab es vorher hier an der Uni noch gar nicht, aber er wusste, dass es das einzige war, dass ich je studieren wollte. Ich denke auf seine verquere Art und Weise, war das ein Zeichen seiner Liebe zu mir.
Die Fenster ziehen sich über die ganze Seite des Büros und man hat einen atemberaubenden Ausblick auf den gesamten Campus. Ich setze mich, wie mein Vater damals, auf den Ledersessel. Der Schreibtisch ist bis auf ein paar Stifte und Blöcke leer. Ich hole die Mappe von Damon hervor und fange an darin herum zublättern.
Alles nichts neues für mich. Ein Foto von Sean Cullen wie er vor und nach seinem Tod ausgesehen hat. Ein sauberer Kopfschuss. Ich staune immer noch. Ein Lebenslauf von Sean ist dabei, seine Verkäufe von den letzten Monaten und seine Bankauszüge. Die mich ein bisschen stutzig machen. Wie es aussieht, hat Sean in den letzten Monaten keinen einzigen Cent abgehoben. Hat er vielleicht irgendwo noch ein Konto? Da ich Damon aber sehr gut kenne, weiss ich dass er keine halben Sachen macht. Sowas würde ihm nicht entgehen. Ich blättere weiter. Auch bei seinen Verkäufen gab es erhöhte Einbussen. Was soll denn das jetzt? Das ist ein Widerspruch in sich. Er soll weniger Einkommen erzielt, aber sich trotzdem nicht an seinen Ersparnissen bedient haben? Unmöglich. Es sei denn, jemand bürgt für ihn. Da Sean jedoch weder Verwandte noch sonstige bekannte Freunde hat, kann ich nur zu einem Schluss kommen. Sean Cullen hat sich wohl selbst was in die Tasche gesteckt. Idiot! War doch klar, dass Damon das irgendwann herausfinden würde. Ist vielleicht Sean der Dealer, den wir suchen? Das muss ich dringend mit Damon besprechen.
Als ich die Mappe schliesse, flattert ein Stück Papier davon und landet neben meinen Füssen. Ich bücke mich und schiebe es zurück. Halt mal! Bei näherer Betrachtung erkenne ich, dass es nicht ein Papier sondern ein Foto ist. Ich drehe es herum. Es ist eine schlechte schwarz weiss Aufnahme, aber die Frau, die darauf zu sehen ist, ist unverkennbar. Ihr schwarzes langes Haar flattert im Wind, sie lehnt gegen ein Auto. Ein Mann steht vor ihr und wenn ich es richtig deuten kann, dann schreit er sie auf dem Foto an. Wer ist der Typ? Ich krame meine Brille aus dem Jacket und gehe ans Fenster, um mehr Licht zu haben. Er ist locker zwei Köpfe grösser als Cass, aber das ist bei ihrer Grösse auch nicht schwirig. Er kommt mir bekannt vor. Wo habe ich ihn schon mal gesehen? Und dann fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Sergei Petrow. Die rechte Hand von Dimitri Nikitin. Ich habe Dimitri und Sergei einmal kurz kennegelernt, als sie vor etwas drei Jahren bei Damon waren. Von Anfang waren sie mir nicht symphatisch gewesen, auch wenn Damon mir versichert hat, dass sie loyale Geschäftspartner wären.
Dimitri Niktin. Was hat Cass mit dem russischen Mafiaboss zu tun?

Beautiful LIARWo Geschichten leben. Entdecke jetzt