Kapitel 12

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"Ich mag kein Heiliger sein, aber ich begleiche meine Schulden", gab Kalin von sich und mir blieb nichts anderes übrig, als mich auf sein Wort zu verlassen. Mehr konnte ich sowieso nicht tun, außer zu hoffen, dass er sich an sein Wort hielt.

Nachdem wir alle drei eine Weile geschwiegen hatten, kam ein Teleportationspunkt in unser Sichtfeld. "Wir müssen uns teleportieren. Ich weiß, dass mir damit Punkte verloren gehen, aber wir haben keine Zeit, um zu laufen, es ist zu weit", erklärte Kalin und ich sah ihn immer noch zweifelnd an. "Du hast deine Aufgabe doch schon erfüllt, oder? Du musst dir also keine Sorgen um deine Punkte machen", reagierte Kalin mit einem neutralen Ton auf meinen Blick und ich war überrascht, dass er normal mit mir reden konnte. Womöglich wusste er, dass es jetzt, wenn er meine Hilfe benötigte, nicht hilfreich wäre, wenn er mich schikanieren würde. 

Ohne ein Wort der Widerrede wandte ich mich dem Teleportationspunkt zu, der sich nun unmittelbar vor uns befand. Da ich keine Ahnung hatte, wo es hingehen sollte, legte ich meine Hand auf Kalins Arm, da wir so automatisch an den gleichen Ort teleportiert werden würden. Das Teleportieren dauerte nur einen kurzen Augenblick. Ich spürte, wie sich meine Existenz an dem einen Ort auflöste und sich am nächsten neu zusammensetzte. Als ich wieder klare Sicht hatte, wusste ich sofort, wo wir waren. 

Wir befanden uns mitten in der Dadaupa-Schlucht. Wenn ich mich auch nur in der Nähe dieser Schlucht befand, wusste ich nie, was ich fühlen sollte. An sich war es ein schöner Ort, mit dem See der irgendwie den Mittelpunkt darstellte und in dem sich jedes Mal Störche badeten. Jedoch erfasste mich all die Male, die ich hier war, ein Schauer, der sich von meiner Wirbelsäule über meinen gesamten Körper ausbreitete, bis hin zu meinen Fingerspitzen. 

Hier lebte niemand und die Umgebung erinnerte an ein verlassenes Schlachtfeld. In dem See steckten mindestens ein Dutzend rostende Schwerter und die Umgebung war ruhiger als andere Umgebungen. Es schien hier generell weniger Lebewesen zu geben.

Kalin führte uns schweigend links am Teleportationspunkt vorbei. Noch war weit und breit kein Monster in Sicht, doch das konnte sich schnell ändern. Die Gras bewachsenen Felsen, auf denen wir gerade einen Fuß vor den anderen setzten, lagen höher als die restliche Umgebung und verschafften uns einen guten Überblick.

Als wir eine Weile gegangen waren und uns auf den Rand des Abgrundes zubewegten, konnte ich endlich erkennen, was unter uns lag. Die Felsen, auf denen wir gerade liefen, schlossen ein riesiges Monster Camp ein. Ich drehte mich zu Kalin um und sah ihn entgeistert an. "Sag mal spinnst du?", fragte ich ihn und er sah mich mit ernster Miene an. "Für jemanden wie mich, der nicht kämpfen kann, ist das ein Selbstmordkommando! Dort unten wimmelt es von Hilichurls und Mitachurls", gab ich leicht verärgert von mir. Er hatte ja keine Ahnung, in was für ein Chaos er mich beförderte.

"Ich bin aber nun mal nicht du. Abgesehen davon kann man hier sehr gute Beute rausschlagen und die Chance, dass einem hier jemand etwas weg nimmt, ist sehr gering", gab er sachlich von sich. "Warum nur", murmelte ich und verdrehte meine Augen. Meine Stimme triefte von Sarkasmus.  Was hatte er sich dabei nur gedacht?

"Schluss jetzt, alle Beide!", mischte Suha sich nun ein, nachdem sie sich lange Zeit heraus gehalten hatte. Vermutlich war ihre Geduld auch irgendwann einfach am Ende. "Wir erledigen das jetzt, ohne dass weiter gestritten wird. Ich werde wieder die Ablenkung übernehmen", erklärte sie und ich wollte etwas einwenden, doch schloss meinen Mund dann wieder. Wenn einer es schaffen konnte, die ganzen Monster abzulenken und dabei unverletzt zu bleiben, dann war es Suha. 

Zustimmend nickte ich und scannte mit meinem Blick kurz das Gelände ab. Innerhalb kürzester Zeit wusste ich, wo wir etwas entwenden konnten, sodass es möglichst unbemerkt blieb. Ich wandte mich zu Kalin. "Siehst du diese zwei Hausähnlichen Gebäude? Aus diesen beiden werden wir Vorräte plündern. Die Chance, dass wir dort nicht gesehen werden, ist groß. Sollte uns jedoch ein Monster da drin entdecken, sitzen wir in der Falle", gab ich sachlich von mir und erklärte somit das Risiko, dass wir eingehen würden. Kalin nickte einverstanden, ohne ein Widerwort einzulegen. 

Wir wechselten alle drei einen Blick untereinander um sicherzustellen, dass alle bereit waren. Zwei Sekunden später, nahm Suha Anlauf und sprang von der Erhöhung herunter, mitten ins Camp hinein. Kurz sackte mir das Herz ab, die Felsen waren sehr hoch und man konnte sich bei solch einem Sprung leicht verletzen. Doch ich wusste, dass ich vertrauen in sie haben musste und es blieb keine Zeit für Zögern. Wenn Suha sich nicht sicher gewesen wäre, dass sie den Sprung unbeschadet überstehen würde, dann wäre sie nicht gesprungen.

"Komm", sagte ich zu Kalin und bedeutete ihm, mir zu folgen. Ich bewegte mich weiter nach links am Rand der Felsen entlang. Ich wollte möglichst nah an das eine kleine Bauwerk heran. Dadurch, dass die Felsen so hoch lagen, mussten wir uns erstmal keine Sorgen machen, dass die Monster uns hier entdecken würden. Mit schnellen, aber leisen Schritten, bewegte ich mich fort. Als ich dann das erste Gebäude erreicht hatte, ließ ich meinen Blick durchs Camp schweifen. Suha rannte zwischen den verschiedenen Bauten hin und her und schaffte es dabei immer wieder zu verhindern, dass die Hilichurls sie einkreisten. Dann, nachdem sie alle Monster auf sich aufmerksam gemacht hatte, rannte sie ans andere Ende des Camps und die Monster folgten ihr. Das war unsere Chance. Ich begann mit dem Abstieg und versuchte mich zu beeilen. Die Felsen waren hoch, aber Suha konnte die Monster nicht ewig hin halten. Kalin war im Klettern deutlich schneller als ich und war als Erster wieder am Boden. Kurz darauf landete ich neben ihm.

Keiner hatte uns bemerkt und wir hatten es geschafft, nicht allzu viele Geräusche von uns zu geben. Ich bemerkte, wie Kalin sich bemühte, meine Vorgehensweise beim Laufen zu kopieren, um Fehler zu vermeiden. Es verlieh mir ein Stück weit ein zufriedenstellendes Gefühl. Das bewies, dass Kalin doch nicht alles konnte.

Kalin folgte mir und begann augenblicklich, nachdem wir in dem ersten Gebäude verschwunden waren, die Kisten und Fässer zu plündern. Er war wirklich schnell, weshalb wir schon nach  kürzester zeit dabei waren, das andere Gebäude zu beklauen. Auch hier war kalin in Windeseile durch und ich beeilte mich, das runde Bauwerk zu verlassen. 

Kalin bewegte sich schnellen Schrittes wieder auf die erste Hütte zu und begann die Felswand hochzuklettern, um wieder auf die Felsen zu kommen. Ich kletterte ihm hinterher und kurze Zeit später ließen wir uns ein Stück entfernt von dem Camp ins Gras fallen. Es dauerte nicht lange, bis Suha zu uns stieß. Zufrieden  streckte ich ihr einen Daumen hoch entgegen, zu außer Atem, um zu sprechen. Kurz schloss ich meine Augen, nur um sie ein paar Augenblicke wieder zu öffnen. Suha streckte mir eine Hand entgegen und ich nahm sie, nur damit sie mir hoch helfen konnte. 

"Na das lief doch wie geschmiert", sagte sie und ein kleines Lächeln trat auf ihre Lippen. Ja, es lief gut, aber das Risiko war trotzdem hoch gewesen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis mal etwas schief gehen würde. 

"Wir sollten zurück gehen, wenn wir unsere Materialien noch bis Sonnenuntergang abgeben wollen", ergänzte ich stattdessen mit einem besorgten Blick zum Horizont, der bereits begann, sich rosa zu färben. 

"Wir schaffen es nicht mehr, zu laufen. wir müssen uns teleportieren", überlegte Kalin und widerwillig sah ich ihn an. Da ich meine Materialien noch nicht abgegeben hatte, betraf dieser Teil nun auch meine Prüfung und wenn ich mich teleportierte, würden mir Zusatzpunkte verloren gehen, die ich eigentlich brauchte. Doch ich wusste, dass der Weißhaarige recht hatte. Uns blieb keine Wahl, wenn wir es noch rechtzeitig schaffen wollten. Und weniger Punkte waren mir lieber als gar keine Punkte. Also folgte ich dem Älteren zum nächsten Teleportationspunkt und teleportierte mich gemeinsam mit den anderen nach Mondstadt City. 

Den Weg zu dem Wandelgang, an dem wir unsere Ausbeute abgaben, legten wir schweigend fort. Gerade als ich meinen Namen an einem der Tische genannt und meine Materialien abgegeben hatte, sprach Kalin mich an. "Ayumi", kam es aus seinem Mund, ohne einen feindlichen Unterton. 

Leicht überrumpelte sah ich ihn an. Schon zum zweiten Mal heute redete er mich mit meinem Namen an und nicht mit diesem albernen Spitznamen. 

"Danke", sagt er nur und ich dachte erst ich hätte mich verhört. Ich blinzelte und das Wort hallte in meinen Ohren wider. Es war nur ein Wort, aber ich hätte niemals gedacht, dass Kalin es einmal an mich richten würde. 

Bevor ich etwas darauf sagen konnte, hatte der Ältere sich schon abgewandt und verschwand aus meinem Sichtfeld, ohne dass er mir noch einmal Aufmerksamkeit schenkte. Ich hatte keine Ahnung, was in den letzten Stunden passiert war und ich wusste noch nicht ganz, wie ich es einordnen sollte.

Valor // Genshin Impact Albedo FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt