Gisele Colbyn

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Celines POV Kapitel


Das grauenhafte schrille Geräusch des Weckers riss die Frau aus ihren Träumen, hinein in die harte Realität. Es war bereits das dritte Mal an diesem Morgen, dass ihr Wecker klingelte. Mit Nathalie an ihrer Seite, die sie morgens wecken kam, war es deutlich einfach und auch angenehmer aufzustehen. Doch war das momentan nicht möglich.
Mit einem leisen Grummeln riss sie die Decke von sich und schwang sich aus dem Bett. Eigentlich wollte sich Celine noch ein paar Tage mehr Urlaub nehmen, damit sie sich um ihre Schwester kümmern könnte. Doch nicht nur hatte diese das vehement abgelehnt, noch hatte Celine jetzt die Zeit dafür. Bald müssten die finalen Prüfungen zum Abschluss des Lehrgangs geschrieben werden, bevor es dann in die wohlverdienten Sommerferien ging. Und dafür müsste Celine ihre Klasse vorbereiten. Deshalb konnte sie sich momentan nicht viel freinehmen. Nathalie hatte ihr versichert, dass sie zurechtkommen würde und sich ihre Schwester mehr auf die wichtigen Dinge konzentrieren sollte. So, wie sie es immer tat. Wieso konnte sie nicht einmal einsehen, dass sich Leute gern über sie kümmerten? 
Im halb wachen Zustand schlich die Frau zur Kaffeemaschine. Mit einem lauten Gähnen versuchte sich dabei die Substanz in die Tasse zu schütten, wie sie es jeden Morgen tat, nur um dabei festzustellen, dass die Kanne leer war. 
Genervt stieß sie ein leises Raunen aus, um danach beleidigt zum Waschbecken zu gehen. 
Als damals Nathalie ihren Vater verloren hatte, war Celine zu ihrer Schwester geeilt, um als letztes Stück Familie was sie noch hatte, beizustehen. Seitdem lebten sie zusammen. Das war 9 Jahre her. 
Doch noch nie zuvor hatte Celine ihre Schwester in diesem Zustand gesehen, wie an diesem Abend. So kaputt, schwach, nicht einmal in der Lage ihre eigenen Gefühle verbergen zu können und sie stattdessen offen auf der Zunge zu tragen. Ihr Blick war leer. Ihr Haar zerzaust. Die Kleidung dreckig. Wobei es ein Wettrennen zu sein schien, wer dreckiger war. Die Frau oder ihre Kleidung. Nur schien sie das nicht mal zu interessieren. 
Mit dem Ersatzschlüssel, den sie mal vor Jahren für Notfälle, die jedoch nie eingetreten waren, bekommen hatte, verschaffte sie sich den Zugang zur Wohnung.
Sie fand ihre Schwester an diesem Abend, wie sie auf der Couch saß, in eine Decke eingewickelt und mit Taschentüchern, die überall um sie herum verstreut waren. Die Wohnung war noch immer so, wie Celine sie in Erinnerung hatte. Und alles an ihr erinnerte sie sofort an Gaspard. Was wohl den Zustand ihrer Schwester erklärte. 
Nathalie sprach nicht mir ihr. Sie wirkte auch nicht als würde sie überhaupt wahrnehmen, dass ihre Schwester die Wohnung betreten hatte. Der einzige Laut den sie von sich gab war der, wenn sich erneut Tränen in ihren Augen bildeten.
Ohne zu zögern hatte sich Celine darauf hin aus persönlichen Gründen Urlaub genommen. Ihre Klasse war an dem Punk nebensächlich, denn der Zustand ihrer Schwester war definitiv ein Notfall.
Nachdem sie Nathalie in ihrem Zustand aufgefunden hatte, hatte sie Gabriel direkt die Krankmeldung in den Briefkasten geworfen. Diese hatte das zwar nicht beantrag und Celine hatte es für sie entschieden, doch schien das Gabriel nicht zu stören. Viel mehr schien er das für den letzten Grund zu halten, der Öffentlichkeit zu erklären, dass die bevorstehende Collection auf unbestimmte Zeit pausiert werden würde, bevor auch er von den Augen der Öffentlichkeit verschwand. Zumindest wurde es danach sehr Ruhig um den Modekönig von Paris.
Es kostete Celine ein paar Tage, in welchem sie versuchte die bitteren Tränen ihrer Schwester zu trocknen und ihr zu helfen, langsam wieder auf die Beine zu kommen.
Die ersten Tage ging es mehr darum, dass ihre Schwester überhaupt erst wieder mit ihr reden würde oder sie wahrnehmen würde. Die Beerdigung müsste geplant werden. Und Sachen müssten weg geräumt werden.
Celine konnte sich noch daran erinnern, wie sie eines Abends zusammen auf der Couch saßen und Nathalie plötzlich, aus heiterem Himmel ihren Kopf auf die Schulter ihrer Schwester gelegt hatte. Mit gebrochener Stimme die schon fast von den Geräusch des Fernsehers verschluck wurde hauchte sie eine leises aber ehrliches "Danke schön" hervor.
Und mit einem Lächeln hatte Celine festgestellt, dass damit ihre Schwester auf dem Weg der Besserung war. 
Bevor sich beide versehen hatten, war ein Monat vergangen und die Frau die eigentlich nur temporär bei ihrer Schwester bleiben wollte, war eingezogen. Oder viel mehr war sie einfach nie wieder gegangen, wodurch Beide eine WG gegründet hatten.

Die Erinnerungen an damals ließen Celine müde lächeln. Seit dem war so viel Zeit vergangen und so viel hatte sich verändert. Nathalie war noch erfolgreicher in ihrem Job geworden und hatte nebenbei noch geholfen Adrien groß zu ziehen. Celine selbst war von einer einfachen Aushilfslehrerin zu einer Klassenlehrerin geworden. Und ihr hatten es schon so viele Schüler geschafft, einen guten Abschluss zu bekommen und auch ihren Notenschnitt deutlich anzuheben. Sogar zur Vertrauenslehrerin hatte man sie gewählt.
Aber auch im Privaten hatte sich viel verändert. Das Band welches die Beiden Schwestern umgab, hatte sich gefestigt und war nun an einem Punk an welchem es unzerstörbar zu sein schien. Nichts könnte die Schwestern wieder auseinander bringen. 
Und doch.. wurde Celine schwer ums Herz. 
Mit der gefüllten Kanne, in welchem sich jetzt das Wasser befand, ging Celine zurück zur Maschine um diese zu befüllen.
"Hey, Nathalie?" rief auf einmal eine Kinderstimme durch ihren Kopf.
"Ja?"
"Glaubst du, dass wir immer zusammen sein werden?"
"Ja. Wir werden immer zusammen sein. Immerhin bist du doch meine liebe kleine Schwester~"

 Erst als sie den Filter aus der Verpackung nahm, fiel ihr auf, wie eine glasige Flüssigkeit auf diese herunter tropften. Diese Unterhaltung hatte Celine mit ihrer Schwester vor einem halben Jahrzehnt gehabt. Wieso machte sie das genau jetzt traurig? 
Tränen hatten sich in ihren Augen gebildet die nun ihren Weg ins Freie suchten. Hastig strich sie mit ihren Finger über ihre Augen, um sie zu stoppen, das alles hier war doch kein Grund wie eine Kind los zu weinen!
"Meine liebe kleine Schwester" wiederholte die Stimme in ihrem Kopf noch ein weiteres mal und
die Tränen hörten nicht auf. Sie wurden nur noch intensiver.
Mit zittrigen Händen, klammerte sich Celine an die Umrandung der Theke.
Schmerzhaft realisierte sie, wie sehr sie sich an ihre Schwester gewöhnt hatte. Mit ihr zusammen zu wohnen. Sie fast jeden Morgen sehen zu können. Sie war immer so unauffällig gewesen. Ruhig. Hatte nie Probleme gemacht. 
Wieso nur hatte man sie ausgewählt um ein Held zu werden? Warum musste es denn ausgerechnet sie gewesen sein? Warum konnte sie nicht einfach wieder nur Nathalie sein? Die Nath die sie kannte? Die Nath die sie so sehr liebte. 
Die sie morgens genervt aus dem Bett warf und trotzdem immer darauf achtete, dass Kaffee und Frühstück bereit standen. Warum musste diese denn nun auch die Heldin sein, auf welcher man es abgesehen hatte? Die ihr Leben riskiert hatte um Leute zu retten? Wer würden denn sie retten, wenn man ihr Nathalie wegreißen würde?
Ängstlich und gequält von diesen Gedanken, klammerte sie ihre Arme um sich selbst als sie langsam an der Theke herunter glitt um auf dem Boden zu hocken, während die Tränen unerbittlich weiter fielen. 



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Hedgehogs DilemmaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt