Kapitel 58

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Während Marcus mit Lucien in eine Diskussion über den Stand der Vorbereitungen vertieft war und Sorin teilnahmslos vor sich hin starrte, schenkten sich Derek und Caleb an der Anrichte ein Glas Blut ein.

»Was hältst du von Marcus' Idee?«

Caleb zuckte mit den Schultern.

»Klingt alles vernünftig. Warum sollten wir uns bekriegen?«

»Es scheint, die älteren Herrschaften haben ein Problem damit«, sagte Derek mit einem Blick auf die anderen. »Von Sorin will ich gar nicht erst anfangen, aber auch Lucien ist nicht begeistert. Du hast ja Zeit mit diesem Devin verbracht. Was denkst du von ihm?«

»Du hattest doch mit den beiden anderen Wölfen zu tun, wie waren die denn drauf?«

»Die waren betäubt vom Taser, gefesselt und hatten einen Sack über dem Kopf. Nicht die besten Voraussetzungen, jemanden näher kennenzulernen. Also?«

»Ach, wie schon gesagt, etwas nervtötend ab und zu, aber ganz in Ordnung. Der hatte vorher genau so viele Vampire gesehen wie ich Werwölfe. Nach unseren Werwolfdossiers hatte ich eigentlich primitive und instinktgetriebene Bestien erwartet, aber die wurden wohl auch von jemanden geschrieben, der keine guten Erfahrungen mit ihnen gemacht hat. Die jüngeren Generationen auf beiden Seiten schleppen keine Altlasten mit sich herum, nicht wie unsere Oldies hier.«

Sie kehrten an den Tisch zurück, wo Lucien sich gerade in aller Ausführlichkeit über die Fahrzeugverteilung und Besatzungen ausließ und lange Listen herumreichte. Auch Marcus konnte ein Gähnen kaum unterdrücken.

»Nein, wir machen es anders«, meldete sich Sorin nach seinem langen Schweigen wieder zu Wort.

»Du willst unsere sorgfältige Planung in letzter Minute umwerfen?«, fragte Lucien ungläubig.

»Ja.«

»Es freut mich, dass du meine Pläne wieder unterstützt, aber vielleicht erklärst du, was du damit meinst«, sagte Marcus.

»Ich halte deine Idee nach wie vor für falsch, das habe ich dir auch gesagt, aber du bist das Oberhaupt. Ich will ja keine Palastrevolution. Und ich kann nicht ausschließen, dass ich mich in etwas verrannt habe und falsch liege. Unsere Pläne sind gut, schließlich habe ich die selbst entwickelt, aber ich hatte nicht mit der Kriegsdrohung der Wölfe gerechnet. Wir haben die Fahrer, die Ziele, die Besatzungen und die Wagen festgelegt, die benutzt werden sollen. Was aber, wenn davon irgendetwas nach außen durchgesickert ist? Wir sollten etwas mehr Zufall ins Spiel bringen. Die Fahrer suchen sich auf gut Glück ein Auto aus, die Mitfahrer werden bunt zusammengewürfelt mit manchmal zwei, drei oder vier Personen und wohin sie fahren und wie sie eventuelle Verfolger abhängen, überlassen wir jedem Einzelnen. Am Ende treffen wir uns alle in Neckbite Manor.«

Während Lucien entsetzt zwischen Sorin und seinen sorgfältig vorbereiteten Listen hin und her schaute, nickte Marcus langsam.

»Was du sagst, ergibt Sinn. Nun schau nicht so, Lucien. Etwas Chaos würden die Wölfe bei einer militärischen Aktion nicht erwarten, es ist nicht wie damals bei deiner Legion.«

»Aber, Herr ...«


Ihre Besprechung wurde durch ein Klopfen an der Tür unterbrochen.

»Ja, bitte!«

Eine der Wachen vor Sorins Appartement steckte den Kopf herein.

»Marcus, die Wölfe wollen mit dir reden.«

»Jetzt wird es interessant«, flüsterte Marcus seinen Mitstreitern zu und fuhr dann mit normaler Stimme fort: »Führ sie herein.«

Die Wache öffnete die Tür ganz und gab den Weg frei. Nebeneinander nahmen die drei Werwölfe Aufstellung.

»Was gibt es?«

Sie schauten sich untereinander an, schließlich stieß Kyle Devin mit der Schulter an.

»Wir haben miteinander geredet und beschlossen, freiwillig mitzukommen.«

»Schön. Und wie kam es zu dieser überraschenden Entscheidung?«

»Zum einen, was du gesagt hast. Wir wollen aber mehr darüber erfahren. Deine Pläne, diese Allianz und so weiter. Und zum anderen ... es gibt da ein paar Dinge, die wir mit unseren Leuten klären wollen, bevor wir zurückgehen.«

Marcus überlegte einen Moment und nickte.

»Gut. Du und dein Mate werden mit mir und Derek fahren ...«

»Das kannst du nicht machen, Marcus! Viel zu gefährlich«, unterbrach Sorin.

»Sorin, wenn wir Vertrauen aufbauen wollen, muss einer den ersten Schritt tun. Ihr Wölfe, gebt ihr mir euer Wort, dass ihr keine Spielchen auf der Fahrt versucht?«

»Wir schwören es.«

Marcus schaute ihnen tief in die Augen und nickte.

»Ich glaube euch.«

»Das ist Leichtsinn!«, fauchte Sorin.

Caleb sah, dass Marcus kurz davor war, die Geduld zu verlieren, und wollte gerade vermitteln, als Devin das Wort ergriff und sich direkt an Sorin wandte: »Was ist eigentlich dein Problem, du blöder Aushilfszombie? Seit ich hier bin, ignorierst und beleidigst du mich, obwohl ich nichts getan habe. Meinst du, wir hätten Grund, euch Vampiren zu trauen? Warst du damals bei dem ersten heimtückischen Überfall auf die Werwölfe auch dabei? Würde mich bei einem wie dir nicht wundern.«

Sorins Augen verfärbten sich blutrot, seine Züge verzerrten sich und er stieß ein wütendes Fauchen aus. Er holte tief Luft, um eine Antwort zu geben, als er von Marcus gebremst wurde.

»Sorin, lass es gut sein. Er hat recht und denk daran, was du selbst vor ein paar Minuten gesagt hast. Uns gegenseitig zu beleidigen und zu misstrauen bringt uns alle nicht weiter. Also bitte!«

Sorin murmelte etwas vor sich hin, aber verzichtete auf eine Antwort.

»Nachdem das geklärt ist, brauchen wir noch eine Mitfahrgelegenheit für dich«, sagte Marcus und deutete auf Mike.

»Ich fahr mit dem Hulk.«

Luciens Kopf ruckte hoch und er schaute ihn böse an.

»Hey, das war keine Beleidigung! Ich fand den Hulk schon als Kind toll. Ich hab alle Filme gesehen und die Comics verschlungen«, beschwichtigte Mike sofort.

»Für die Zukunft nennst du ihn besser Lucien oder sprichst ihn mit Präfekt an«, schlug Marcus mit einem leichten Lächeln vor.

»Präfekt? Römerfilme fand ich auch immer cool.«

Lucien verdrehte die Augen, murmelte: »Verdammtes Hollywood!«, aber schien halbwegs versöhnt.

Caleb staunte.

Das hätte mir einfallen sollen, dann hätte ich mir ein paar Trainingsstunden erspart.

»Lucien, informierst du die Anderen und holst bitte die Ausrüstung für unsere Gäste? Der Rest kann sich schon mal umziehen.«

Wolfswandler III: ZeitenwandlerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt