Kapitel 66

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Jemand rüttelte Devin unsanft an der Schulter. Er grummelte irgendwas und versuchte weiterzuschlafen. Doch der Störenfried war hartnäckig. Schließlich gab Devin auf und öffnete die Augen. Mikes breites Grinsen begrüßte ihn.

»Guten Morgen oder besser Abend, Gesegneter. Sag mal, hat Kyle auch geschnarcht?«

So kurz nach dem Aufwachen war Devin noch nicht bereit für größere geistige Leistungen und brauchte einen Moment, um sich zu sortieren.

»Was meinst du?«

Mike deutete mit einer Kopfbewegung nach unten und Devins Blick folgte ihm. Überrascht stellte er fest, dass eine seiner Hände bei Mike, die andere bei Kyle in der Hose steckte und auf strategisch wichtigen Körperteilen ruhte. Dumpf erinnerte er sich. Er hatte zwischen den beiden gelegen und geschlafen, als plötzlich wieder dieser Lärm anfing. Im Halbschlaf hatte sein Hirn ihm die Lösung »Sack kraulen« serviert und weil er nur seine Ruhe wollte, hatte er sicherheitshalber auf beiden Seiten seine Hände eingesetzt.

»Oh!«, stieß er hervor und zog seine Arme ruckartig zurück, was dann auch Kyle unsanft weckte.

»Autsch! Bist du bescheuert?«, fluchte er und setzte sich auf. Auch Mike war das Grinsen bei Devins Rückzug vergangen und durch einen eher gequälten Gesichtsausdruck ersetzt worden.

»Tut mir leid, ich ... äh ...«, stammelte Devin.

Themawechsel.

»Wie spät ist es?«

»Viertel vor Sonnenuntergang«, sagte Mike und deutete auf das Warnlicht über den Fenstern. »Genauer geht's nicht, es gibt keine Uhr hier drin. Die Wache war eben hier und hat gesagt, dass Marcus mit uns reden will.«

»Also dieser Wach-Schlaf-Rhythmus von den Vampiren ist nichts für mich. Ich komme mir vor wie durchgekaut und ausgespuckt!«, klagte Devin.

»Das ist bestimmt auch nicht gut für das Baby.«

»Ach Kyle, weder ich, noch das Baby sind aus Zucker. Mach dir mal keine Sorgen.«

»Ich meine es ja nur gut.«

»Ich weiß doch, mein Knuffel«, sagte Devin und drückte Kyle einen Kuss auf, der sich zu einem leidenschaftlichen Knutschen entwickelte.

»Bis ihr fertig seid, geh ich schon mal duschen«, meinte Mike und schwang die Beine aus dem Bett.


Sie waren gerade fertig mit antrocknen und anziehen, als es an der Tür klopfte. Auch hier hatte man freundlicherweise Jogginghosen und T-Shirts in allen Größen bereitgestellt.

»Ja, bitte?«

Lucretia und eine Wache kamen mit Tabletts herein und stellten sie auf dem kleinen Tisch ab. Unter den gegebenen Umständen durchaus ein akzeptables Frühstück. Sie hatte es sich nicht nehmen lassen, für Devin wieder ein Glas frisch gepressten Orangensaft mitzubringen. Sie deutete auf ein kleines Kännchen.

»Für dich habe ich Fencheltee gemacht. Die anderen bekommen Kaffee, aber das ist nichts für Babys.«

Sie strahlte ihn mütterlich an. Von dem Feldwebel, der gestern Marcus zusammengefaltet hatte, war nichts mehr zu sehen.

»Ähm, vielen Dank. Das ist sehr nett«, gab Devin unsicher zurück. Er wusste immer noch nicht so recht, was er von ihr halten sollte.

Sie wartete ab, bis Devin sich eine Tasse eingeschenkt und einen Schluck getrunken hatte.

»Mmh, der ist aber gut«, heuchelte Devin Begeisterung, obwohl er Tee nicht viel abgewinnen konnte. Tee war immer das Allheilmittel seiner Mutter bei Beschwerden aller Art gewesen. Erkältung? Pfefferminztee. Halsschmerzen? Kamillentee. Liebeskummer? Hagebuttentee. Offenbar gab es für Mütter – und solche, die es werden wollten – ein Handbuch mit eindeutigen Hinweisen, welcher Tee für welches Wehwehchen Wunderheilung versprach.

»Weißt du schon, was es wird?«, fragte sie fast schüchtern.

»Nein«, sprang Kyle ein, »Wir wissen nur, dass es ein Werwolf wird.«

»Ein kleiner Wolfswelpe! Entzückend!«, schwärmte Lucretia. »So, und nun esst, Marcus will euch sehen.«

Sie bedachte Devin mit einem letzten warmen Blick und drehte sich um zur Wache.

»Was stehst du eigentlich hier rum? Lass sie in Ruhe frühstücken.«

Da war er wieder, der Feldwebel vom Tag zuvor. Sie scheuchte ihn vor die Tür und ging ebenfalls.

»Das wär 'ne Schwiegermutter, was, Kyle?«, sagte Mike lachend und patschte auf Kyles Schulter.

»Na danke. Mit dem Exemplar, was ich als Schwiegermutter habe, bin ich schon ausreichend bedient.«

Devin versuchte sich möglichst selbstverständlich und unauffällig Kyles Kaffee zu ergaunern, wurde aber sofort ausgebremst.

»Sie hat Recht. Kaffee ist nicht gut für das Baby.«

Grummelnd nahm sich Devin ein Brötchen und begnügte sich notgedrungen mit dem Tee.


Nach dem Frühstück ließen sie sich von der Wache zu Marcus führen. Dort fanden sich auch die anderen Vampire, die sie bereits kannten: Derek, Sorin, Caleb und Lucien.

»Ich hoffe, ihr seid gut erholt. Dann wollen wir weitermachen. Habt ihr über mein Angebot nachgedacht?«

Sie schauten sich an.

»Grundsätzlich klingt es gut, aber was hast du dir konkret vorgestellt?«, fragte Devin.

»Zunächst einen generellen Friedensvertrag. Details kann man im Nachgang regeln. Und für die Zusammenarbeit ... da dachte ich an ein gemeinsames Pilotprojekt. Ein Ort, wo Vampire und Werwölfe zusammen leben und arbeiten. Ich weiß, dass es auf beiden Seiten Vorbehalte gibt«, hier ging ein kurzer Seitenblick zu Sorin, »und ich will den Leuten die Gelegenheit geben, sich langsam daran zu gewöhnen. Wenn man sie überfordert, gibt es nur Ärger. Aber eine Gegenfrage: Habt ihr eine Idee, wie wir weiter mit den Werwölfen verfahren sollten? Dieser alte Kläff..., äh, Verhandlungsführer vom letzten Mal scheint mir nicht sehr flexibel.«

»Wir könnten unseren Alpha anrufen und hören, was er dazu sagt. Kyle, weißt du Neils Nummer?«

»Nein, unsere Handys sind ja noch auf der Wolfsburg. Nur die von meinen Eltern.«

»Dann ruf die an«, sagte Marcus und hielt ihm ein Handy hin.

Kyle tippte und wartete.

»Geht keiner ran.«

»Lass mich mal«, meinte Devin und wählte die Nummer seiner Eltern. Der Ruf ging hin, aber es wurde nicht abgenommen. Er versuchte die einzige andere Nummer, die er noch auswendig kannte: Bri. Da hatte er direkt die Mailbox dran.

»Auch nichts, Mist! Mike, kannst du jemanden aus deinem Rudel anrufen?«

»Ich kann mir keine Zahlen merken. Bin schon froh, dass ich weiß, wann mein Geburtstag ist.«

»Verdammt!«

»Dann bleibt wohl doch nur der alte Kläffer«, seufzte Marcus und machte sich an seinem Laptop zu schaffen.

»Komm her, Devin. Alle anderen bleiben außer Sichtweite der Kamera.«

Kurz darauf stand die Verbindung und Melvin schaute sie an.

Wolfswandler III: ZeitenwandlerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt