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 Wanting to be someone else is a waste of the person you are -Kurt Cobain-

Ylvi

Es ist einer dieser Tage, die man am besten sofort wieder vergisst, kaum das sie angefangen haben. Gedanklich entsorgt man sie in den Müll, bevor es Abend wird, und bringt dann seine endlosen Stunden hinter sich. Längst wird meine Mutter bei der Arbeit erwartet, aber sie liegt noch im Bett, weil sie gestern wieder mal einen über den Durst getrunken hat. Es war der 24. April. Ein Tag, für den es keinen Mülleimer gibt. Zumindest hat sie ihn nie gefunden. Manchmal ist es besser, die Vergangenheit loszulassen. Aber was, wenn ihre Auswirkungen für immer spürbar bleiben?

„Mama, du musst zur Arbeit," unternehme ich einen Versuch, der von vorneherein zum Scheitern verurteilt ist, und haste in ihr Schlafzimmer. Mit einem genervten Seufzer reiße ich die speckigen Vorhänge auf, um das Fenster zu öffnen. Sofort dringt Straßenlärm herein und die Stimmen der Leute unten vor der Tür, die über Gelegenheitsjobs und günstiges Gras fachsimpeln.

Die Luft ist so schwer vom Alkoholdunst, dass ich befürchte, selbst betrunken zu werden, wenn ich zu tief einatme. „Mach' die verdammten Vorhänge zu!" Schimpft meine Mutter und zieht sich die Bettdecke über den Kopf.

Ich überlege einen Moment, ob es ratsam wäre, ihr die Decke wegzureißen, aber der Blick auf meine Armbanduhr verrät, dass keine Zeit mehr für hitzige Diskussionen über den Sinn des Geldverdienens bleibt. Ich bringe ein kurzes „Wie du meinst, bis später," hervor und eile aus dem Zimmer. Die alte Kaffeemaschine spuckt keuchend ein paar Tropfen aus. Die Plörre ist stark wie Gift und somit genau das Richtige für einen Tag wie diesen. Ich kippe das Gebräu herunter und scrolle durch mein Whats App'. Nichts Neues, außer, dass Jayden jetzt bei Marcio fest als Kellner eingestellt ist. Wenigstens eine positive Nachricht an diesem beschissen anfangenden Tag. Hastig schlüpfe ich in meine ausgelatschten Vans, schnappe mir Rucksack und Mantel und ziehe die Tür hinter mir zu, um zur Bushaltestelle zu laufen.

Ich befürchte, die Resignation steht mir ins Gesicht geschrieben, als ich in den Bus einsteige. Die normalerweise pöbelnden Schüler weichen mir bereitwillig aus. Erleichtert lasse ich mich auf einen freien Sitz am Fenster fallen und schiebe mir die Kopfhörer in die Ohren. Doch irgendwas stimmt heute mit meinem Handy nicht. Ständig wird die Verbindung unterbrochen. Die Lieder geraten ins Stocken. Mit einem Seufzer nehme ich die Dinger wieder raus und feuere sie in meinen Rucksack. Der Bus steuert mittlerweile geradewegs auf den besseren Teil der Stadt zu. Mit jedem Meter, dem wir uns diesem Gebiet nähern, werden die Gesichter sorgenfreier. Zorn und verzweifelte, dauertelefonierende Hektik weichen Ruhe und Gelassenheit. An den Esstischen macht Vodka frisch gepresstem Orangensaft Platz. Teure Faltencremes glänzen auf gelifteten Gesichtern.

Der Bus hält an. Zischend öffnen sich die Türen. Ein hochgewachsener Mann steigt ein. Er ist höchstens 24. Eher jünger. Aber da verbirgt sich etwas in seinem Blick, das nicht so recht zu der Unbeschwertheit dieser Gegend passt. Wie ein altmodischer Fächer ragt ihm das rabenschwarze Haar in die Stirn. Ich erkenne, dass er es am Hinterkopf zu einem kleinen Dutt gebunden hat. Lässig ergreift er die Haltestange und fischt mit der freien Hand sein Handy aus der Tasche seiner Lederjacke. Mit einem verächtlichen Plumpsen kommt der ebenso schwarze Rucksack auf dem Boden auf.

Längst ist es an der Zeit wegzusehen. Aber das ist nicht möglich. Denn er erwidert meinen Blick. Den Bruchteil einer Sekunde weiten sich seine dunkelbraunen Augen. Die Wärme in meinen Wangen veranlasst mich, den Kopf endlich in Richtung Fenster zu drehen. Doch ich spüre seinen Blick im Nacken wie die Berührung eisiger Finger.

Eine Frauenstimme ertönt. „Wir haben keinen Champagner mehr. Der Vevue Cliquot Diebstahl ist aufgeflogen. Deine Mum garantiert für nichts. Ich konnte meinem Alten drei Flaschen aus den Rippen leiern, aber das sind Meine. Meine, Niklas, kapiert?! Und halt den Sabbel in der Angelegenheit, sonst gibts drei Wochen keinen Sex mehr."

Fame and DeathWo Geschichten leben. Entdecke jetzt