Niklas
Ich erwache mit schmerzendem Nacken und einem seltsamen Gefühl direkt in meinem Herzen. Ylvi hat sich inzwischen auf den Bauch gedreht . Anscheinend ihre favorisierte Schlafposition. Vorsichtig streiche ich ihr das Haar beiseite, das wie ein dunkles Nest ihr schönes Gesicht verhüllt. Ein Streifen Sonnenlicht berührt zärtlich ihre Haut. Ich tue es ihm nach. Ganz vorsichtig mit den Fingerspitzen. Sie murrt leise.
Jetzt würde ich sie gerne in meine Arme ziehen und weiterschlafen. Mein Gesicht in diesem Haarnest vergraben und die Welt da draußen nicht an uns heranlassen. Aber das geht nicht. Die Dinge funktionieren nicht auf diese Weise. Nicht in der Welt ,aus der ich komme. Vorsichtig stehe ich auf und taste nach dem Handy in meiner Hosentasche.
Meine Beine sind zittrig und leicht taub als ich mich zum Ausgang des Baumhauses taste wie ein blinder alter Mann. Ich muss unbedingt den schalen Geschmack aus meinem Mund vetreiben. Es ist noch früh . 6:40 Mum und mein Vater schlafen sicher noch.
Vanessa hat mir ein paar Nachrichten geschickt. Aber ich lese sie nicht. Auch von Alex ist was dabei. Es geht um das Referat. Er will wissen, ob ich es bereits fertiggestellt habe. Ich werde ihm später antworten.
Meine Beine zittern stärker, als ich die morgendliche Stille meines Elternhauses betrete. Garfield, unser alter Kater streicht mir um die Beine, als ich durch die Hintertür trete. Ich hocke mich hin und kraule sein Fell. "Guten Morgen, Sohn." Ich starre auf ein paar grauer Pantoffeln. Mein Blick wandert an der seidenen Schlafanzughose aufwärts zu den verschränkten Armen und den breiten Schultern.
Ich sehen in das unnachgiebige Antlitz. Dieser verächtliche, immer enttäuschte Ausdruck löst ein paar ungebetene Erinnerungen in mir aus, als ich den Blick seiner kalten Augen erwidere. "Guten Morgen, Vater."
"Habt ihr zwei im Baumhaus geschlafen?" Ich zögere, bevor ich nicke. „Wir kommen zurecht," beeile ich mich hinzuzufügen. „Warum ist sie nicht mitgekommen?" Ihr hättet hier auch vernünftig zu Abend essen können, gestern."Er späht über meine Schulter. „Vanessa ist doch hier immer willkommen. „Sie schläft noch. Ich wollte nur kurz.."Sein unnachgiebiger Ton hätte mich beinah dazu gebracht, meinen Plan zu verraten.
„Zähne putzen," stammle ich. Aus mir ist wieder der kleine Junge geworden, der ins Bett gemacht hat und hofft dieses Malheur vor ihm verbergen zu können.
"Soso". Er nimmt Garfields Napf und füllt Milch herein. Mit einem kalten Klirren stellt er ihn zurück auf den Boden. "Eine Zahnbürste hast du ja sicherlich noch oben im Bad. Deine Mutter besteht ja darauf das du hier immer eine Art zuhause haben wirst." "Ich weiß," krächze ich.
Das Recken meines Kinns macht mich auch nicht größer. Und das, obwohl ich in um einige Zentimeter überrage. Er grinst, als wäre ich meines kümmerlichen Versuches bewusst. „Geht es ihr besser?" Erkundige ich mich nach meiner Ma, die in den letzten Wochen wieder vermehrt unter Stimmungstiefs leidet. Doch er weicht meiner Frage gekonnt aus.
„Schön, das Vanessa bereit ist deine Kindereien ein bisschen mit zu leben. Du solltest sie mehr schätzen." Er kneift mir ein Auge zu. Selbst mit dieser spielerischen Geste schafft er es Verachtung auszudrücken.
„Übernachten im Baumhaus. Mitten im April." Kopfschüttelnd wendet er sich von mir ab. "Vergiss nicht, das Licht auszumachen, wenn du gehst". Er murmelt Unverständliches, während er die Treppe herauf in der oberen Etage verschwindet. "Wir haben Mai," murmle ich und warte ab, bis das Geräusch seiner Schritte verstummt ist.
Dann gehe ich ebenfalls die ausgetretene Dienstbotentreppe hinauf. Gehe durch die Tür, die in den oberen Flur führt. Der Schlüssel, den ich suche lässt sich leicht von dem Bund in der goldenen Schale lösen, die auf den Schuhschrank steht. Ich versenke ihn in meiner Tasche und gehe die Treppe herauf, um mir die Zähne zu putzen. Danach husche ich mit einem freudigen Kribbeln im Magen zurück in den Garten.
„Du hast dir die Zähne geputzt." Ihr Gesichtsausdruck ist vorwurfsvoll. Ich muss schmunzeln. „Ich wollte nicht stinken, wenn du aufwachst. Das bisschen Würde musst du mir schon zugestehen." „Und was ist mit mir?" Sie streicht sich über das zerzauste Haar, als ginge davon ein schlechter Geruch aus, den man mit Zähneputzen beseitigen kann.
„Komm her." Ich breite die Arme aus. Sie zögert, doch dann kommt sie zu mir. „Du bist ganz durchgefroren," stelle ich fest. Tatsächlich fühlt ihr Körper sich kalt an. Mist! Verdammter Mist. Ich bin so ein Idiot. Warum kann ich nicht aufhören ihr mit meiner Unfähigkeit, sie loszulassen zu schaden? Der Drang, ihr etwas Gutes zu tun, macht sich in mir breit.
Mein Plan, ihr zu helfen, darf nicht in Vergessenheit geraten. Schon gar nicht darf ich ihn durch dieses komische Gefühl zunichte machen, das diesen Gürtel um meine Brust gelegt hat.
„Ich habe eine Idee."
"Hmm." Sie drückt ihr Gesicht an meine Brust. „Wir sollten hier verschwinden," wispere ich. „Okay," murmelt sie. "Auch wenn ich mich jetzt gerade so gar nicht in der Lage sehe, darunter zu klettern." „Musst du nicht." Ich deute auf den Zahnstangenaufzug, dessen Plattform ich zur Tür hinaufgekurbelt habe." Ich liebe dieses Ding," murmelt sie . Bilde ich es mir nur ein oder liegt Besorgnis in ihrem Blick, als ich mich daran mache ,den Baum herunterzuklettern?
Der Gürtel um meine Brust wird wieder ein Stück enger. Ihr dunkles Haar leuchtet im fahlen Sonnenlicht rötlich und lässt das schimmernde Grün ihrer Augen beinahe surreal erscheinen. Ihre Wangen sind gerötet. Mein Pullover verbirgt ihre zarten Rundungen, doch der ausgeleierte Gummizug erlaubt einen Blick auf die zarte Haut und den Spitzenkragen oberhalb ihres Dekolletees.
„Deinen Anteil an Frühsport hast du defintiv erledigt," meint sie trocken als wir Hand in Hand zum Auto gehen. Wie selbstverständlich diese Geste geworden ist, die mir früher nie etwas bedeutete. Ehrlich gesagt, war es mir lästig, wenn meine Bekanntschaften darauf bestanden. Wer vögelt, hält kein Händchen, lautete die Devise. Und was mache ich nun? Ich scheine diese Devise bestätigen zu wollen. Die letzte Nacht war für meinen Körper eine echte Herausforderung.
Lange Zeit hielt mein Verlangen nach ihr mich auf qualvolle Weise wach, denn alles in mir will Ylvi berühren, ihr nah sein, sie voll und ganz spüren. Aber ich ziehe es vor, lieber Händchen mit ihr zu halten. Und gerade das sagt mir, das ich anfange, die Kontrolle zu verlieren. Doch ich werde sie wieder erlangen wenn es soweit ist. Vorher möchte ich ihr eine Freude machen. Nur ein einziges Mal, und dann vielleicht nochmal, solange bis ich das Gefühl habe, ein Anwalt mit reinem Gewissen werden zu können.
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Fame and Death
RomanceAuf dem Weg zur Arbeit trifft Ylvi den gut aussehenden Niklas von Bernstein, Jurastudent und Gitarrist der Band Fame and Death. Zu ihrem Leidwesen zieht er sie mit seiner lockeren Art sofort in ihren Bann. Doch je näher die beiden sich kommen, dest...