Ylvi
Neuer Tag neue Regeln. Leider ist das Leben nicht so unkompliziert, denn die Regeln bleiben dieselben, aber mit einem Quäntchen Glück schafft man es, sein Spiel zu verbessern. Oder eben nicht. Die Morgenroutine verläuft problematisch. Ich steche mir mit dem Mascarbürstchen ins Auge und trage zu viel Highlighter auf. Resigniert klatsche ich kaltes Wasser in mein müdes Gesicht. Mir fehlt die Übung. Zuletzt habe ich mich am Abend des Abschlussballs geschminkt. Und damals war Kara da, um mir zu assistieren.
Ich verscheuche den Gedanken an meine verlorene beste Freundin und schlurfe in Richtung Küche. Viola hat sich zwar von ihrem Delirium erholt, ist aber weit davon entfernt, sich wie ein normaler Mensch zu verhalten. Die ganze Nacht hat sie die Wiederholungen irgendwelcher TV-Shows geguckt.
Das dumpfe Dröhnen der Stimmen aus dem Fernseher hat mir den Schlaf geraubt. Das Ganze hat dazu geführt, dass ich mir ein Bukowskibuch aus dem Regal geschnappt habe um den Rest der Nacht mit Henry Chinaski, Bukowskis Alter Ego, zu verbringen. Mir fehlen noch zwei Kapitel, die ich nachher im Bus lesen werde. So werde ich hoffentlich die Gedanken und vor allem meine Augen von dem Cullen Rocker fernhalten. Im Vorbeigehen lasse ich den Blick über die kleine, aber feine Funko-Pop Figurensammlung auf der Kommode schweifen. Eines Tages werde ich mir Ned Stark ohne Kopf kaufen. Egal, in welchem Alter ich dann sein werde.
Ein vertrauter Duft steigt mir in die Nase. Die Lebensgeister erheben sich aus ihrem wenig erholsamen Schlaf. Wenigstens hat Viola die Kaffeemaschine entkalkt. Ich versuche, das als ersten Schritt zur Normalität zu werten. Aber mir ist bewusst, dass wir mit jeder verstrichenen Sekunde auf die nächste Entgleisung zurasen. Beim Gedanken daran beschleunigt sich mein Herzschlag. Was würde ich für ein Drama-freies Leben geben?
„Ich muss heute zum Tierpark. Sonst kündigen die mir." Sie hat den fragenden Blick auf die Kaffeetasse registriert. „Aha," seufze ich, „dann wäre es besser, nachts zu schlafen, anstatt vor der Glotze zu versauern." Kopfschüttelnd verzieht sie den Mund. „Hat nicht hingehauen," Sie tippt mit dem Zeigefinger an ihre Schläfe, „zu viele Gedanken. War halt ein Scheißdatum, gestern."
Ich nehme eine Tasse aus dem Schrank und gieße mir die gesegnete schwarze Flüssigkeit ein. „Ja," stimme ich zu, „das war es." Mein Handy vibriert auf dem Küchentisch. Verstohlen linst sie darauf. Schnell greife ich danach und blicke aufs Display. Eine Nachricht von Jayden. „Wo warst du gestern? "
„Habe die Mittagspause verpasst. Shirene hat mir eine Standpauke gehalten." Tippe ich. „Weitere Informationen gibts' nachher bei Marcio."
Ein Scheißhaufen-Emoji gepaart mit einem Augenrollen, ist die unmittelbare Antwort.
„Ist denn alles okay soweit?" Viola beugt sich vor und mustert mich mit schräg gelegtem Kopf.
„Klar," seufze ich betont gelassen und verschweige ihr, dass Shirene mich 2 Stunden nachdem das Rockerpärchen den Laden verlassen hat, zu sich zitierte.
So ginge man nicht mit Kunden um. Schon gar nicht mit solchen, die offenbar nicht nur kaufwillig, sondern liquide seien. Komme so etwas nochmal vor, werde sie mir den verpassten Umsatz vom spärlichen Lohn abziehen. Ihr ist keines meiner Worte entgangen. Oder aber die Blondine hat sich tatsächlich beschwert. Letzterer Gedanke treibt mir ein Lächeln auf die Lippen. Ich sehe das amüsierte Grinsen des Cullen-Rockers vor mir.
Meine Hände umklammern die warme Kaffeetasse. Violas gerötete Augen scannen mein Gesicht. Der Blick deutet eine Frage an. Ein letzter Schluck. Dann fliehe ich in den Flur. „Viel Spaß im Tierpark Ma,", eilig schlüpfe ich in Schuhe und Mantel, greife nach den Schlüsseln und ziehe die Tür hinter mir zu.
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Fame and Death
RomanceAuf dem Weg zur Arbeit trifft Ylvi den gut aussehenden Niklas von Bernstein, Jurastudent und Gitarrist der Band Fame and Death. Zu ihrem Leidwesen zieht er sie mit seiner lockeren Art sofort in ihren Bann. Doch je näher die beiden sich kommen, dest...