37 | Therapy & Alcohol

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Müde sah ich aus dem Fenster, beobachtete die rötlichen Blätter, die von den Bäumen auf den Boden fielen. Langsam glitten sie auf die gefrorene Erde. Die Sonne hatte sich verzogen und das Wetter war grau und düster.
"Schön, dass du gekommen bist, Taehyung.", sagte der Mann mir gegenüber und lächelte mich freundlich an. 
Stumm musterte ich ihn, beobachtete wie grazil er die Beine überschlagen hatte und die Haare zurückstrich. Er war ein attraktiver Mann, keine Frage.
"Ist nicht so als hätte ich eine Wahl gehabt.", murmelte ich nur und wandte den Blick wieder zum Fenster. Namjoon und die anderen hatten mich doch tatsächlich dazu gebracht zu einem Psychologen zu gehen. Obwohl gezwungen wohl das passendere Wort wahr. Bei den letzten Trainingseinheiten war ich immer wieder in Ohnmacht gefallen und nachdem ich manchmal gar nicht alleine aufstehen konnte, beschlossen sie alle gemeinsam, dass ich herkommen musste. Auch Jungkook. Auch wenn er sagte, dass er auf meiner Seite war schickte er mich hierher. Es gab nichts womit er mir helfen konnte. Ich war eine Enttäuschung, man sollte mir gar nicht helfen.
"Das heißt du bist glücklich mit deinem Leben?" Ich zuckte mit den Schultern.
"Ist nicht jeder irgendwie unglücklich?", erwiderte ich nur.
"Ich glaube, dass es kein Pauschalgefühl 'unglücklich' gibt. Jeder muss für sich selbst definieren, was das bedeutet. Und auch was 'glücklich sein' bedeutet." Er sah mich an, während ich nach draußen blickte. "Warum denken deine Freunde, dass du herkommen sollst?"
Nervös sah ich auf meinen Schoß. Mir war klar warum und mir war auch klar, dass ich nicht gesund war. Das wusste ich schon länger. Ich hatte Panikattacken, Schwindelanfälle, konnte manchmal gar nicht aufstehen, duschen, essen und verletzte mich selbst. Außerdem hatte ich in letzter Zeit immer den Gedanken, dass sich das Leben nicht mehr lohnte. Und wenn meine Gedanken so düster waren, dann hatte ich Angst vor mir selbst.
"Sie meinen ich kann mich nicht mehr um mich selbst kümmern.", gab ich schließlich zu. 
"Und stimmt das?"
"Keine Ahnung. Ich bin eben lieber im Bett als bei den anderen und manchmal bin ich eben zu müde um zu essen oder zu duschen." Vielleicht war es falsch, ihm alles zu sagen aber es brachte auch nichts einfach zu schweigen. Und wer weiß, vielleicht war es einen Versuch wert.
"Warst du früher auch so?" 
Ich dachte ein Jahr zurück und die Antwort war klar nein.
"Nein...aber man verändert sich eben, oder nicht?"
"Natürlich ist das möglich. Es ist auch okay, wenn du dich damit wohl fühlst. Was fühlst du denn wenn du alleine bist während die anderen zusammen sind.", fragte er mich.
"Eigentlich bin ich meistens nur traurig." Ich biss mir auf meine Unterlippe, schämte mich so sehr das alles auszusprechen.
"Mhm." Nachdenklich sah er mich an. "Und was machst du dann, wenn du traurig bist?"
"Nichts, manchmal höre ich Musik aber sonst liege ich im Bett und...starre an die Decke."
"Gibt es Tage wo du auch bei ihnen bist und du Spaß hast?"
Nein.
"Manchmal."
"Und dann ist es wie früher?", fragte er und ich sah in den Himmel. Beobachtete die grauen Wolken. Es würde nie mehr wie früher sein.
"Manchmal.", sagte ich leise.
Er nickte verstehend. "Kannst du mir die Gefühle beschreiben, die du hast wenn es dir schlecht geht?"
Kurz dachte ich nach, konnte eigentlich keine Worte finden die im Ansatz das ausdrücken was in mir vorging.
"Ich weiß nicht, Schmerz. Angst. Hass.", flüsterte ich, starrte auf meine Stoffhose.
"Hass gegen wen?" Ich unterdrückte die Tränen, ärgerte mich, dass ich durch seine Fragen weinen musste.
"Gegen mich.", presste ich hervor, traute mich nicht aufzusehen.
Jetzt kannst du es nicht mehr zurücknehmen, Taehyung. Das war dein Todesurteil.

Ich genoss den kühlen Wind, der mir durch die Haare strich als ich das Gebäude verließ. Es war wirklich frisch geworden und ohne meine Felljacke wäre ich bestimmt erfroren. 
"Können wir noch einen Abstecher machen?", fragte ich meinen Fahrer, der nur nickte und zu der Adresse fuhr die ich ihm nannte. In den letzten Nächten hatte ich oft darüber nachgedacht aber mich nie wirklich getraut. Vielleicht weil es schon so lange her ist, seit ich das letzte Mal dort war. Vielleicht weil ich dachte, dass man sich an mich nicht erinnert. Leider fiel ich auf wie ein bunter Hund. Der Wagen hielt nach kurzer Zeit vor dem Haus, das am Tag noch baufälliger aussah als in der Nacht.
Lächelnd drückte ich die Tür auf und hielt nach Joe Ausschau. Sie war tatsächlich da und polierte wie letztes Mal die Gläser.
Als sie mich erblickte riss sie überrascht die Augen auf, bevor sie mein Lächeln erwiderte.
"Ein Déjà-vu.", grinste sie und stellte das Glas ab. "Du bist doch nicht hier um dir mitten am Tag die Kante zu geben, oder?" Sie hob eine Augenbraue aber ich schüttelte nur lachend den Kopf.
"Nein. Aber ich dachte wir könnten uns noch ein bisschen unterhalten. Das letzte Mal war nett. Und vielleicht bekomme ich ja so einen Drink, den du mir das letzte Mal gemacht hast." Es war nicht so als wollte ich nur Alkohol, Josy war nett und man konnte gut mit ihr reden. Der Alkohol, der mich diese schreckliche Therapiesitzung und den Verrat der anderen vergessen ließ, war nur ein Bonus.
"Also doch die Kante geben?" Sie machte sich schon an die Arbeit.
"Ein bisschen vielleicht.", gab ich zu.
"Was ist mit ihm da?" Joe deutete mit dem Kopf auf meinen Bodyguard, der an der Tür stand, während sie die Drinks mixte.
"Sorry, den werden wir nicht los.", zuckte ich mit den Schultern.
"Hey Großer, willst du einen Drink?", rief sie zu ihm aber er reagierte nicht. Natürlich nicht. Ich lachte.
"Gib den lieber mir."
"Mein Lieber, ich weiß wir sehen uns erst das zweite Mal aber vielleicht solltest du nicht mittags schon zwei Drinks gleichzeitig kippen." Unsicher hielt sie das zweite Glas, das sie gemacht hatte in den Händen. 
"Ich bin Profi, das ist schon okay." Ich war wohl überzeugend, denn sie stellte mir den Drink doch hin.
"Hast du das letzte Mal viel Ärger bekommen?", fragte sie während ich den Strohhalm zwischen den Lippen zerbiss.
Ich wiegte den Kopf. "Geht so. Jungkook war sauer, aber er hat mich nicht verraten."
"Ah, dein Nicht-Freund.", schmunzelte sie. Ich lächelte bei dem Gedanken an meinen Freund. Mein Freund.
"Du bist sein Typ.", merkte ich dann an, als die Gedanken vom letzten Mal unweigerlich hochkamen. 
"Ich glaube du bist mehr sein Typ als ich es bin. Glaub mir, ich spür sowas."
"Inwiefern?", fragte ich nach, schob das erste leere Glas zur Seite.
"Alle Typen, die ich heiß finde sind schwul. Story of my life." Sie seufzte theatralisch. 
Ich kicherte.
"Hab ich recht?", fragte sie neugierig. Fast automatisch legte ich meine Hände an meine roten Wangen und nickte mit zugekniffenen Augen.
"Hast du." Obwohl ich eigentlich gar nicht wusste, ob er bi oder schwul war. 
"Ha, ich wusste es. Schon das letzte Mal als er hergekommen ist." Sie klatschte aufgeregt in ihre Hände, bevor sie wieder etwas ernster wurde. "Keine Sorge Tae, dein Geheimnis ist bei mir sicher."
Hoffentlich.

fünfundzwanzig| jjk.kthWo Geschichten leben. Entdecke jetzt