Teil 6

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Er hatte seine Differenzen mit seinem Bruder und es gab Momente, da hasste er ihn. Aber er konnte es nicht mit sich vereinbaren, ihn an Denara auszuliefern. Ja, ihm fiel es zunehmend schwerer damit zurecht zu kommen, sie wie einen Gegenstand auszutauschen, doch den Tod seines Bruders zu verursachen? Nein.
Nevan war nicht bereit solch eine Entscheidung zu fällen, vor allem nicht dann, wenn Laith das Einzige war, dass seiner Tochter blieb. Er war Vater verdammt und wollte um jeden Preis seine Tochter zurückholen.
Nevan bettete seinen Kopf auf den Tisch, im völligen Zwiespalt mit sich und nickte irgendwann tatsächlich ein.

~~~

Irgendwann schlug er die Augen auf, als etwas auf den Boden fiel. Denara war über seinem Tisch gebeugt und hielt seinen Siegel fest in der Hand.
>>Was tust du hier?<< fragte er verschlafen und richtete sich auf, seine Glieder schmerzlich dehnend, weil er im sitzen eingeschlafen war.
>>Normalerweise schläft man in einem Bett.<< kommentierte sie nur, bevor sie den Siegel zurück auf den Tisch legte.
>>Was tust du hier?<< wiederholte er nun etwas genervt seine Frage und sah ihr dabei zu, wie sie zu eines der Holzschränke ging und vergeblich daran rüttelte. >>Hast du viele Geheimnisse?<<
>>Denara.<< stieß er aus und überging ihre Frage. Sie lächelte leicht, bevor sie ihm entgegenblickte. >>Lös die Schlinge. Nimm mein Angebot an.<<
Missbilligend sah er sie an. >>Du weißt nicht was es bedeutet oder? Eine Familie zu haben. Wie denn auch, denn du verlangst von mir meinen Bruder auszuliefern.<<
Er sah Gleichgültigkeit über ihre Züge huschen, als sie ihre Hände auf seinem Schreibtisch abstützte und ihm geradewegs in die Augen sah. Nevan verfluchte sie dafür, was für eine Wirkung sie auf ihn hatte und lehnte sich in seinem Stuhl zurück, um Abstand zu gewinnen.
>>Wie wäre es, wenn ich ihn nicht anrühre.<< schlug sie vor. >>Zumindest nicht, bis er mich provoziert oder in meiner Nähe atmet.<< Es war wie ein Spiel für sie, kaum der Rede Wert, weshalb er nun doch die Fassung verlor und sich ebenfalls erhob und über den Tisch beugte. >>Bist du so sehr darauf aus, die Mörderin zu sein, die du bist, oder sind es die Gefühle einer gebrochenen Frau, die dich kalt machen.<<
Sie schnaubte auf.
>>Es ist die Gerechtigkeit Pirat, die durch meine Adern fließt. Er verdient den Tod.<<
>>Er ist mein Bruder!<<
Ihr helles Lachen erklang im Zimmer. >>Der Bruder, dessen Taten dazu führten, dass Menschen starben und ein unschuldiges Kind leidet. Die Taten eines Mannes, die seinen jüngeren Bruder einnehmen, während die Liebe in ihm ihn daran hindert, endlich das Richtige zutun.<< warf sie ihm vor.
>>Und du? Bist du viel besser als er Denara? Du hast deine Zeit in dieser Höhle verbracht, all die Jahre Schiffe untergehen lassen, ohne zu wissen wer sie wahren...<<
Sie unterbrach ihn abgrubt und schlug mit ihrer flachen Hand auf den Tisch. >>Jene, mit guten Absichten, habe ich immer auf einen anderen Kurs gelenkt, also wag es nicht mir eine Lüge vorzuwerfen. Die einzigen Leben, die ich nahm, waren Männer so grausam, dass ich es bis in meine Glieder gespürt hatte. Die Welt ist eine bessere ohne sie.<<
Nevan umrundete den Tisch, woraufhin auch Denara ihre Position wechselte und sich halb auf seinen Schreibtisch setzte, während er vor ihr aufragte. >>Warum hast du dann meinen Bruder verschont, wenn du schlechte Männer doch eigentlich getötet hast?<<
Ein Schatten fiel über ihr Gesicht, ehe sie zur Tür sah und sich so fest am Tisch festkrallte, bis ihre Knöchel weiß hervortraten. >>Du hast es gesehen oder? Das was tief in ihm steckt. Jener Mann, der er sein will. Du hast gesehen, warum ich Hoffnung für ihn habe Denara.<< Er stützte sich rechts und links von ihr ab und als ihre honigbraunen Augen sich auf ihn richteten, sah er die Trauer in ihnen. >>Macht es das besser? Zu wissen, dass er dieser Mann sein könnte und dennoch gezwungen zu sein ihm dabei zuzusehen, wie er diese Hoffnung im Keim erstickt? Ich habe zwei Monate mit ihm in dieser Höhle verbracht. Zwei Monate, in der er diese Rolle gespielt hatte und vielleicht war etwas wahres dran und vielleicht auch nicht. Doch dennoch hat es nur einen Augenblick gedauert, bis diese Illusion von ihm erlosch.
Er ist es nicht Wert.<< Sie schluckte schwer, als sie einen Punkt hinter Nevan fixierte. >>Hast du jetzt vor unsere Gefangene zu vögeln Nevan? Nun, so spektakulär ist es nicht.<< grinste er ihn an. Denara löste sich vom Schreibtisch und schob sich an Nevan vorbei, doch bevor sie das Zimmer verlassen konnte, umklammerte Laith ihr Handgelenk.
>>Laith<< knurrte Nevan, woraufhin er Denaras Arm los ließ. Doch er nahm es sich dennoch nicht, sie zu provozieren. >>Kränkt dich mein Verrat so sehr, dass du dich als Rache nun an meinen Bruder ranschmeißt?<< schmunzelte er. Denara drehte sich zu ihm, ihren Kopf schräg angelegt, um ihn zu mustern, bevor sie zum sprechen ansetzte, ohne ihren Blick von seinen Augen zu lösen.
>>Du bist unbedeutend. Nicht mehr als ein sterblicher Mann, der versucht mehr zu sein, als er jemals sein kann. Du bist der Schatten deines Bruders und ein wandelnder verwundeter, der dem Tod geweiht ist.. So ist auch dein Verrat nicht mehr, als das Abbild deiner Selbst.<<

Herz aus LeidWo Geschichten leben. Entdecke jetzt