Teil 19

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Was war Hass? Was war Rachsucht für ein Gefühl, bevor Denara ihm begegnet war? Hatte er diese Gefühle jemals wirklich empfunden? Denn so wie er Denara in seinen Armen hielt, so zerbrechlich und übel zugerichtet wie sie war, fühlte er so viel, dass es ihn fast auf seine Knie zwang.
Wie töricht musste er gewesen sein, um jemals geglaubt zu haben, all diese Gefühle wirklich empfunden zu haben? Denn alles in ihm schrie gerade, die Welt dafür zu vernichten und sich eingeschlossen. Denn er war hierfür verantwortlich. Er hatte sie gezwungen, auf sein Schiff zu gehen. Er hatte das erste mal für eine Schlinge um ihren Hals gesorgt und er war derjenige, der nie nach ihr gesucht hatte. Seinem Bruder vertraut und sein Leben mit dem Wissen gelebt hat, dass sie in Sicherheit war.
Starr geradeaus blickend, mit zerschundenem Kopf, trat er in sein Zimmer, in einem abgelegenen Gasthaus. Sie zuckte zusammen, als er sie behutsam auf sein Bett legte und er biss sich auf die Lippen, als ihre Augen leicht zuckten.
>>Nevan..<< flüsterte sie, woraufhin er sich vor das Bett kniete und ihr leicht über die Schläfe fuhr. >>Wie oft?<< fragte er mehr zu sich selbst. >>Wie oft musstest du das durchleben?<<
Vorsichtig schlug sie ihre Augen auf. Selbst das forderte zu viel von ihr, sodass sie diese wieder schließen musste, während sie frustriert ausatmete. >>Seltener, als am Anfang. Ich habe mich irgendwann angepasst.<<
Sanft griff sie nach seiner Hand, bevor er noch etwas darauf erwidern konnte. >>Ich habe ihm sein rechtes Ohr abgebissen.<< grinste sie leicht, was ihn ebenfalls kurz Lächeln ließ, obwohl sein inneres noch immer tobte.
>>Das ist mein Mädchen.<< rutschte es aus ihm heraus, bevor er sich daran hindern konnte. Doch Denara schien nicht erzürnt darüber. Ganz im Gegenteil. Sie lächelte ehrlich und drückte seine Hand. >>Es wäre so einfach nur ein unbedeutender Mensch zu sein. So einfach nicht mehr zu wollen, als das hier.<< hauchte sie.
>>Es kann einfach werden.<< hörte er seine raue Stimme. >>Für Leute wie uns existiert kein einfach Nevan. Du weißt das so, wie ich es weiß.<<
Denara richtete sich zischend auf und ließ zu, dass Nevan sie stützte. >>Du musst dich ausruhen.<< versuchte Nevan sie abzuhalten, aber sie schüttelte entschlossen den Kopf. >>Ich will diesen Mann von mir abwaschen. Vorher kriege ich kein Auge zu.<< Nevan schluckte schwer, bevor er sie genauer ansah. Ein Gedanke, den er zuvor verdrängt hatte, schoss durch ihn hindurch. So zerstörerisch, dass er tatsächlich aufsprang, sie los ließ und zur Tür lief. >>Nicht!<< rief sie, ehe sie sich aufs Bett setzte. >>Nicht heute. Nicht, wenn ich ihn nicht dabei sehen kann, wie du ihn tötest. Nicht, solang ich sein Blut nicht auf dieser Schlinge verteilen kann.<<
>>Ich kann nicht.<< presste Nevan hervor, aber sie schüttelte entschlossen mit dem Kopf.
>>Du kannst. Du musst und du wirst. Diese eine Sache bist du mir schuldig Pirat.<< hörte sie fast verzweifelt sagen, als er noch immer den Türknauf fest in seiner Hand hielt.
>>Bitte.<< brach ihre Stimme nun endgültig. >>Ich kann das hier nicht, ohne dich Nevan. Ich kann jetzt nicht allein sein und noch weniger kann ich den Dreck von mir abwaschen, wenn du mir nicht hilfst. Also bitte. Bitte lass diese Tür los.<<
Alles in ihm wollte dagegen ankämpfen und doch reichte ein Blick in ihre Richtung, sodass er augenblicklich aufgab. Er tat, was sie verlangte und eilte zu ihr. Unwissend, wie tief ihr Schmerz saß und wie er sich verhalten sollte. Bis sie selbst nach seiner Hand griff und nickte. >>Ich vertraue dir.<<
Nevan nickte, bevor er sie in seine Arme nahm. >>Wenn es dir zu viel wird, dann sagst du mir Bescheid. Ohne zu zögern.<< verlangte er.
Es dauerte nicht lange, bis die Wanne mit heißem Wasser gefüllt war und auch nicht lange, bis Denara, in nur einer Tunika bekleidet, auf dem Wannenrand saß und mit Nevans Hilfe in die Wanne stieg. Sie verzog vor Schmerz ihr Gesicht und sorgte nur mehr dafür, dass sich auch Nevans Brust zusammenzog. >>Sieh mich nicht so an.<< bat sie irgendwann, als sie schon viel zu lange geschwiegen hatten.
>>Wie sehe ich dich denn an?<< kam es gebrochen von ihm. Wieder schwiegen sie beide, sodass nur das Plätschern des Wassers die Stille füllte. >>So wie jetzt. Als wäre ich kaputt. Denn das bin ich nicht, also hör auf mich so anzusehen.<< Er schwieg. >>Nevan? Du dummer Pirat ich meine es ernst!<< fluchte sie und konnte doch nicht verhindern, dass ihre Stimme brach. >>Nichts auf dieser Welt wird mich dazu bringen zu glauben, dass du kaputt bist. Rein gar nichts. Mein Blick ist nicht dem geschuldet Denara. Mein Blick ist dem geschuldet, was in dir herrscht und was du zwanghaft versuchst zurückzuhalten.<< erwiderte er. Wieder herrschte schweigen zwischen ihnen, bis plötzlich die ganze Welt zu kippen drohte, als ein erster herzzerreißender Schluchzer ihre Lippen verließ und Nevan innerlich verbrannte, bis er nicht mehr war als Asche.

Herz aus LeidWo Geschichten leben. Entdecke jetzt