Pfeifend lief ich die Treppe hinauf. Immer zwei Stufen auf einmal, schließlich musste ich in den sechsten Stock. Dort hatte ich nämlich meine Wohnung. Wobei Wohnung eigentlich nicht stimmte und etwas übertrieben war. Es handelte sich lediglich um ein Zimmer in einer WG, die ich zusammen mit Franz, einem Studienkollegen, bezogen hatte und immer noch darin verweilte.
Nach den anstrengen Jahren des Studierens, wollte ich mir erst einmal eine kleine Auszeit gönnen. Dann einen richtigen Job suchen und anschließend eine eigene Bude. Tja, das war nun fast eineinhalb Jahre her, irgendwie war die Zeit verflogen, ich lebte immer noch in meinem winzigen Zimmer und hielt mich weiterhin mit Gelegenheitsjobs über Wasser. Aber ich konnte mich nicht wirklich beschweren. Jeder Tag war anders, das Leben war leicht, machte dabei einfach nur Spaß. Kein Stress, keine Verpflichtungen, keine Kontrolle. Mein ganzes Dasein eine große Party und ich der Star darin. Franz hatte mich eine Zeit lang auf diesem Weg begleitet. Doch vor einem halben Jahr hatte er sich dann dummerweise in ein Mädchen verliebt. Seitdem machte die Kleine einen „anständigen" Kerl aus ihm, so wie sie es immer so schön sagte. Irgendwie tat er mir ja leid, so unter ihrem Pantoffel zu stehen, aber ihm schien es nichts auszumachen, also war es nicht an mir mich einzumischen.
Mit Schwung nahm ich die letzte Kurve, um anschließend den verblieben Treppenabschnitt zu bezwingen. Sicher, wir hatten auch einen Aufzug, aber da stand die Chance, für Stunden auf halbem Weg stecken zu bleiben ca. zwei zu eins, für den Fahrstuhl versteht sich. Na ja, so etwas konnte mein Gemüt nicht betrüben, ich sah es einfach als mein alltägliches Workout, mehrmals täglich diesen Berg zu erklimmen, und es beruhige ungemein mein schlechtes Gewissen, wenn ich mal wieder tütchenweise Gummibärchen in mich hineinstopfte.
Jetzt trennten mich nur noch vier Stufen und ein paar wenige Meter, von meinem Bett. Es gab halt nichts Schöneres, als sich nach einer durchzechten Nacht unter der eigenen Bettdecke zu verkriechen. Ich konnte bereits voller Vorfreude mein flauschiges Kissen spüren, doch dann machte ich den Fehler und sah hoch. Augenblicklich kam ich ins schlittern und bremste ab. Einige Kisten und eine große Sporttasche versperrten mir den Weg zu unserer Eingangstür. Perplex blinzelte ich. Was sollte der Scheiß? Immer noch fragend dreinschauend, machte ich einen Schritt auf die Sachen zu und erstarrte in der Bewegung. Das dort war meine Sporttasche! Ein weiterer panischer Blick in die Kisten rundherum bestätigte meine Annahme. All diese Sachen, die hier so einsam und verlassen vor der Türe kampierten, gehörten mir.
Verdattert kramte ich nach meinem Schlüssel in der Hosentasche. Was sollte das den jetzt bitteschön? Wollte Franz mich auf den Arm nehmen? Nun doch etwas nervös und langsam Böses ahnend, versuchte ich die Tür mit leicht zitternden Fingern aufzusperren, doch vergeblich. Mein Herz setzte einen Schlag aus. Das konnte doch nicht wahr sein. Aber ja, doch, der Schlüssel passte ganz eindeutig nicht mehr.
Nun wirklich panisch, hämmerte ich gegen die Tür. Das konnte doch nur ein schlechter Scherz sein! Er konnte mich doch nicht einfach mir nichts, dir nichts vor die Tür setzten. Scheinbar schon, wie ich nach geschlagenen fünf Minuten akzeptieren musste. Niemand machte auf. Niemand reagierte auf mein Läuten, mein Klopfen, auf mein Rufen. Langsam etwas ungehalten werdend, zückte ich geistesgegenwärtig mein Handy und versuchte meinen Freund auf diesem Wege zu erreichen.
„Was soll der Mist???", legte ich gleich mal los, kaum, dass nach dem fünften Freizeichen, endlich jemand mal ans Telefon ging. „Wieso zum Teufel stehen meine Sachen vor der Tür?"
„Jetzt beruhig dich doch erst mal!" Nutze er die Gunst der Stunde, als ich kurz mal Luft holen musste, und wagte es, mich da auch noch zu beschwichtigen.
„Mich beruhigen?", fuhr ich ihn weiter an. Der war vielleicht lustig. Wie hätte er wohl reagiert, vor verschlossen Türen zu stehen und nicht mehr reingelassen zu werden? „Wie soll ich mich beruhigen, wenn ich eigentlich ins Bett will, aber mein verdammter Schlüssel nicht passt? Was soll dieses Theater?", machte ich stinkig weiter. So langsam kam meine Wut erst richtig in Fahrt. Ich war ja schon ein Morgenmuffel, wenn ich nicht ausgeschlafen hatte, aber um halb neun Uhr morgens noch nicht einmal im Bett gewesen zu sein, ließ mich unausstehlich werden.
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Mr. Unnahbar (Mr. 1)
RomanceEin Club. Samstagnacht für Samstagnacht. Heiß, hart, anonym. Zwei Männer, die nicht unterschiedlicher sein könnten. Zwei Welten, die aufeinander prallen. Der eine - ein typischer Workaholic, null Privatleben. Nimmt das Leben immer todernst und g...