17. André - von sich schließenden und öffnenden Türen

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Eine Woche war seit unserem Streit vergangen und es lief gar nicht mal so schlecht zwischen uns. Abgesehen von der Tatsache das mein Mr. Unnahbar ein Workaholic war und ich mich hier alleine teilweise zu Tode langweilte. Und natürlich meine eher erfolglose Suche nach einem Job. Erfolglos in dem Sinne, dass ich mich erst gar nicht bewarb. Sollte das mal ans Tageslicht kommen, wäre ich wohl bald meinen Freund und somit auch mein Dach über den Kopf los.

Seufzend schaltete ich den Fernseher aus. Ich würde ja gerne etwas arbeiten, auch wenn ich nicht wirklich wusste was. Aber hier hatte ich einfach keine Chance. Es gab niemanden in dieser gottverdammten Stadt, der meinen Vater nicht kannten und somit indirekt natürlich auch mich. Niemand würde mir einen vernünftigen Arbeitsvertrag geben. Ganz gleich ob Freund oder Feind der Familie.

Fahrig fuhr ich mir übers Gesicht. Ich musste mich ganz dringend ablenken. Hier herumzusitzen und ständig im Kreis zu überlegen machte mich noch verrückt. Ganz egal, wie ich es drehte und wendete, es lag nun mal nicht in meiner Macht, etwas an meiner Situation zu ändern. Auch wenn ich mit den paar mehr Schichten, die ich zur Zeit arbeitete, nicht mehr lange bei Johannes durchkommen würde.

Ein Blick auf die Uhr zeigte, dass ich noch so einige Stunden totschlagen musste, bevor mein Herzblatt endlich von der Arbeit nach Hause kommen würde. Gott, ich langweilte mich zu Tode. Außerdem, ich an einem Samstagabend allein zu Hause? Ich konnte mich nicht daran erinnern, wann das, das letzte Mal vorkam. Aber musste ich das überhaupt? Mich hier alleine zu Tode langweilen? Ich könnte doch ausgehen und ich wäre kurz, bevor mein Mr. Unnahbar nach Hause kam, selbst wieder daheim. Froh endlich nicht mehr tatenlos hier herumsitzen zu müssen, sprang ich vom Sofa und lief immer zwei Stufen auf einmal nehmend rauf in das Schlafzimmer, wo ich mich herrichten konnte.

Kaum eine Stunde später betrat ich die heiligen Hallen des Heaven und genoss den Bass der Musik, der mir augenblicklich um die Ohren schlug. Die Akustik, die Gerüche, ja sogar die meisten der Gesichter waren mir mehr als vertraut. Es fühlte sich auf eine absurde Art und Weise an, wie heimkommen.

Hier und da wurde ich von ein paar bekannten Gesichtern begrüßt, drängte mich aber erst mal durch die Menge Richtung Bar. Tanzen konnte ich später auch noch.

„Du schon wieder ...", wurde ich auch schon liebevoll begrüßt. Augen verdrehend nahm ich Platz. „Bringt dein Job nichts ein, dass du ständig abends dazu verdienen musst?", überging ich die herzliche Begrüßung von meinem mir liebsten Italiener auf erden. „Doch, doch ... Du weißt doch, das Geschäft, welches nie ausstirbt, ist der Tod und die Steuer!" Dabei zwinkerte er mir sogar lächelnd zu. Schien wohl wieder Frieden im Paradies zu herrschen. Gut so. Ich hatte wirklich keine Lust auf einen weiteren Schlagabtausch.

„Klar ...!", seufzte ich verständnisvoll. „Der Tod und die Steuer, versteh schon! Aber wo treibt sich dein werter Gatte rum. Oder ist er auf seine alten Tage nicht mehr im Stande seinen Job zu erledigen?" Ich hatte noch gar nicht zu Ende gesprochen, da spürte ich auch schon einen Klaps auf meinem Hinterkopf, während Luigi, der miese Verräter, sich vor Lachen kugelte.

„Hallo Sandro...", begrüßte ich brummend, ohne einen Blick nach hinten zu riskieren, und streichelte über mein malträtiertes Haupt. „Du meinst wohl eher den alten Greis ...", spottete Sandro und lief um den Tresen herum, hinter die Bar.

„Duhu, hättest mich ruhig warnen können!", wandte ich mich an Lu und verschränkte beleidigt die Arme vor der Brust. Aber das interessierte die beiden gar nicht mehr. Sandro zog nämlich seinen Lu an der Gürtelschnalle zu sich und gab ihm einen Kuss. Was für ein schönes Bild. Ich war sogar ein bisschen neidisch.

Mein liebster Mr. Unnahbar war da nicht so, ja, wie sollte ich das am besten ausdrücken, locker drauf? Na was auch immer. Klar wir küssten uns hin und wieder, aber eher vor oder beim Sex. Er kam nie nach Haus und gab mir zur Begrüßung einfach so einen Kuss. So wie diese beiden, die hier in der Öffentlichkeit rum turtelten und wahrscheinlich von dem größten Teil der Gäste dafür verflucht wurden.

„Kam man zum Softporno auch was zum Trinken bekommen ...", spottete ich grummelig und drehte mich sehnsuchtsvoll von diesem innigen Bild weg. Dann würde das Monster in meinem Inneren, welches gerade „ich will das auch" schrie, vielleicht endlich Ruhe geben.


„Aber sicher!", säuselte Sandro. „Lass mich nur schnell meinen Krückstock holen, dann humple ich gleich los! Du willst deinen Drink bestimmt sowieso geschüttelt." Und zwinkerte mir zu, nachdem er sich eher widerstrebend von seinem Liebsten getrennt hatte.

„Du und Burg also.", stellte er nebenbei fest, während er anfing, ungefragt einen Sunrise zu mixen.

„Wie?" Doch da fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Ich hatte ja letzten Samstag dieses reizende Gespräch mit Lu, sicher wusste Sandro deswegen Bescheid. „Petzte!", zischte ich, eher gespielt, als im Ernst, der besagten Person zu.

„Hey!" Abwehrend hob Luigi die Hände in die Luft. „Er weiß es nicht von mir!"

„Das stimmt!" Bestätigte Sandro sogleich seine Aussage. „Aber euer Auftritt im Darkroom ist nicht unbemerkt geblieben."

„Oh...", machte ich. Daran hatte ich bis jetzt keinen Gedanken verschwendet. Wir waren so miteinander beschäftigt, dass wir alles um uns herum einfach ausgeblendet und vergessen hatten. Was solls, es hatte sich gelohnt, wir waren uns näher gekommen. Wenn auch noch nicht so nah, wie ich mir wünschen würde. Jedenfalls war er nicht mehr ganz der eisige Eisklotz, den er mir von Anfang an vorgespielt hatte.

Auf der anderen Seite war es vielleicht sogar besser so. Schließlich stand da noch die Sache mit dem Job aus, oder eben das ich immer noch keinen hatte und auch keinen haben würde. Würde sicherlich nicht mehr lange gut gehen und auffallen. Spätestens dann wäre es sowieso vorbei zwischen uns. Ich sollte mich also gar nicht erst an ihn und an uns gewöhnen.

„Wo drückt den der Schuh?", riss mich Sandro plötzlich aus den Gedanken, während ein Glas vor mir auf dem Tresen landete. „Ach...", seufzte ich und nahm erst mal einen Schluck. „Schon ok! Mir ist eh nicht zu helfen.", prophezeite ich kryptisch, um anschließend meinen Cocktail auf Ex wegzukippen. „Das kannst du doch gar nicht wissen." Dabei fing er wortlos an, einen zweiten Drink zu mischen, ließ mich aber nicht aus dem Auge. „Wieso hast du etwa einen Job für mich.", fragte ich herausfordernd und nahm den Cocktail entgegen, denn er soeben fertig gemixt hatte.

Eine Weile schien er mich zu mustern, bevor er das Handtuch, mit dem er sich gerade die Hände abgewischt hatte, zur Seite legte, und nach hinten deutete.

„Komm mal mit." Kurz nickte er auch Lu zu, der ihm kommentarlos folgte. Etwas verwirrt sah ich den beiden Italienern nach. Was sollte das den jetzt? Wo wollten die bitte schön mit mir hin? „Wird's bald?", wurde ich erneut unsanft aus meinen Überlegungen gerissen. „Emm ...", murmelte ich verwirrt, da Sandro meine Antwort aber gar nicht abwartete, sondern sich umdrehte und nach hinten verschwand. Erhob auch ich mich vom Barhocker und stiefelte den beiden nach.

Zu dritt betraten wir eine Art Büro, nach dem Sandro Luigi und mir den Vortritt gab, während er hinter uns die Tür schloss und den Lichtschalter betätigte. Schweigend deutete er auf das Sofa, während Lu in einem Sessel daneben Platz nahm.

„Was wird das jetzt?", fragte ich etwas beunruhigt. „Hab ich was verbrochen und muss jetzt zum Direktor?" Zumindest erinnerte mich die ganze Situation daran, wobei ich nie zum Direktor gemusst hatte. Zumindest nicht für vergehen.

„Jetzt aber mal halblang! Für wie alt hältst du mich?", brummte er kopfschüttelnd. Nahm dann doch auf der Lehne von Lu's Sessel platz und legte ihm den Arm um die Schulter.

„Emm...", weiter kam ich nicht, als er mit der Hand abwiegelte. „Das war doch nur Spaß. Also..." „Also?", fragte ich nach, schließlich hatten die beiden mich in das Hinterzimmer gelockt. Da konnten sie jetzt ruhig mal ihre Karten auf den Tisch legen.

„Wieso arbeitest du nicht einfach bei deinem Vater? Immerhin bist du der Erbe eures Imperiums.", war es nun Lu, der die Initiative ergriff und mir blieb der Mund offen stehen. Woher? Wie... Aber... die Fragen überschlugen sich regelrecht in meinem Kopf und ich konnte lediglich von einem zum anderen starren. Wieso wussten die beiden, wer mein Vater war?

„Woher?", mehr brachte ich gar nicht hervor, immerhin ich war immer noch sprachlos. Niemand, mal abgesehen von Franz, der Einzige der mich noch von früher kannte, und wusste, wer ich wirklich war. Erst recht nicht hier in der Szene. „Ich habe mit deinem Vater gearbeitet, als ich das Heaven renoviert hatte, und ich kann mich auch noch vage an dich erinnern. Damals hatte ich dich während eines Termins mal in einem der Büros gesehen. Auch wenn du deinen Typ schon sehr verändert hast...", erklärte Sandro meine unausgesprochene Frage. „Schade, der Streberlook und die dicke Hornbrille haben dir wirklich gestanden." Fügte er grinsend hinzu. Erneut blieb mir der Mund offen stehen.

Damit hatte ich gar nicht gerechnet. Das war nun über vier Jahre her und ich hatte wirklich gedacht, niemand von früher würde mich wieder erkennen. Das war zu viel. Mein ganzes Weltbild schwankte. Aufgewühlt erhob ich mich vom Sofa und wollte schon zur Tür.

„André!", war es nun Lu, der mich mit seinen Worten zurückhielt. „Was ist den los?"

„Gar nichts ist los!", fuhr ich die beiden an. „Ihr mischt euch nur in Sachen ein, die euch nichts angehen." Niemand hatte das Recht, sich in unsere Familienangelegenheiten einzumischen. Schon recht keine zwei eingebildeten Italiener. Die mir immerhin fast wildfremd waren.

„Beruhig dich doch!", versuchte Sandro auf mich einzureden, doch ich sah nur noch rot. Die Geschichte mit meinem Vater war ein rotes Tuch, welches ich tief in mir drinnen vergraben hatte. Da sollte es gefälligst bleiben und meinetwegen verrotten.

„Sag mir nicht, was ich zu tun habe!", knurrte ich wütend. Überbrückte die wenigen Schritte bis zur Tür und hatte meine Hand bereits am Griff. Niemand bestimmte mehr über mich und mein Leben! Niemand, nicht mein Vater und erst recht nicht diese beiden hier.

„Ich hätte einen Job ...", ertönte hinter mir die Stimme von Lu und ließ mich in meiner Bewegung gefrieren.

Mr. Unnahbar (Mr. 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt