29. André - Arschkarte

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Scheiße, scheiße, scheiße! Mein ganzes verkorkstes Leben war ein Bottich voll Scheiße! Das hast du alles, ganz, ganz toll hinbekommen André!!! Feierlich überreiche ich dir die goldene Arschkarte.

Fröstelnd stiefelte ich durch den immer mehr fallenden Schnee. Was für ein Irrer, der hier nichts Besseres zu tun hatte, als im feinen Anzug bei Minusgraden herumzulaufen? Ach ja, das war ja ich! Fahrig umschlang ich meinen Oberkörper mit meinen Armen, in der Hoffnung ein wenig Wärme zu erhaschen. Wieso konnte nicht ein einziges Mal, alles einfach nur gut für mich laufen?

Diese beschissene Frage kreiste unablässig in meinem Kopf. Ich mein, auch ich hatte doch ein wenig Glück verdient, oder nicht? Dieses Weihnachten mit Johannes war ein Traum, der sich heute zum Albtraum entwickelt hatte!

Wieso hatte er nicht einfach akzeptieren können, dass ich mit der Architektur nichts mehr am Hut hatte? Nein, stattdessen führte er mich auch noch meinem eigenen Vater vor. Ich, die erneute Enttäuschung seines Lebens. Mein Dad war ohne mich besser dran und ich ohne ihn. Es war gut, so wie es war! Irgendwann würde ich mich an den Job bei Luigi gewöhnen, oder mir eben etwas anderes suchen. Irgendwann, kam sicherlich der Tag, an dem ich das Zeichnen und die Arbeit im Büro meines Vaters vergessen würde. An dem es mir wirklich egal wäre.

Tief in Gedanken und nicht auf die Straße achtend, kam ich ins Schlittern, fing mich aber gleich wieder, bevor ich recht unsanft auf meinem Allerwertesten gelandet wäre. Na Spitze, zum Schnee auch noch Glatteis! Das Leben konnte gerade nicht beschissener laufen für mich. Konnte dieser Tag denn noch schlimmer werden?

Unaufhörlich bewegte ich meine Finger, die vor Kälte schon ganz steif waren. Ich musste mir ganz dringen was einfallen lassen. Hier weiter durch den Schnee zu stapfen war glatter Selbstmord. Das hätte diesem ach so perfekten Tag tatsächlich die Krone aufgesetzt.

„Ich hasse dich, Johannes Burg!!!", schrie ich voller Frust gen Himmel und trat voller Wut gegen den Laternenmast vor mir. Meine Zehen und Füße waren mittlerweile so durchgefroren, dass ich kaum den Schmerz vernahm.

Ein Schluchzen entkam mir. Wieso um alles in der Welt wollte ich trotz alledem wieder zurück zu ihm? Immerhin würde er jetzt bestimmt so Sachen wie „Das Leben ist kein Ponyhof", sagen oder, „Hab dich nicht so, du bist doch keine Heulsuse".

Erste Tränen verschleierten mir die Sicht. Nachdem er mich streng gemustert hätte, würde er mich mit verkniffenen Lippen ruckartig an sich ziehen und küssen. Spätestens dann wäre alles wieder im Lot.

Warum nur, konnte ich nicht über meinen Schatten springen und einfach zu ihm zurückgehen? Wir könnten nach Hause gehen und von mir aus, die restliche Nacht durch streiten.

Aber ich konnte nicht ... Außerdem wusste ich gar nicht, ob er mich je wieder haben wollen würde. Immer mehr Tränen liefen meine Wangen hinab.

Ich hatte ihn belogen. Eiskalt, wochenlang! Ihn vor meinem Vater blamiert. Den er scheinbar zu kennen und zu schätzen wusste und mein Vater ihn, sonst hätte dieser sich niemals an einem Feiertag mit ihm getroffen. Hatte ihm Sachen an den Kopf geworfen, die ich mir selbst nicht verzeihen würde. Die ganze Schuld hab ich ihm alleine zugeschoben, obwohl ich der einzig Schuldige hier war. Natürlich hatte er recht, hätte ich nicht gelogen, wäre es nie soweit gekommen, dass er mir meinen eigenen Vater vorgestellt hätte.

Mit dem Ärmel des Anzugs, weil es sowieso schon egal war, wischte ich mir über die Augen. Half nicht viel, da wollten scheinbar alle die Tränen der vergangenen Jahre raus, all die, die ich mir über die Zeit verdrückt hatte.

Es schneite mittlerweile so arg, dass man kaum ein paar Meter weit sehen konnte. Da ich die Orientierung komplett verloren hatte, blieb ich stehen, um mir erneut übers Gesicht zu wischen und um mich nachfolgend neu zu orientieren. Ich musste wirklich endlich raus aus dieser Kälte. Ich musste umdrehen. Vielleicht, ja vielleicht wäre Johannes noch da. Würde auf mich warten. Würde mich wortlos in den Arm und anschließend mit nach Hause nehmen.

Gerade war ich noch dabei, mir über die Augen zu wischen, als mich ein Lichtkegel erhellte und blendete. Überrascht und erschrocken zugleich sah ich auf und in die unaufhörlich näher kommenden Scheinwerfer. Es war, als ob jemand die Zeit anhalten wollten. Ganz langsam, wie in Zeitlupe, rollte das Auto auf mich zu, schien zu bremsen, ins Schleudern zu kommen. Ich hingegen stand einfach nur da, konnte mich nicht rühren, wie festgefroren auf dem Asphalt.

Der Tag konnte tatsächlich noch beschissener werden. War mein letzter Gedanke, als ich die Augen schloss und es auf der Stelle dunkel um mich herum wurde.

Mr. Unnahbar (Mr. 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt