32. Johannes - Konsequenz

842 76 18
                                    

Ich hatte mir fest vorgenommen, ruhig zu bleiben. In dieses Zimmer zu marschieren und ihm zuzuhören. Schließlich wusste mein Kopf, dass es ihm den Umständen entsprechend gut ging und das er wieder werden würde. Trotzdem reichte ein Blick und mir gefror das Blut in den Adern. Allein das blase Gesicht, die dunklen Augenringe und die blutverkrusteten Haarsträhnen ließen mich schwer schlucken. Gott sei Dank war der Rest von einer Bettdecke versteckt. Nie in meinem Leben zuvor, hatte ich, so eine scheiß Angst, um jemanden gehabt.

Er streckte die Hand nach mir aus, lächelte sein typisches sexy André Lächeln und sah selbst in diesem abgefuckten Zustand zum Anbeißen aus. Ich wollte diesen verdammten Kerl mit Haut und Haaren. Aber zuvor musste so einiges geklärt werden. Noch einen Unfall diesen Ausmaßes, weil Mister „Pinocchio" träumend durch die Welt lief, würde ich nicht ertragen. Wo war nur die Beständigkeit und die Ruhe geblieben, die bis vor kurzem noch mein Leben dominiert hatte? Jetzt, in diesem Augenblick, sehnte ich mich danach zurück. Also lehnte ich mich gegen die Tür. Fühlte die Kälte, die mich ein wenig ruhiger werden ließ.

„Kannst du dir vorstellen, was für eine scheiß Angst ich um dich hatte?", zischte ich ihm zu. Eigentlich wollte ich es gar nicht, konnte aber auch nicht aus meiner Haut. Der Frust, die Angst die mich stundenlang dominiert hatte, das alles hatte seine Spuren hinterlassen.

„Mir geht es gut ...", versicherte er, versuchte, sich etwas aufzurichten, nur um fluchend innezuhalten und sich wieder zurückzulegen.

„Ja, das sehe ich!", kommentierte ich sarkastisch seine Demonstration, wie gut es ihm doch ging.

„Daran muss ich mich erst noch gewöhnen ...", erwiderte er schulterzuckend, nur um erneut das Gesicht schmerzerfüllt zu verziehen. Kopfschüttelnd stieß ich mich von der Tür ab und trat auf ihn zu. Das würde ja noch heiter werden.

Bei ihm angekommen, nahm ich Platz und verschränkte die Arme vor der Brust. Er sollte ja nicht auf die Idee kommen, hier sei jetzt alles „Friede, Freude, Eierkuchen!". Denkste! Ich war genau so sauer wie zuvor.

„Es tut mir leid ...", flüsternd hob er seine Hand und strich mir über mein Knie. „Ich wollte das alles nicht ... wirklich ...", versicherte er mir aufrichtig.

„Wieso hast du mich dann belogen? Und zwar von Anfang an?" Auch ein Punkt, an dem ich hart zu knabbern hatte. Lügen und Betrügen kannte ich nun schon zu Genüge. Ich hatte gehofft, dass er unsere Beziehung so erst nahm, dass sowas außer Frage stand. Aber so konnte man sich täuschen.

„Ich ...", fing er an, nur um sich selbst zu unterbrechen. Räuspern fuhr er sich durchs Haar und blieb mit der Infusionsnadel in einer seiner verklebten Strähnen kleben.

„Um Gottes willen, André ...", augenrollend erhob ich mich von meinem Platz und befreite seine Hand, bevor er sich die Nadel herausriss und mir das ganze Bett einsaute. „Kannst du nicht einmal auf dich aufpassen ...", schimpfte ich währenddessen mit ihm. Hatte ich schon erwähnt, das er mich in den Wahnsinn trieb? Nein? Dann wurde es aber Zeit! „Du machst mich wahnsinnig!", erklärte ich ihm schnaubend und wollte mich gerade setzen.

„Warte ...", bat er mich mit großen Rehaugen und hielt mich am Arm fest. Mann ... Rehe hatten doch keine grünen Augen ... Scheiß egal! Ich war ihm sowieso schon ins Netz gegangen. Ein Blick und ich war verloren. Eine Berührung und was auch immer er befahl, ich folgte.

„Komm zu mir ...", hauchte er und zog mich dabei näher an sich ran.

„Aber ...", wollte ich widersprechen, weil Krankenhausbetten nun mal nicht gerade breit waren und er mit seinen Verletzungen einfach nur ruhig liegen sollte und nicht wie jetzt, unter Schmerzen, die ich ihm sehr gut ansah, Stück für Stück, Platz für mich machte.

„Bitte ...", unterbrach er meinen Einwand. „Ich brauch dich jetzt ..." Er senkte seinen Blick und sah so verletzlich aus, dass ich schwer schlucken musste. Wie konnte ich ihm da diesen Wunsch nur abschlagen? Zumal ich mich genau so nach seiner Nähe sehnte. Vorsichtig setzte ich mich zu ihn auf das Bett, immer darauf achtend ihm nicht aus Versehen wehzutun.

„Jo ... ich bin nicht aus Zucker!", schimpfte er sogleich, obwohl er augenblicklich erschöpft seinen Kopf gegen meine Brust bettete. Auf seiner Stirn glitzerten feine Schweißperlen, die nur zu gut zeigten, wie viel Kraft und Anstrengung ihn diese ganze Aktion gekostet hatte. „Besser ...", seufzte er und schloss kurz die Augen. Ein Kloß bildete sich in meinem Hals. Rasch beugte ich mich runter und platzierte einen schnellen Kuss auf seinen Scheitel. Am liebsten hätte ich ihn fest an mich gepresst und geküsst, bis ihm schwindelig wurde, aber das musste wohl noch warten.

„Ich mach das nie wieder ...", versprach er und streichelte mit seiner Hand über meinen Oberschenkel, weil er in dieser Position nichts anderes erreichte.

„Was? Sich vor fahrende Autos werfen?", warf ich missmutig ein.

„Hey ...", schwach klatschte seine Hand auf meinen Schenkel. Ich tat ihm trotzdem den Gefallen und stieß ein gespieltes „aua" hervor. „Du weißt, was ich meine ..." Wandte seinen Kopf und sah zu mir hoch. „Ich lüge dich nie wieder an ... das verspreche ich dir!", bekräftigend nickte er mit dem Kopf.

„Okay ...", murmelte ich, auch wenn das ein ganz doofes Versprechen war. Aber ich glaubte ihm oder hoffte, dass er mich zu mindestens in den elementaren Dingen nicht mehr anlog. „Aber vielleicht erklärst du mir einfach mal in Ruhe, wieso das mit deiner Herkunft und deinem Namen überhaupt notwendig war." Müde lehnte ich mich in die Kissen und schloss die Augen, während mein Finger sich verselbstständigten und über Andrés Haare streichelten.

„Jeder kennt Pa, jeder kennt seinen Sohn. Auch wenn ich nun schon seit Ewigkeiten nicht in der Presse erwähnt worden bin. Hätte ich dir gesagt, wer ich bin, hättest du nur unliebsame Fragen gestellt und ich war einfach noch nicht bereit, sie zu beantworten." Er hielt kurz inne und schluckte schwer. Es schien ihm immer noch schwerzufallen über seinen Vater zu sprechen.

„Ist er denn wirklich so schlimm, wie du tust?", fragte ich nach, obwohl ich mir meine Meinung bereits selbst bilden durfte. Aber davon wusste André ja nichts.
„Nein ...", bekam ich nach einer gefühlten Ewigkeit stockend meine Antwort. „Eigentlich nicht ...", fügte er gedankenverloren hinzu.

„Gut ...", ich drückte seinen Kopf zur Seite und erhob mich aus dem Bett.

„Was?" Irritiert sah er mir nach.

„Denn er ist hier und wartete draußen ...", ließ ich die Bombe platzen, so dass André die Kinnlade herunter fiel.

„Nein ...", stieß er fassungslos aus.

„Doch ...", erwiderte ich felsenfest. Erst wenn diese Geschichte aus der Welt wäre, hätte ich meine Ruhe und mein Herzblatt auch. Nur dann konnte er wirklich frei leben. Und bevor noch Jahre vergehen würden, bevor sich der liebe André endlich fing und die Sache selbst in die Hand nahm, mischte ich mich halt erneut ein.

„Wieso zu Henker ...", fing er an zu schimpfen und klang auf einmal gar nicht mehr kraftlos, sondern nur noch trotzig und wütend. Gut, dass er an das Bett gefesselt war, sonst hätte er glatt erneut vor ein Auto rennen können.

„Weil ich dich verdammt noch mal liebe du Vollidiot! Und will, dass du glücklich bist!", fauchte ich genauso gereizt zurück. „Das kannst du aber nur sein, wenn du dich mit deinem Dad ausgesprochen hast. Also reiß dich gefälligst zusammen und klär das!", während meiner Triade war ich bereits bei der Tür angekommen.

„Aber ..." Versuchte der Vollpfosten mir zu widersprechen. Was denn auch sonst!

„Ich dulde keine Widerworte!", unterbrach ich ihn gleich. „Wenn du dich weigerst, geh ich!"

Meine Finger umklammerten den Griff. Mein Herz setzte aus. Verdammt ... ich war in Rage und hatte wirklich hoch gepokert ... er konnte immerhin „nein" sagen. Und dann? Dann müsste ich tatsächlich gehen, oder?

Mr. Unnahbar (Mr. 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt