8. Johannes - Budget

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Nickend erhob er sich von seinem Stuhl und ging zu meinem Glück davon. Oh mein Gott! Seufzend und mit meinen Nerven völlig am Ende, fuhr ich mir fahrig übers Gesicht. Was zum Teufel lief den grade bei mir schief? Oder besser gesagt mit mir? Wieso zum Henker flippte ich so aus? Kein Wunder, wenn er mich jetzt für einen Choleriker hielt. In diesem Augenblick war ich schlicht und ergreifend einer. Mein Herz raste immer noch fürchterlich ungesund in meiner Brust. Ich musste mich dringend beruhigen. Aber warum auch immer, war ich gerade so voller Wut. Auf ihn, auf mich selbst! Ich konnte gar nicht richtig einschätzen auf wenn von uns beiden mehr. Was ich wusste, war, dass ich mich in meiner ganz persönlichen Hölle befand. Meiner mir Selbstauferlegten.

Jede seiner Bewegungen war anmutig und höchstwahrscheinlich hundertprozentig so kalkuliert, dass es mich in den Wahnsinn trieb. Wie man sah, ging der Plan sehr gut auf. Der sehnige Rücken verlief in einem schönen V und durch den dünnen, knappen Stoff meines Handtuchs konnte man nur allzu gut die Rundungen seiner Pobacken erkennen. Dieser verdammte Kerl war die reinste Sünde auf zwei Beinen. Welcher Hirnschlag hatte dazu geführt, mir einzubilden eine Woche lang neben ihm zu schlafen und enthaltsam zu bleiben? Während gleichzeitig alles in mir drin nach ihm schrie? Nach ihm, nach seinem Körper. Es war wie eine Sucht. Er eine, meine, perfekte Droge. Hätte ich nicht erst vor Stunden erstklassigen Sex gehabt, hätte man glatt annehmen können, ich wäre chronisch untervögelt.

„Zieh dir endlich was anderes an und komm her!", schnaubte ich ihm immer noch sauer hinterher, bereute es aber in gleichen Augenblick wieder. Denn dieser Mistkerl ließ im Gehen einfach so das scheiß Handtuch los, was Schwerkraft sei Dank natürlich sofort mal seine Hüften hinab glitt und diesen perfekten Hintern entblößte. Scheiße! Der hatte ja sogar dort Grübchen. Oh ja, ganz eindeutig! Ich war in der Hölle, und ich ahnte jetzt schon, dass ich gottverdammte sieben Tage lang schmoren würde.

„Schleich dich endlich!!", brachte ich unter größter Anstrengung rau hervor, erntete dafür aber nur ein belustigtes Lachen. Ich musste diesen Kerl loswerden. Ganz dringend! Er tat weder meiner Psyche noch meiner Selbstbeherrschung gut. Das konnte doch nur schief gehen. Also nahm ich schwer seufzend Platz und fing an die Zeitung nach Anzeigen zu durchforsten. Ablenkung war bekanntlich der beste Weg zur Besserung.

In meine Lektüre nun völlig vertieft, malte ich Kringel um die Objekte, die meiner Meinung nach eventuell in Frage kommen können. Immerhin wusste ich weder, wie hoch das Budget war, dass ihm zu Verfügung stand, noch welche Ansprüche er an eine neue Wohnung stellte. Deswegen war ich auch sehr großzügig in der Auswahl der Immobilien, streichen konnte man gegebenenfalls immer noch welche.

Ganz in meine Arbeit versunken, fuhr ich erschrocken herum, als mich jemand sanft an der Schulter berührte. Ich hatte ihn gar nicht kommen hören.

„Was schaust du da so konzentriert?", wollte mein persönlicher Albtraum, mein Zusammenzucken dabei völlig ignorierend, wissen. Wie konnte man nur so cool und lässig sein? Gott, ich war doch eigentlich Arzt, sogar Chirurg, ich musste sonst in weitaus schlimmeren Situationen den Kopf bewahren, was mir nie schwerfiel. Und jetzt kam da plötzlich so ein dahergelaufener Taugenichts und stellte mein ach so perfektes und strukturiertes Leben binnen weniger Stunden komplett auf den Kopf. Warf alles durcheinander.

„Wohnungsanzeigen ...", erwiderte ich trocken und schüttelte seine Hand von meiner Schulter. Brachte nicht sehr viel, denn das Kribbeln und die Hitze blieben, auch wenn seine Finger bereits fort waren. „Du kommst ja nicht in die Puschen, sondern verschläfst lieber den ganzen Tag ..." sicher, das war wohl nicht allzu fair, aber irgendwie musste doch sein überaus großes Selbstbewusstsein zu dämpfen sein.

„Wenn man mich nachts nicht schlafen lässt ...", neckte er mich lächelnd und machte sich auf den Weg zur Kaffeemaschine. „Möchtest du auch einen Kaffee?" Dabei neigte er seinen Kopf leicht schräg und sah mich fragend aus seinen großen grünen Augen an. Verdammt! Selbst in Jeans und Shirt sah er immer noch zum Anbeißen aus. Das würde eine elend lange und harte Woche für mich werden. Ich sollte gleich mal in der Klinik anrufen und mich am besten für sechs durchgehende vierundzwanzig Stunden Schichten eintragen lassen.

„Hmpf ...", brummte ich in meinen nicht vorhandenen Bart. Er sollte sich endlich setzen, damit wir ihm eine Wohnung finden konnten. Stattdessen lümmelte er lockerflockig an der Kaffeemaschine und sah dabei so unglaublich sexy aus.

„Was ist deine Schmerzgrenze bei der Miete?", fragte ich schon mal, während er noch dabei war, einen zweiten Kaffee durchzulassen. Wie selbstverständlich holte er die Milch und goss uns beiden einen Schluck ein.

„Zucker?" Bildete ich mir das nur ein, oder fing er schon an sich hier heimisch zu fühlen? „Zwei Teelöffel ...", erwiderte ich widerwillig, aber ich konnte ungesüßten Kaffee einfach nicht leiden. „Wie ich...", stellte er strahlend fest und holte zielsicher den Zucker aus dem Regal. Und zum ersten Mal an diesem Tag hatte ich das Gefühl, dass es ihn wirklich freut. Er sein Lächeln nicht nur strategisch einsetzt, um irgendein Ziel zu verfolgen. „Hier, bitteschön!", flötete er da auch schon fröhlich, als er mir die Tasse servierte und setzte sich mit seiner zu mir an den Tisch.

„Also ...", wollte ich unser Thema wieder aufgreifen. Ich hatte hier letztendlich einen Job zu erledigen. Je schneller er eine Wohnung hatte, desto schneller würde er verschwinden. „Also ... was?", verwirrt sah er mich an. Ja, hatte er den gar nicht zugehört? Oder wo war er nur mit seinen Gedanken? Wobei, das wollte ich wiederum gar nicht so genau wissen. „Na, dein Budget für die Wohnung! Stell dich doch nicht so dumm an, oder ist Sex das Einzige, was du drauf hast?" Langsam wurde ich wirklich ungehalten. Dieser Kerl war ein Bremser, wie es im Buche stand. Solche Leute konnte ich gar nicht abhaben. Da wurde ich hibbelig und unruhig, vor allem wenn es mich selbst betraf und direkt darunter leiden sollte.

„Ja, danke auch ..." Scheinbar verärgert, verschränkte André die Arme vor der Brust und lehnte sich zurück. Na gut. Das war jetzt bestimmt nicht fair gewesen. Aber es war auch nicht gerecht, dass er einfach so vor meiner Tür gestanden hatte und sich bei mir einquartierte.

„Sorry.", murmelte ich. „Aber wir sollten jetzt dringend anfangen, dir eine Wohnung zu suchen. Eine Woche ist nicht lange, weißt du?", versuchte ich mich an einer friedvollen Antwort. Traf mit meinen Worten jedoch scheinbar nicht direkt ins Schwarze.

„Hör mal, Jo.", war er es, der nun folgenschwer seufzte und sich durchs Haar fuhr. Es war immer noch feucht und kräuselte sich etwas an den Enden. Damit sah er tatsächlich wie ein gelockter Engel aus. „Ich bin weder ein Stricher, noch ein Dieb, noch bin ich blöd! Wenn ich lieber verschwinden soll, dann sag es einfach. Dann bin ich sofort weg. Ich hab dich lediglich um eine Nacht gebeten, nicht um eine Woche, das war dein Vorschlag, falls du dich noch daran erinnerst. Aber versuch mich nicht, mit Beleidigungen zu vergraulen."

„Ich dachte, du weißt nicht, wo du unterkommen kannst?", überging ich seine gar nicht mal so falschliegende Argumentation. Und eigentlich hätte es nach diesen Worten so einfach sein können. Ich müsste ihm lediglich sagen, dass er gehen sollte. Immerhin war es doch genau das, was ich so sehr wollte, oder?

„Das ist ja wohl dann mein Problem ...", seufzte er erneut kopfschütten, erhob sich von seinem Stuhl und machte Anstalten zu gehen. „Setzt dich!", befahl ich und klag mal wieder harscher als beabsichtigt. Aber dieser Kerl raubte mir grade meinen letzten Nerv. Und auch wenn ich es nie zugeben würde, gab es einen Teil in mir drin, der partout nicht wollte, dass André ging. Nicht jetzt schon. „Ich hab dir eine Woche gegeben, also kannst du diese auch hier verbringen!"

Zwar hielt er in der Bewegung inne und blieb stehen, vollbrachte aber ansonsten keinerlei Anstalten, sich wieder zu mir zu setzten. Das wiederum machte mich fürchterlich unruhig. Noch unruhiger als seine sonstige Trägheit. Ich wollte doch tatsächlich mehr, als das ich geahnt hatte, dass er blieb. Ein zunehmend beunruhigender Gedanke.

„Ich hab jetzt mal alle Wohnungen mit einer Miete bis siebenhundert Euro ausgesucht." Ging ich einfachhalber über alles hinweg und fing mit dem ursprünglichen Thema an. „Siebenhundert Euro?", fragte er geschockt und schien sogar etwas bleich zu werden. Aber immerhin setzte er sich in Bewegung und nahm mir erneut gegenüber Platz. „Es gibt auch günstigere. Da musst du dann aber ein paar Abstriche machen.", versuchte ich ihn gleichmal etwas zu beruhigen. „Was versteht sich unter günstiger?", nervös knetete er seine Fingerknöchel, bis sie knackten.

„Emm ... Moment ...", schnell überflog ich die markierten Anzeigen. „Dreihundertfünfzig kalt ist das Günstigste, wie ich sehe..." Was in der Tat für unsere Stadtverhältnisse spottbillig war. Also konnte es sich dabei wohl nur um eine Bruchbude handeln.

„Oh ...", machte er und spielte weiter hibbelig mit seinen Knöcheln. Das tat ja schon beim Hinsehen weh. Und am liebsten hätte ich nach seiner Hand gegriffen. „Was ist los? Das ist doch nun wirklich kostengünstig und wahrscheinlich ein totales Loch, für diesen Preis." Doch langsam beschlich mich das ungute Gefühl, das der Preis wohl tatsächlich zu hoch für ihn war. „Wie viel hast du den bis jetzt bezahlt?", wollte ich vorsichtig wissen, um nicht wieder patzig oder herablassend zu klingen, und versuchte es mit einem anderen Ansatz.

„Emm ... hundert Euro ...", stotterte er etwas neben der Spur hervor. Ich schien ihn völlig aus den Gedanken gerissen zu haben. Uff! Mit hundert Euro würden wir gewiss nichts finden. Nicht mal ein Zimmer in einer WG. Wo hatte er bloß gewohnt? Hinterm Mond?

„Und wie viel Geld hast du monatlich zur Verfügung?", fragte ich immer noch verblüfft, wie man für dieses Geld hier eine Wohnung haben konnte. „Hmm ... zwischen vierhundert und fünfhundert in etwa ...", dabei zuckte er mit den Schultern. Mir blieb der Mund offen stehen. Was zur Hölle trieb der Kerl? „Wie hast du den bis jetzt gelebt?", formulierte ich meine wild spekulierenden Gedanken, auf die freundlichste Art und Weise, die mir einfiel. Schließlich konnte ich ja nicht direkt fragen, wie zum Henker er bis jetzt durchgekommen war.

„Ich hab die letzten Jahre mit Franz zusammen gewohnt. Und für den Rest, was ich so brauche, hat das Geld durchaus gereicht.", erklärte er ziemlich verzweifelt. André hatte sich wohl noch nie in seinem Leben real nach einer Wohnung umgesehen, oder sich auch nur annähernd Gedanken um Mietpreise gemacht.

„Du hast mit deinem Freund zusammen gewohnt und bist trotzdem regelmäßig mit mir im Darkroom verschwunden? Sitzt du jetzt deswegen auf der Straße?", verließ die Frage schneller meinen Mund, als ich sie wirklich überdenken konnte. Wer war dieser Franz und wieso hatte ich jetzt schon das Gefühl ihn nicht leiden zu können? War das etwa Eifersucht, die versuchte sich in mir breitzumachen? Nein! Was dachte ich da bloß?

„Was???", irritiert sah er mich an und riss mich, dem Himmel sei Dank, aus meinen wirren Überlegungen. „Um Gotteswillen nein! Franz ist nur ein Freund. Ein hetero Freund, der seit gestern mit seiner Freundin zusammen wohnt."
„Und da setzt er dich von jetzt auf gleich vor die Tür?" Irgendwie ergab immer noch alles keinen wirklichen Sinn und mit jeder Antwort, die er mir gab, folgten Unmengen an neuen Fragen.

„Nicht ganz..." er nahm seine Kaffeetasse, nippte daran und gleichzeitig wurde ich das Gefühl nicht los, dass er dies nur tat, um nicht weiter mit mir sprechen zu müssen.

Wie konnte man nur sein eigenes Leben so vertrödeln? Aber immerhin hatte ich das Gefühl, dass ihm die ganze Situation nicht ganz egal und doch etwas peinlich war. Auf alle Fälle würde noch ein Haufen Arbeit auf uns zukommen. Als ersten sollte er sich um einen Job kümmern, denn mit dem bisschen Geld konnte er sich kein Leben auf eigenen Füßen leisten.

Ganz langsam überkam mich das Gefühl, dass ich ihn in einer Woche, trotz meiner Ankündigung, weder vor die Tür noch aus meinem Leben werfen würde. Und das versprach in der Tat heiter zu werden.

Mr. Unnahbar (Mr. 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt