„Wie war es eigentlich in der Arbeit?", riss mich André aus meinem Versuch, den Plätzchenteig exakt auf drei Millimeter auszurollen. Denn alles, was drüber oder drunter lag, wurde mir von meinem Gegenüber nicht abgenommen und ich durfte von Neuem anfangen. Kurz überlegte ich, was alles vorgefallen war und was ich ihm Neues erzählen konnte, da fiel es mir wieder ein. Ich hatte mich nämlich schon den ganzen Tag herumärgern dürfen und dann, als ich fix und fertig heimkam, hatte mich hier, die nächste Katastrophe erwartete. Meinen Frust diesbezüglich an André auszulassen war gewiss keine Glanzleistung gewesen und tat mir jetzt im Nachhinein richtig leid. Sonst würde ich nicht hier herumsitzen und diesen bescheuerten Teig zum xten Mal ausrollen.
„Könntest du den Teig noch ein klein wenig dünner ausrollen?" Kaum war man etwas unkonzentriert, da stürzte er sich schon förmlich auf einen. Es waren doch nur Plätzchen. Aber nein, entweder es war dem Herren zu dick, oder zu dünn, dann wiederum zu ungleichmäßig! Was hatte ich mir da nur für eine penible Diva ins Haus geholt? Und da schimpfte man mich einen Perfektionisten?
„Da oben ist es noch zu dick ...", riss er mich erneut aus den Gedanken und zeigte auf die Stelle, die genau so dick aussah wie der Rest. Schließlich war ich Chirurg und durchaus in der Lage so etwas einschätzen zu können und Feinarbeiten auszuführen. Wenn das hier so weiter ginge, würde ich mich nächstes Jahr auf keinen Deal der Welt einlassen, noch einmal mit Mr. „Ich brauche nur perfekte Plätzchen" zu backen. Hmm, was dachte ich hier bloß? Gott allein wusste, ob wir es zusammen durch diesen Monat schafften, geschweige den durch ein ganzes Jahr.
„Wenn du so weiter machst, muss ich dich mit dem Nudelholz erschlagen!", prophezeite ich ihm gleich mal sein baldiges Ableben, demonstrativ mit dem schwingenden Nudelholz in der Hand.
„Wieso das denn?" Völlig überrascht sah er von seiner Arbeit auf. Schien wirklich nicht zu ahnen, dass er ganz nah an der Klippe stand, von wo aus nur ein kleiner Stoß genügen würde.
„Weil du in einer Tour nörgelst ...", klärte ich meinen verdattert dreinschauenden Freund auf. „Egal, wie ich es mache, es passt nicht. Ich weiß gar nicht, für was du mich hier brauchst!", vollendete ich meine Sicht der Dinge und rollte das Besagte zu dicke Ende noch einmal nach.
„Aber...", er stockte in seinem, angefangenem Satz und wusste wohl nicht so recht, was er darauf erwidern sollte. „Aber, das stimmt doch gar nicht! Du bist mir eine große Hilfe und wir haben doch viel Spaß zusammen." Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass André bei einem anderen Plätzchen backen war wie ich. Unter Spaß verstand ich was anderes.
„Du bist also voll und ganz mit meiner Arbeit zufrieden?", stellte ich meinem Liebsten eine Fangfrage, die er mit einem sofortigen „natürlich" beantworte. Während ich grinsend den Teig vor mir noch einmal nachbearbeitete, so dass er dieses Mal ganz absichtlich buckelig und zu dünn wurde.
„So passt es also?" Immer noch schadenfroh grinsend, stach ich gleich mal ein paar Sterne aus. Scheinbar etwas sprachlos öffnete André seinen Mund, nur um ihn gleich drauf unverrichteter Dinge zu schließen. Mit mir selbst äußerst zufrieden, platzierte ich die etwas zu schief geratenen Plätzchen, was wohl daran lag, dass sie definitiv zu dünn waren, auf dem Blech. Mir, dem missbilligenden Blick, der über meinem Tun schwebte, durch aus bewusst.
„Na, die kannst du dann einfach selbst essen ...", stellte André plötzlich klar und verschwand mit seinem Blech zum Backofen. Lachend lehnte ich mich zurück. Armer André! Diese perfekten Plätzchen schienen ihm wirklich wichtig zu sein.
„Wie war's jetzt in der Arbeit ...", unterbrach er etwas beleidigt mein Lachen und setzte sich wieder zu mir an den Tisch. Augenblicklich verging es mir.
„Beschissen!", wütend pfefferte ich ein Stück Teig zurück in die Schüssel. „Aber wieso denn das?" Auch André lehnte sich zurück und schenkte mir so seine volle Aufmerksamkeit.
„Mein liebreizender Chef hat mir einen Grünschnabel vor die Nase gesetzt, den ich jetzt einweisen darf. Angeblich auch ein aufgehender Stern, um den sich alle Kliniken reißen würden, der mir jetzt an den Fersen klebt.", missbilligend verzog ich mein Gesicht. Diesen Vollpfosten hatte ich schon kennengelernt, als er mir bei dem ertrinkenden Jungen ins Handwerk pfuschen wollte!
„Okay ... das passiert doch öfters, dass du Leute einweisen musst. Wieso regt es dich diesmal dermaßen auf?" Seiner Frage fehlte jeglicher Vorwurf. Es erstaunte mich irgendwie jedes Mal auf Neue, dass es André tatsächlich zu interessieren schien, was ich mir dachte und was in mir vorging. Das hätte ich ihm früher nie zugetraut. Ich hatte ihn eigentlich für einen sehr oberflächlichen und selbstverliebten Menschen gehalten. So konnte der erste Eindruck manchmal täuschen.
„Im Gegensatz zu den Anderen rückt er mir tatsächlich nicht von der Pelle. Egal wo ich bin, da ist auch er. Und dann auch noch seine ganze Art!", langsam redete ich mich in Rage. „Immer am Strahlen, immer höflich und zuvorkommend, egal wie schroff ich ihn auch anpflaume. Er nimmt es nie ernst, sondern zwinkert mir zu und erledigt alles zu jedermanns Zufriedenheit."
„Vielleicht steht er ja auf dich!", nutze André mein Luftholen, um mich zu unterbrechen, dabei zuckten seine Mundwinkel. Der Ernst war ihm wohl ausgegangen.
„So ein Quatsch!", vehement schüttelte ich den Kopf. Das wollte ich mir gar nicht erst vorstellen. Als stünde mein Leben nicht sowieso schon Kopf. Das Grinsen auf Andrés Gesicht wurde immer breiter und fing langsam an, mir gegen den Strich zu gehen. Man sollte meine Probleme und mein Leid ernst nehmen und nicht belächeln.
„Ein Schönling, der mich in den Wahnsinn treibt, ist eindeutig genug!" Sein Grinsen wich und ein klein wenig Schadenfreude setzte bei mir ein. Sicherlich würde er gleich eine Diskussion starten a la „Ich treib doch niemanden in den Wahnsinn".
„Wie Schönling ...", fragte er stattdessen fassungslos, etwas blasser um sein Näschen herum. Doch bevor ich etwas sagen konnte, rettete mich die Eieruhr, die uns daran erinnerte, das sich noch Plätzchen im Ofen befanden. Das Makronen Desaster war noch nicht gänzlich vergessen.
„Ich geh schon ...", stieß ich hervor, sprang von meinem Stuhl auf und flüchtete zum Ofen. „Lenk jetzt ja nicht ab! Ist er hübscher als ich?", erklang die liebreizende Stimme meines Freundes missbilligend im Hintergrund.
„Emm ...", machte ich, um Zeit zu schinden und André noch etwas hinzuhalten, während ich das heiße Blech aus dem Ofen holte.
„Johannes ...", wurde ich da auch schon angepflaumt. Mit meinem Schmunzeln auf den Lippen stellte ich das Blech zum Abkühlen auf die Arbeitsplatte und schob mein Blech, mit den verhunzten Plätzchen in den Ofen. Die, die ich selbst essen konnte!
„Aber nein, André!", wiegelte ich immer noch grinsend ab. „Du bist der Schönste im ganzen Land!" „Zzzz ...", zischte mich mein Hübscher an und verschränkte die Arme vor der Brust, was mich endgültig zum Lachen brachte. „Blödmann!", wurde ich sogleich beleidigt betitelt. Bereits auf dem Weg vom Ofen zurück, blieb ich hinter André stehen und beugte mich vor, um ihm einen Kuss auf den Scheitel zu drücken.
„Ja, ja ich liebe dich auch ..."
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Mr. Unnahbar (Mr. 1)
RomanceEin Club. Samstagnacht für Samstagnacht. Heiß, hart, anonym. Zwei Männer, die nicht unterschiedlicher sein könnten. Zwei Welten, die aufeinander prallen. Der eine - ein typischer Workaholic, null Privatleben. Nimmt das Leben immer todernst und g...