5. André - beschissener Tag

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Das hatte er doch nicht tatsächlich gesagt? Wütend starrte ich den roten Lichtern seines Autos nach, die sich zügig von mir entfernten. Na herzlichen Dank auch Dr. Burg, innerhalb einer halben Stunde von Stricher zum Dieb befördert, so hatten wir das gerne!

Fix und fertig von diesem beschissenen Tag, der scheinbar kein Ende nehmen wollte, ließ ich mich zurück auf die Bank plumpsen. Was für eine bescheuerte Idee, hier aufzutauchen. Frustriert schloss ich die Augen und sog die kalte Luft in meine Lungen, während ich meinen Tag Revue passieren ließ.

Kaum, dass ich das Gespräch mit Franz beendet hatte, versuchte ich einen sogenannten Freund nach dem anderen zu erreichen. Wurde aber netterweise überall nur mit irgendwelchen dämlichen Ausreden abgewimmelt. Von, die Eltern reisten zum Besuch an, bis die Katze wäre krank oder man wäre grade sogar auf den Sprung zu einem spontanen Urlaub, war alles dabei. Aber mal ehrlich, wie bescheuert war ich auch, von Leuten, mit denen man außer Party machen nichts gemein hatte, Hilfe zu erwarten? Und da ich scheinbar noch nicht genug von Absagen hatte, kam mir die glorreiche Idee, ich könnte doch einfach bei dem Kerl auftauchen, dem ich hin und wieder meinen Arsch hinhielt. Der würde sich ganz sicher freuen mich zu sehen.

Darum ließ ich meine Sachen vor der Tür stehen und machte mich auf den Weg in das Café, in dem ich ab und an jobbte. Dort angekommen, ließ mich Lucy hinten ins Büro und ich konnte im Internet nach Mr. Unnahbar suchen. Wie er hieß, wusste ich ja dank Sandro und Luigi. Und nachdem ich die Suche mit seinem Namen gefüttert hatte, konnte ich mein Glück kaum fassen. Etliche Berichte in der regionalen Zeitung die sein hübsches, wenn auch oft sehr streng dreinschauendes Gesicht, schmückte.

Mr. Unnahbar schien als Arzt nicht gerade unbekannt zu sein und eine steile Karriere hingelegt zu haben. Wie mir schien ein aufgehender Stern, mit dem sich das örtliche Krankenhaus nur zu gerne schmückte. Das zumindest behauptete die Zeitung.

Nachdem ich mich noch etwas durch die Artikel und Fotos geklickt hatte, versuchte ich erneut mein Glück im Telefonbuch und wer hätte es für möglich gehalten, es erschien genau ein einziger Eintrag mit einem Dr. J. Burg. Die Adresse, die mir angezeigt wurde, war nur ein paar Minuten von hier entfernt und außerdem ganze Nahe am Krankenhaus. Das konnte doch nur er und gleichzeitig ein Wink des Schicksals sein! Wieder etwas zuversichtlicher fuhr ich die alte Kiste, die Lucy Computer schimpfte, hinunter und betrat erneut das Café.

„Herzchen und du bist dir sicher, dass du nicht mit zu uns möchtest?", wurde ich von besagten Lucy begrüßt. Sie war Anfang sechzig, sah aber aus wie Ende dreißig mit ihren schwarzen Locken und den großen Mandelaugen. Eine liebe und quirlige Italienerin. Und wäre nicht die Tatsache, dass ihre halbe Verwandtschaft aktuell bei ihr und ihrem Mann zu Besuch war, hätte ich nicht gezögert ja zu sagen. Aber so hatte sie auch ohne mich genug zu tun, um die Meute ihn ihrem kleinen Häuschen unter zubekommen. Daher bedankte ich mich artig und machte mich auf den Weg zu Mr. Unnahbar. Schließlich war es bereits zweiundzwanzig Uhr und recht viel später wollte ich dann doch nicht bei ihm erscheinen.

Es war in der Tat nicht weit bis zu ihm. Kaum zehn Minuten später stand ich vor einem kleinen Einfamilienhaus mit Garage. Vor dieser parkte ein Notarztfahrzeug. Bis hierhin hatte ich noch nicht einmal einen Gedanken daran verloren, er könnte nicht zu Hause sein. Jetzt war ich froh, dass er es zu sein schien. Denn langsam wurde es wirklich kühl und ungemütlich hier draußen.

Nervös lief ich durch das Gartentor und den Weg zur Haustür hinauf. Über mir ging ein Licht auf und ich zuckte erschrocken zusammen. Ansonsten aber lag das Haus im Dunkeln. Eventuell war er ja doch nicht zu Hause? Nervös fuhr ich mir durchs Haar, ein Tick, denn ich mir nicht abgewöhnen konnte, und sah mich nach einer Klingel um. Tief holte ich Luft, als ich sie an der Seite entdeckt hatte, und presste mit meinem Zeigefinger kurz auf den Knopf. Das Herz in meiner Brust blieb stehen, aber nichts geschah. Hatte ich nicht richtig geläutet? Ich erinnerte mich nicht daran, etwas gehört zu haben. Also drückte ich erneut auf den Knopf, dieses mal ein klein wenig länger und endlich hörte ich auch ein Surren.


Irgendwo im oberen Stockwerk ging ein Licht an und eine gefühlte Ewigkeit später, direkt eins hinter der Tür. Ich schlucke. Wischte meine Handflächen an meiner dünnen Jacke ab und richtete mich etwas auf.
Was in drei Teufels Namen machte ich hier eigentlich? Ich konnte doch nicht einfach so bei ihm läuten! Wir kannten uns nicht! Er redete nicht einmal mit mir! Geschweige denn, dass er meinen Namen kannte, oder besser gesagt ihn wissen wollte. Doch weiter kam ich mit meinen Gedanken gar nicht mehr, da wurde die Tür aufgerissen und Mr. Unnahbar stand vor mir.

Mein Mund wurde trocken und ich hatte echt damit zutun, dass mir der Kinnladen nicht hinunter klappte. Barfuß, mit verstrubbelten Haaren, dabei lediglich in einer Pyjamahose bekleidet, stand er auf einmal vor mir und sah einfach nur umwerfend aus. Ich hatte noch nie, so viel von seiner nackten Haut gesehen. Irgendwie war immer nur ich derjenige, der bei unseren Treffen die Klamotten verlor. Aber Herrgott nochmal er brauchte sich wirklich nicht zu verstecken. Leicht definierte Muskeln, gebräunte Haut und bis auf den obligatorischen dunklen Streifen Haare, der in seiner Hose verschwand, haarlos. Ich schluckte schwer, konnte ihn nur noch anstarren. Wären wir jetzt gerade im Heaven, hätte ich nicht eine Sekunde gezögert, ihn hinter mir her in den Darkroom zu schleifen und über ihn herzufallen.

Und dann zum ersten Mal überhaupt, hörte ich seine Stimme. Tief, rau und unglaublich sexy. Gänsehaut lief mir den Buckel hinunter und das Blut sammelte sich in meinem Schwanz. Verdammt, hier schien Mr. Adonis den Olymp persönlich heruntergestiegen zu sein. Ich musste aufpassen, damit mir der Sabber nicht am Kinn hinab lief.

Tja und dann hatten wir uns unterhalten, wenn man das überhaupt eine Unterhaltung nennen konnte. Und aus Mr. Adonis wurde ganz schnell ein Mr. Arschloch. Ich verstand schon, dass er nicht gerade begeistert über mein Erscheinen war, dennoch war es nicht fair, mich so dumm anzugehen. Eben drum wandte ich mich wütend ab und stampfte mit meiner Reisetasche davon. Ich hatte heute schon mein Dach über den Kopf verloren, da musste ich meine Würde nicht gänzlich mit oben drauf packen.

Ja ... und jetzt saß ich hier. Die Kälte und Nässe des ersten Schnees kroch unerbittlich weiter in meine Glieder und die Zacken des Schlüssels bohrten sich schmerzvoll in meine Handfläche. So fest presste ich meine Hand zur Faust.

Sollte ich gehen? Sollte ich wirklich zu ihm? Wo ich mir wahrscheinlich nur weitere dieser tollen Nettigkeiten anhören müsste? Auf der anderen Seite, hatte ich denn überhaupt eine Wahl? Immerhin wurde es immer kälter und kälter und auch diese verfluchten Schneeflocken nahmen immer mehr zu. Der ganze Boden war schon bedeckt, so wie auch mein Haar. Noch ein bisschen und ich wäre nicht nur durchgefroren, sondern auch noch komplett nass.

Schnaubend erhob ich mich. Kaffee und eine Dusche klangen schlichtweg zu verlockend. Also ging ich tatsächlich, mit hängenden Schultern, die wenigen Meter zurück zu seinem Haus und schloss auf. Da ich nicht wusste, wohin mit meiner Tasche stellte ich sie einfachhalber neben seiner Garderobe ab. Entledigte mich meiner klammen Sachen und sah mich neugierig um. Wie wohl ein Mr. Unnahbar wohnte?

Vom Flur aus gelang man in ein Wohnzimmer, das sehr edel und trotzdem schlicht eingerichtet war. Schwarzes Ledersofa, weiße Designermöbel, abstrakter Kunstdruck an der Wand. Im Großen und Ganzen wie aus einer Zeitschrift und null persönlich. Man könnte meinen hier wohnte niemand, und es handle sich lediglich um einen Ausstellungsraum. Gleich dahinter befand sich die Küche, mein eigentliches Ziel. Auch die sah aus, wie aus dem Katalog und als wäre sie noch nie benutzt worden. Ganz automatisch steuerte ich den Kaffeevollautomat an und machte mir einen Kaffee. Ein Blick in den Kühlschrank zeugte davon, dass Mr. Unnahbar mit seiner Aussage, einen leeren Kühlschrank zu besitzen, nicht übertrieben hatte, denn darin stand lediglich eine angefangene Packung Milch. Mehr aber brauchte ich gar nicht für meinen Kaffee.

Nachdem dieser durchgelaufen war, ging ich zurück ins Wohnzimmer und setzte mich aufs Sofa. Irgendwie fühlte ich mich hier richtig fehl am Platz. Alles wirke steril, nur ich war nass und durchgefroren und sah höchstwahrscheinlich aus, wie ausgekotzt. Passte einfach nicht hierher... Aber ich blieb sitzen und wartete und wartete und wartete. Als ich zum x-ten Mal gähnte und mir regelrecht die Augen zufielen, hielt ich es nicht mehr länger aus. Ich brauchte dringend eine Dusche und ein Bett, schließlich war ich schon über vierundzwanzig Stunden auf den Beinen und ohne ausreichend Schlaf kam ich um.

Ein Blick auf die Uhr zeigte mir nach zwei Uhr morgens. Wollte Johannes nicht eigentlich schon längst zurück sein? Müde wie ich war, beschloss ich, meine Tasche zu holen, zu duschen und mich endlich ins Bett zu verkriechen. Was ich schlussendlich auch tat.

Mr. Unnahbar (Mr. 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt