36. Johannes - Epilog oder das Verlangen nach Kuchen

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„Sag mal, geht's noch???", wütend schnaubte ich André an. Die gefühlt hundert Augenpaare, die nun auf uns hafteten, ignorierend.

„Es tut mir leid!", keuchte mein Herzblatt völlig außer Puste. „Ich bin so schnell gelaufen, wie ich nur konnte.", dabei strich er, eine seiner langen Strähnen hinters Ohr. Das leicht zerzauste Haar vom Wind, die strahlenden Augen, das verschmitzte Lächeln auf seinen Lippen und die geröteten Wagen. Selbst abgehetzt, sah er noch unglaublich sexy aus, aber ich ließ mich nicht erweichen.

„Das sehe ich ...", knurrte ich trotzdem wütend. „Wie lange steht dieser Termin schon fett in deinem Kalender? Es ist eine Hochzeit, da muss man doch pünktlich sein!", meine Stimme glich mittlerweile einem Fauchen. „Die ganzen Leute starren uns an!"

André, dem das Ganze nichts auszumachen schien, hakte sich bei mir unter und zog mich lässig durch den Mittelgang.

„Die starren nur, weil sie neidisch sind!", wurde mir grinsend ins Ohr geflüstert.

„Auf was?!" Gott, ich konnte Unpünktlichkeit nicht leiden. Ich konnte Hochzeiten nicht leiden. Das war einfach nicht mein Ding. Und dann durfte ich wie bestellt und nicht abgeholt herumstehen und darauf warten, dass mein elender Schweinehund von meinem Freund, die Güte besaß, zu spät endlich hier zu erscheinen.

„Darauf, dass ich den besten, nettesten und gutaussehenden Kerl dieser Welt zum Mann habe!", erwiderte André, ohne dabei rot zu werden.

„Jetzt übertreib nicht!", ich wusste, was er vorhatte. Immer und immer wieder versuchte er mich, um den Finger zu wickeln, und verdammt, es klappe fast jedes Mal. Vielleicht war es an der Zeit für einen anderen.

„Okay, überredet!", flüsterte er mir erneut zu. „Das ‚nett' war eindeutig gelogen!"

Wir hatten endlich den Mittelgang überwunden und setzten uns, auf die für uns vorgesehenen Plätze. Keine Sekunde später, ertönte die Musik und die Gäste erhoben sich.

„Lächle ..." hauchte André an mein Ohr. „... mein kleiner Miesepeter! Dann gibt es hier keinen schöneren Mann." Wieso hatte er nur so eine verdammt gute Laune? Strahlte förmlich aus allen Poren. Zwinkerte mir sogar zu, während ich ihn immer noch fragend musterte.

„Später ...", versprach er mir. Die Musik verklang und wir setzten uns wieder auf unsere Stühle.

Der freie Sprecher begann mit seiner Rede und alle Anwesenden lauschten andächtig seinen Worten, vor allem André schien an den Lippen dieses Mannes zu hängen. Wäre dieser nicht aus der Steinzeit, hätte ich fast so etwas wie Eifersucht verspürt. So blieb mir nur, ihn weiter zu beobachten. Also André, nicht den Urzeitmenschen.

„Du willst sowas auch ...", fiel es mir wie Schuppen von den Augen, mein Mundwerk war sogar noch ein bisschen schneller als mein Hirn. Widerwillig löste er den Blick von Sandro und Luigi, die sich gerade versprachen sich zu lieben bis, ach und so weiter und sofort. Blinzelnd musterte er mein Gesicht und ich hatte das Gefühl, das es in seinem Hinterstübchen nur so ratterte.

„Wieso fragst du?", wollte er nach einer gefüllten Ewigkeit wissen. Ich schnappte nach Luft, hatte gar nicht mitbekommen, das ich sie angehalten hatte. Ja, wieso fragte ich nur? Also zuckte ich nur mit den Schultern und sah erneut nach vorne. Eine Weile spürte ich noch Andrés Blick auf mir, bevor auch er sich von mir abwandte und wieder nach vorne blickte. Die beiden Italiener vor uns küssten sich bereits und die Menge erhob sich klatschend. Endlich war der Spuk vorbei. Wurde aber auch Zeit. Ich fühlte mich hier nämlich mehr als nur deplatziert.

Sobald wir dem glücklichen Pärchen gratuliert hatten, floh ich regelrecht zur Bar. Was wäre, wenn er das wirklich wollte? Wollte ich es denn auch? Eigentlich nicht, ich hasste dieses Tamtam! Man kannte sich doch auch ohne all dem Kram, lieben bis ans Ende aller Tage!?! Wer zum Henker brauchte schon Blumen, Musik, diese ganzen Leute, die Torte, das Essen ... okay die Torte vielleicht schon. Vor allem, wenn Elias sie gebacken hatte. So ein Stück cremiges, saftiges, schokoladiges Diabetiker-Schnittchen.

„Wann gibt's Kuchen?", wollte ich von André wissen, der gerade dabei war, für uns an der Bar zwei Drinks zu bestellen.

„Was ist los mit dir?", ganz komisch guckte er mich dabei an, so als wäre ich wahnsinnig, durchgeknallt, meschugge. Ich zuckte mit den Schultern. „Ich hab halt Lust auf Kuchen!?" Vielleicht war ich einfach nur unterzuckert? Das würde es wohl sein. Ich hatte mich ja so beeilt, pünktlich zu sein, damit André ja nicht warten musste, dass ich gar nicht dazu kam, zu frühstücken. Und wer hatte sich verspätet? Mein, seit Neustem, Workaholic Freund.

„Kuchen?", sein Blick ruhte skeptisch auf mir. Was hatte er nur für ein Problem? Als gäbe es bei Kuchen irgendwelche Fragen.

„Können wir mal kurz unter vier Augen reden?", wollte er wissen und mir wurde ganz flau in meinem Magen. Ich wollte nicht reden, wollte nicht allein sein mit ihm. Ich wollte Kuchen ... mit viel Schokolade. Ja, das würde mich glücklich machen und vielleicht die aufsteigende Panik in meinem Inneren beruhigen. Ich wusste schon, warum ich nie auf solche Veranstaltungen ging.

Aber mein Freund wartete keine Antwort ab, sondern griff mir an dem Ellbogen und zog mich, abseits der Menge, in einen abgelegenen Teil des Gartens.

„So ... und jetzt verrate mir bitteschön, was mit dir los ist?" Mit verschränkten Armen lehnte sich André an einen Baum und musterte mich unaufhörlich. Ich schwieg. Was sollte ich denn auch sagen? Das ich gerade das Gefühl hatte, hier von allem erdrückt zu werden? Und am liebsten augenblicklich das Weite suchen wollte? Der würde mich doch glatt für bekloppt halten.

„Wieso bist du so schlecht drauf?", ergriff er erneut das Wort, nachdem von mir nichts kam. „Ja, ich hatte mich verspätet! Aber ich hab mich doch entschuldigt! Außerdem hatte es einen guten Grund!", wieder huschte dieses Strahlen in sein Gesicht, obwohl er versuchte ernst dreinzuschauen.

Angestrengt dachte ich nach, schob die Panik bei Seite und versuchte etwas Klarheit, in meinem Kopf zu schaffen, und da fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Das alles entscheidende Meeting, das war ja heute.

„Sie wollen dich?", konnte ich jetzt die Antwort nicht erwarten. Seit Monaten arbeitete André nun schon als Architekt in dem Büro seines Vaters und das war seine erste Chance, einen eigenen Auftrag an Land zu ziehen. Er nickte. Schien kurz nicht zu wissen, was er machen sollte, bevor er mir grinsend um den Hals fiel.

„Ja, sie finden meine Entwürfe toll und sie wollen, dass ich ihr Projekt leite!", sprudelte es förmlich aus ihm heraus. „Kannst du dir das vorstellen? In zwei Jahren wird mein Baby fertig sein!" Ich versteifte mich bei dieser Wortwahl.

Oh Gott, Kinder ... wollte er auch Kinder? Scheiße, wieder diese Panik! Diese Hochzeit bekam mir wirklich nicht gut. Es war heiß, die Sonne knallte ganz schön vom Himmel. Im Idealfall bekam ich gerade einfach nur einen Sonnenstich.

André ließ von mir ab und schob mich ein Stück weg. „Was ist denn jetzt schon wieder?", dabei musterte er mich eingehend. Ich zuckte mit den Schultern. Was sollte ich denn sagen?

„Mensch Johannes, ich kenn dich lange genug, um zu wissen, dass nicht alles in Ordnung ist, also Spuks einfach aus." Langsam klang mein Kleiner etwas genervt. Irgendwo verstand ich ihn auch. Er hatte super Neuigkeiten erhalten, befand sich auf einer, sicherlich tollen Hochzeit, auf die er sich schon Wochen gefreut hatte und ich versaute alles. Aber ich konnte einfach nicht aus meiner Haut.

„Du willst das alles auch!", platzte ich heraus, sonst wäre ich wohl tatsächlich geplatzt.

„Was?", fragte er nach. „Haus? Garten?" Sarkasmus klang aus seiner Stimme, während er um sich zeigte. Er provozierte mich, das wusste ich und statt tief durchzuatmen und ruhig zu bleiben, flippte ich etwas aus.

„Nein!", fuhr ich ihn grober an, als ich wollte. „Heiraten, Kinder und den ganzen Scheiß ..." Nun war es draußen. Statt sauer zu sein und zurück zu schreien, lächelte er zufrieden und setzte sich ins Gras.

„Komm her.", dabei klopfte er neben sich. Ich folgte seiner Bitte und setzte mich zu ihm. Augenblicklich griff er nach meiner Hand und verschränkte unsere Finger ineinander. Jetzt erst merkte ich, dass meine feucht von Schweiß waren, aber das schien ihm egal zu sein. Immer wieder fuhren seine Fingerkuppen über meine Haut, beruhigten langsam meinen Herzschlag und mein überhitztes Gemüt. Tief atmete ich ein und seufzte.

„Besser?", fragte mein hübscher Engel mich lächelnd. „Besser ...", bestätigte ich. Es stimmte, der Druck, der meine ganze Brust zugeschnürt und das Atmen erschwert hatte, war entwichen. Jetzt fühlte ich mich zwar fix und fertig, aber eindeutig besser.

„Mein Mr. Unnahbar ...", flüsterte er rau und lehnte seinen Kopf an meine Schulter. „Weißt du, was ich wirklich will?" „Hmm ...?", seufzte ich und genoss seinen Körper an meinem.

„Dich glücklich sehen, bis ans Ende unserer Tage ... mehr brauch ich nicht!"

Herz, Atmung, alle Vitalfunktionen gingen in den Streik. Mein Engel ... immer wieder gelang es ihm, mich sprachlos zu machen. Gott, wie ich diesen Mistkerl liebte!

„Komm her!", krächzte ich mit erstickter Stimme. Griff ihm in den Nacken und zog ihn ruckartig zu mir heran. Unsere Lippen berührten sich, nicht zaghaft oder vorsichtig. Nein mit Kraft und Leidenschaft. Alles in mir drin explodierte. In der Ferne hörte ich das Harfenspiel kleiner, dicker Engel. Scheiße ... diesen Kerl würde ich doch glatt tatsächlich heiraten.

ENDE

Mr. Unnahbar (Mr. 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt