Tag 5
Ich weiß gar nicht ob es mir lieber wäre, wenn ich den Schwangerschaftstest jetzt schon in der Hand halten würde. Noch kann ich mir einreden, dass alles gut wird und ich nichts zu befürchten habe. Noch bin ich nicht offiziell schwanger. Andererseits will ich, dass dieses Warten endlich ein Ende hat. Es ist noch schrecklicher als ich gedacht habe. Meine Stimmung ist auf einem Tiefpunkt, der mir bisher unbekannt war, ich wusste nicht einmal, dass dieser Tiefpunkt in meinem Kopf existiert. Jeh mehr ich über die Sache nachdenke, desto größer wird meine Angst, wie ein Strudel, der mich in die Tiefe zieht. Und ich mache mir viele Gedanken. Meine Lehrer wundern sich schon, warum ich mich nicht am Unterricht beteilige und ich habe schon zweimal meine Hausaufgaben vergessen, innerhalb einer Woche. Das ist mir noch nie passiert. Oh und einen Vokabeltest habe ich auch versaut, ich hatte vergessen zu lernen, weil meine Augen die ganze Zeit auf meinen Bauch gerrichtet waren. Auch Mom und Dad machen sich langsam Sorgen um mich, zurrecht. Ich verhalte mich wirklich seltsam. Ständig starre ich gedankenverloren ins Leere und ich schließe mich in meinem Zimmer ein. Carl geht es nicht besser. Wenn wir uns in der Schule treffen, schweigen wir zumeist oder halten nur kurzen Smalltalk, peinlich darauf bedacht, die Worte Baby oder Schwanger nicht in den Mund zu nehmen, als seien es Schimpfwörter. Sam schweigt ebenfalls und wirft mir betroffene Blicke zu, jedes mal wenn sie mich ansieht. So habe ich sie noch nie erlebt. Sonst ist sie fröhlich, frech und aufgeweckt. Einzig und allein Debbie verhält sich fast normal. Auch sie macht einen Bogen um unser Tabuthema aber zumindest sieht sie mich nicht an, als wäre ich kürzlich zur Waise geworden und sie neckt Carl weiterhin, so als wäre einfach nichts. Aber wir reden nie über es. Meinen Eltern habe ich, wie versprochen, nichts erzählt. Keine Ahnung, was Mom und Dad sich so zusammenfantasieren. Als ich von Carl zurückkam, war ich schweigsam und wollte nicht erzählen was wir gemacht haben oder mit ihnen zusammen essen. Sowieso habe ich schon länger nichts nahrhafteres als einen Müsliriegel zu mir genommen. Meine letzte Mahlzeit liegt schon drei Tage zurück. Aber ich verspüre keine Hunger. Es ist eher, als würde ich die Leere, die in meinem Bauch herrscht so verstehen, als wäre auch kein Baby darin. Das ist natürlich bescheuert, aber deshalb knurrt mein Magen nie, weil ich es ihm schlichtweg verbiete. Es darf einfach nicht wahr sein.
Tag 9
Ich versuche mich irgendwie von meiner Situation abzulenken. Es wird immer schlimmer. Diese nagende Angst in meinem Inneren. Wenn ich sie ausschalten will, muss ich alle Emotionen ausschalten und genau das habe ich getan. Meine Augen sind auf die Decke gerichtet, mein Blick ist leer. Ich sitze im Biologie Unterricht. Unser Thema; Sexualkunde und Schwangerschaft. Wie passend. Doch ich beteilige mich nicht. Ich tue etwas, dass ich noch nie getan habe: über kabellose Kopfhörer, beschalle ich mein Gehirn mit Musik, nur um mir nicht den Vortrag über die Entwicklung eines Fötus anhören zu müssen. Wenn ich Pech habe, kann ich bald als lebende Studie dafür herhalten. Vor meinem geistigen Auge ziehen Bilder von mir auf dem Lehrerpult vorbei, mit geschwollenem Bauch, als wäre ich ein Objekt. Die Lehrerin veranschaulicht mithilfe von Ultraschall meinen Klassenkameraden wie es meinem Baby gerade so geht. Außerdem benutzt sie mich um darzustellen, was passiert, wenn man in diesem Alter ungeschützten Sex hat und ermahnt die Kinder. Die Klasse meiner Fantasien begafft mich, tuschelt und flüstert hinter ihrem Rücken und sie denkt, ich würde es nicht bemerken, aber ich höre genau was sie sagen: Schlampe für eine Nacht, was für eine dumme Hure, die kriegt echt ein Baby, hat sie jetzt davon, der verdammte Whiteboy Carl hat die echt geschwängert... Und dann schreit mein Scheinich auf, weil die Kleine in meinem Bauch mich getreten hat. Ein Schluchzen entfährt meinem jetzigen Ich. Die ganze Klasse starrt mich an. Und dieses Mal ist es Real. Aber noch habe ich keinen aufgeblähten Bauch. Unsere Biolehrerin, die mich in meinem Kopf eben noch vor der ganzen Klasse als Versuchsobjekt benutzt hat, kommt zu mir herüber. Barking von Ramz läuft auf den Kopfhörern und überschallt ihre fragenden Worte, ihre Miene ist besorgt. Ich sehe sie emotionslos an und mach keine Anstalten die Pods herauszunehmen. "ELODIE!", schreit sie jetzt so laut, dass ich es hören kann. Sie streicht mir harsch das Haar, dass über meinen Ohren liegt zurück, und sieht, was ich Verbotenes tue. Ich nehme sie nun doch heraus und lege sie auf den Tisch. "Was ist denn mit dir los, Elodie? Das kenn ich doch gar nicht von dir". Ich sehe sie nur an. Nicht einmal Scham kann ich fühlen. "Es tut mir leid", sage ich kalt, ohne jede Regung in meinen Gesichtszügen. Sie runzelt verärgert die Stirn. "Zum Direktor, entschuldige, aber das sind die Vorschriften. Überlege es dir das nächste Mal besser". Dann nimmt sie die Kopfhörer, geht zum Pult zurück und knallt sie auf die Tischplatte. Ich zucke zusammen als das laute Geräusch an meine zurzeit empfindlichen Ohren dringt. Dann stehe ich auf, sie drückt mir einen schnell geschriebenen Zettel in die Hand und ich verlasse die Klasse. Ich spüre noch immer Carls besorgten Blick auf mir. Wie ferngesteuert laufe ich zur Tür des Direktorats und klopfe. Nach dem Herein öffne ich und betrete den Raum. Der Direktor sitzt hinter dem Schreibtisch und sieht mich fragend an. "Miss Mellore?" Die Verwunderung ist ihm deutlich anzuhören. Ich bin die Letzte an dieser Schule, von der man das erwarten würde. Wortlos reiche ich ihm den Zettel. Seine Augen huschen über die Zeilen, dann nickt er. "Gut gut, setzten sie sich". Er faltet die Hände vor dem Bauch und mustert mich. "Sie haben also Musik gehört". Ich kann ihm anhören, dass er nicht wirklich wütend, sondern nur misstrauisch ist. "Es tut mir leid", sage ich tonlos. Das ist nicht mal gelogen. Aber zurzeit nicht relevant genug, als das ich mich intensiv damit beschäftigen könnte. Er nickt erneut schweigend. "Wissen Sie, solche Meldungen bekomme ich täglich mehrmals, aber die von ihnen, ist dann doch interessant für mich. Weshalb? Sie machten auf mich immer den Eindruck einer jungen Frau, die sich für Unterrichtsthemen... interessiert? Die gerne lernt. Verstehen Sie mich nicht falsch, jeder Teenager hat mal keine Lust auf Schule aber... Sie sind ja auch nicht jeder. Gab es besondere Gründe?" Ich zucke die Schultern. "Das Thema das wir haben finde ich einfach nicht so toll", murmele ich. "Welches Thema?", fragt er in nüchternem Ton. Erneut zucke ich zusammen. Das Blut rauscht in meinen Ohren und meine Zunge fühlt sich auf einmal schwer unter der Last an, die sie zu tragen hat. Meine Stimme bebt, als ich das verbotene Wort ausspreche. "Schwangerschaft.." Meine Stimme bricht in der letzten Silbe ab und es kommt nur noch ein Flüstern heraus. Ich spüre wie mir Tränen in die Augen steigen und balle meine Hände unter dem Tisch zu Fäusten. Er mustert mich, als könnte er mir direkt in die Seele blicken und wüsste, was in mir vorgeht. "Sagen Sie...", setzt er an, stockt dann aber. "Mister Gallagher und Sie, sind doch ein Paar. Muss ich mir Sorgen um irgendetwas machen? Um Sie?" Er weiß es. Mir stockt der Atem. "Tut er ihnen etwas an? Ich weiß er ist nicht der Gemütsamste", fährt er mit tiefer Stimme fort. Ich schüttle den Kopf. "Carl hat nichts getan... das mich verletzt. Nichts von dem was sie denken". Schon wieder nickt er. "Hat er... Sie dann vielleicht zu irgendwas gezwungen? Zu irgendwas, wovon Sie jetzt die Konsequenzen tragen müssen?" Ich schüttele den Kopf und blicke vor mich auf den Tisch. Es ist nur die Halbe Wahrheit, auch wenn Carl das nicht beabsichtigt hat und wir beide Schuld tragen. Ich trage jetzt möglicherweise für uns beide die Konsequenzen. "Elodie Sie wissen, dass Sie nur sagen müssen, wenn ich ihnen helfen kann", sagt er einfühlsam. "Das ist sehr nett von Ihnen, danke", murmele ich. Aber Sie können mir nicht helfen. Keiner kann das. Das denke ich. "Es gibt aber nichts wobei mir geholfen werden müsste", sage ich stattdessen. Meine Finger graben sich in meine Handballen und hinterlassen Kerben in der Haut. Beinahe genieße ich den Schmerz der durch meine Zellen fährt, er lenkt mich von dem inneren Schmerz ab. Der Direktor sieht ein, dass er nichts aus mir herausbekommen wird. "Nun Gut. Sie können gehen. Lassen Sie das von ihren Eltern unterschreiben und geben Sie es Frau Rellib in der nächsten Biostunde", entlässt er mich. Dankbar stehe ich auf und nehme die Bescheiniegung wortlos entgegen. Als die Tür hinter mir ins Schloss fällt, beginne ich zu Rennen, meine Schritte hallen auf dem Boden des leeren Korridors wieder. Ich biege um eine Ecke und breche dort weinend auf dem Boden zusammen, meine Knie angewinkelt und das tränennasse Gesicht darin vergraben. Meine Finger sind um das inzwischen ganz zerknitterte Papier gekrampft. Ich kann es nicht mehr leugnen. Ich habe solche Angst. Sie zerfrisst mich von innen, jeden Tag mehr. Und jeh länger ich warte, desto mehr löse ich mich auf. Ich bin jetzt schon ganz apathisch. Vielleicht ist bald nichts mehr von mir übrig.
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Different worlds- Shameless
FanfictionElodie Mellore ist eine typische Streberin und eine eindeutige Außenseiterin. Ihr Lebensinhalt besteht aus Lernen, Hausaufgaben machen und Eltern im Haushalt helfen. Allein der Gedanke an Drogen, Sex, Alkohol und Partys, alles was der Großteil ihrer...