Wutentbrannt stürme ich aus der Schule. Es ist mir gelungen, ruhig zu bleiben, wofür ich nebenbei enorm viel Durchsetzungskraft benötigte, obwohl ich ihn an liebsten zusammengeschlagen hätte. Nicht das mir das gelungen wäre. Mir ist klar, dass eine Elodie Mellore gegen einen Carl Gallagher keine Chance hat. Es wäre ihm ein Leichtes mich zu überwältigen, oder vor allem, mich jetzt einzuholen und weiß Gott was mit mir zu tun. Aber er tut es nicht und zumindest dafür, zolle ich ihm Respekt und Dankbarkeit. Ihm ist offenbar klargeworden, dass ich es ganz und gar nicht lustig fand, wie er mich behandelt hat. Ich balle die Faust so fest, dass es mich nicht wundern würde, gleich Blut unter meinen Nägeln kleben zu haben. Sofort schießt mir eine Metapher durch den Kopf. Unter Carls Nägeln, klebt das Blut meiner Jungfräulichkeit. Natürlich sinnbildlich gemeint. Zorn brodelt erneut in meinen Adern und nimmt jeden Zellentrakt meines Gehirns ein, lässt mich nicht mehr klar denken. Ist sie das? Die von Eltern so gefürchtete Pubertät, in der ihre süßen kleinen Babys zu hyperventilierenden, hormongebeutelten Geschöpfen mutieren, die bei jeder Kleinigkeit an die Decke gehen oder anfangen zu weinen, denen alles im Leben was mit ihrer Zukunft zusammenhängt, scheißegal zu sein scheint und die Heißhungerattacken bekommen, bei denen höchstens eine Schwangere mithalten kann? Ist sie das nun? Ich dachte ich wäre verschont geblieben, aber bekanntlich kommt das Beste ja zum Schluss. Bei dem Vergleich mit der Schwangeren muss ich sofort wieder an den Teststreifen denken, den ich Carl entgegengeschleudert habe, bevor ich ihm ins Gesicht geschlagen habe. Meine Hand brennt immer noch und ich umfasse die kalte Eisenstange einer Bank, auf der ich mich auch sofort abstütze, um sie zu kühlen. Die Erleichterung, als ich nur einen einzelnen Strich vernommen habe, werde ich vermutlich nie vergessen. Es war, als würde mir ein Zentner Steine vom Herzen fallen, die Last, die ich seit Tagen auf meinen Schultern mit mir herumgetragen hatte, schien von ihnen genommen worden zu sein und ich fühlte mich so frei. Alle Sorgen, alle Ängste waren endlich verschwunden. Ich bin Debbie und Sam vor Freude und endlich herausplatzenden Gefühlen weinend um den Hals gefallen und wir haben uns erst einmal zusammen gefreut, bevor ich mir mit kaltem Wasser die Tränenspuren weggewaschen habe. Danach wollte ich sofort zu Carl. Und dann geschah, was gerade geschehen ist. Es ist keine drei Minuten her, verrückt. Ich atme tief ein und lasse mich dann auf die Bank gleiten. Bis vor ein paar Sekunden war ich wie betäubt, fühlte nur diese alles zerfressende Wut. Doch jetzt kehrt der Schmerz zurück. Ich sacke in mir zusammen, wie ein Luftballon, in den man ein Loch gestochen hat. Mit voller Wucht kommt der Schmerz zurück, überrollt mich, zieht mich hinunter, gibt mich nicht mehr frei. Ich habe in meinem gesamten Leben nur sehr wenigen Menschen wirklich vertraut. Mom, Dad, Granny, Sam, Delia, meiner besten Freundin in der Grundschule, Natalia, meiner einzigen Freunde aus der alten Schule und Jeremy, meinem besten Freund in meinen ersten Monaten hier. Und jetzt Carl. Und was ist passiert? Meine Eltern haben unser komplettes Vermögen verzockt und mich somit mit hinuntergezogen. Delia hat mir meinen allerersten Schwarm in der vierten Klasse weggenommen, indem sie zu ihm gegangen ist und ihm gesagt hätte, dass ich ihn nicht ausstehen könne, was ja gar nicht stimmte, und sich dann selbst an ihn rangemacht hat, weil sie ihn toll fand und mir das verschwiegen hat. Und da Delia sehr hübsch ist, schon damals, konnte dieser Junge, Aiden hieß er, nicht widerstehen. Ich weiß, es ist lange her und war eine Kindergartenangelegenheit, aber ich war und bin so verletzt davon, dass ich erstmal Monate lang niemand mehr in mein Leben gelassen habe. Meine Granny, ja die ist gestorben, da war ich auch nicht so begeistert von, weil sie früher die Person mit dem offensten Ohr, den besten Geschichten und den delikatesten Keksrezepten gewesen ist. Ich habe sie geliebt und dann ist sie von uns gegangen. Sie war doch erst 79, wie konnte sie nur? Da redet die sich auf einmal mit Grippe raus! Da war ich wirklich sauer. Und traurig. Natalia, die blöde Bitch, wollte damals unbedingt mit mir befreundet sein, hat mir ständig in der Schule geholfen, meine Sachen getragen, ihr Essen abgegeben... Irgendwann habe ich dann angefangen mit ihr Zeit zu verbringen, so ab der sechsten Klasse, und tatsächlich fand ich sie total nett und freundlich und mit ihr Abhängen war so unkompliziert. Einmal waren wir sogar zusammen im Urlaub auf Kreta in unserem damaligen Ferienhaus. Es waren die schönsten drei Wochen meiner Jugend, wenn ich so daran zurückdenke. Doch als wir unser Geld verloren haben und in die Zwangsversteigerung geraten sind, sagte sie mir offen, dass sie nichts mehr mit mir zu tun haben wolle. Und da wurde mir klar, dass sie nur wegen des Geldes mit mir befreundet war. Sie hat mich auch ständig dazu gebracht, dass ich ihr irgendwelche Klamotten, Süßigkeiten oder Make Up gekauft habe, aber es ist mir nie aufgefallen. Dieses Miststück! Aber noch schlimmer als sie, war Jeremy. Er ist ein Jahr älter als ich, und hat sich mir angenommen, als ich mit 14 an diese Schule kam. Zugegeben er war ein gutaussehender Player und ich war naiv, dass ich das nicht erkannt habe. Aber er war so nett und hilfsbereit zu mir und wir wurden beste Freunde. Schon nach wenigen Wochen verloren meine Eltern ihr Misstrauen uns Beiden gegenüber und ließen uns auch bei geschlossener Tür oben rumflönzen, oder sogar ganz alleine im Haus. Einmal durfte er mich sogar mit auf eine High-School Party nehmen, weil sie ihm vertrauten, dass er auf mich aufpassen und mich beschützen würde. Ein fataler Fehler von ihnen. Auch wenn ich es ihnen nicht vorwerfe. Sie konnten es nicht wissen. Sam und Debbie kommen aus dem Gebäude gerannt und sehen mich zitternd und schon wieder mit verheulten Augen auf der Bank sitzen. Ich habe gar nicht gemerkt, dass ich zu weinen begonnen habe. "Hey, hey Süße...", murmelt Sam, als sie sich neben mich setzt und mich ganz fest in ihre warmen Arme schließt. "Ich habe ihm vertraut!", schluchze ich in ihre Schulter. "Warum geht es immer schief, wenn ich jemanden vertraue?", rufe ich dann laut, sodass ich mir nicht ganz sicher bin, ob man es drinnen nicht gehört hat. Sam löst sich vorsichtig von mir und sieht mir irritiert in die Augen. "Was meinst du?" Meine Lippe bebt als ich ihr antworte. "Jeremy...". Sei versteht sofort und zieht mich direkt wieder an sich. Ich vergrabe mein nasses Gesicht in ihrem Haar und lasse mich von ihr halten. "Jeremy? Jeremy Taylor?", fragt Debbie, die das ganze schweigend beobachtet hat. Ich kann nur nicken. Vorsichtig fragt sie Sam, was passiert ist. Und als die zu reden beginnt, fühle ich mich wieder in die Nacht versetzt, in der ich erneut, von dem Menschen, dem ich vertraute, im Stich gelassen wurde.
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Different worlds- Shameless
FanfictionElodie Mellore ist eine typische Streberin und eine eindeutige Außenseiterin. Ihr Lebensinhalt besteht aus Lernen, Hausaufgaben machen und Eltern im Haushalt helfen. Allein der Gedanke an Drogen, Sex, Alkohol und Partys, alles was der Großteil ihrer...