Die Freundin eines Gangsters

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Ich presse die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. "Bitte sag mir, dass ich das gerade falsch verstanden habe". Kalt, emotionslos, erschöpft. Alles Wörter, die gerade zu meiner Stimme passen. Und auch zu meiner Stimmung. Nervös fährt sich Carl durch das Haar. Sofort sind seine Styling Versuche zu nichte gemacht, denn sie stehen wieder in wirren Strähnen von seinem Kopf ab. "Wie hast du es denn verstanden?", fragt er schließlich resigniert. "So, als hättest du mal im Gefängnis gesessen. Liege ich richtig? Sei bitte ehrlich". Noch bin ich ruhig und diplomatisch, aber meine Zündschnur ist gerade recht kurz und ein falscher Fußtritt und ich gehe hoch wie Dynamit. Und Carl weiß das. Deshalb wählt er seine nächsten Worte mit Bedacht. „Ja, ich war mal im Jugendknast". Enttäuscht schließe ich die Augen. Ich kann das alles noch gar nicht fassen. „Ist das das Thema, wo du mir immer ausweichst? Hast du dir da die Braids machen lassen?" Ich erinnere mich an unser Gespräch im McDonalds. Mir war schon aufgefallen, dass da irgendwas nicht stimmen kann. Aber damit hatte ich ehrlich nicht gerechnet. Er nickt. „Wie lange?", hake ich angespannt nach, ohne meine Lider zu öffnen. Stille. Und dann die kleinlaute Antwort, fast hätte ich sie gar nicht gehört, da es in meinen Ohren so laut rauscht. „Ein Jahr". Jetzt geht die Bombe hoch. „EIN JAHR?", schreie ich, ohne Rücksicht auf die Nachbarn und erst Recht ohne Rücksicht auf Carl. Er zuckt zusammen und schaut mich aus seinen blauen Augen schuldbewusst an. Ich atme hektisch und er legt mir vorsichtig die Hände auf die Schultern. Ich schlage sie weg. Der Wind bauscht mein Kleid auf und zerzaust mein Haar, als hätte ich mit meinem Entsetzen und meiner Wut einen Sturm heraufbeschworen. Dann platzt der Himmel auf. Regentropfen fallen auf den Asphalt. Ich schlottere. „Elodie...", setzt er an doch ich unterbreche ihn aufgebracht. „Das muss mindestens ein mittelschweres Verbrechen gewesen sein Carl!" Er nickt und sieht zu Boden. „Was war es?" Carl zittert inzwischen auch, so wütend hat er mich noch nie erlebt. Oder es ist wegen des Regens. Vielleicht auch wegen Beidem. Seine Lippe bebt und er öffnet den Mund um zu antworten, doch schließt ihn wieder. Als er das drei weitere Mal wiederholt, reißt mir der Geduldsfaden. Ich hole aus und mit einem klatschenden Geräusch, landet meine Hand auf seiner Wange. Ein roter Fleck bildet sich auf der von mir getroffenen Haut und auch ich schüttele mein Handgelenk. Ich habe wirklich heftig zugeschlagen. Geschockt sieht er mich an. Fast erwarte ich, dass er mich zurückschlägt. Doch er macht etwas viel Schlimmeres. Er grinst. Und das macht mich noch viel wütender. „Hör auf zu grinsen, du Arschloch, du Mistkerl, du Verbrecher. Was hast du angestellt?", brülle ich und prügele auf seine Brust ein. „Wow, wow, wow, Elodie, chill mal", sagt er sanft und hält meine Handgelenke fest. Ich sehe zu ihm auf, meine Augen sprühen Funken, ich bin wie von Sinnen. Regen benetzt meine Wangen, durchnässte Strähnen kleben mir an der Schläfe und an dem Kinn. „Was. Hast. Du. Angestellt?" Er seufzt. „Ich... hab was Dummes gemacht". Ich schnaube und schüttele den Kopf. „Großartig. Das hilft mir wirklich weiter. Carl, wenn du Scheiße gebaut hast, dann ist das so. Es mir zu verheimlichen, ist dann eine ganz andere Nummer. Jetzt hab wenigstens die Eier und sag mir warum du ein ganzes verdammtes Jahr saßt! Ich gebe dir die Chance, dich zu erklären, also sei ehrlich zu mir und nutze sie!", schreie ich, außer mir vor Zorn. „Sonst werde ich hier und jetzt mit dir Schluss machen", drohe ich. „Willst du d...". „Ich habe mit Drogen gedealt, verfickt nochmal, Elodie, ich hab mit Drogen gedealt!", brüllt er mir ins Gesicht. Und plötzlich, sehe ich seine dunkele, gefährliche Seite. Wie er dasteht, heftig atmend, die Fäuste geballt, als wolle er auf etwas einschlagen, die Haare dunkel und strähnig vom Regen, kleben ihm in der Stirn, sein weißes Hemd ist durchscheinend und haftet eng an der Haut an, sodass es die sehnigen Muskeln, die sich unter dem Stoff abzeichnen, betont. Sein Gesicht hat wieder diesen harten, unnachgiebigen Ausdruck bekommen, der Kiefer ist markanter denn jeh und seine Augen funkeln. Zur Salzsäule erstarrt stehe ich da. Ich muss mich zwingen, diesen Fluchtinstinkt zu unterdrücken. Schließlich schaffe ich es, ein paar Worte herauszuquetschen. „W... was aber... wieso?" Er bläst die Backen auf, fährt sich erneut durch das wirre Haar und starrt auf meine Füße. Plötzlich fällt mir auf, dass ich barfuß, nachts, auf dem kalten Steinboden im Regen stehe und fröstele. „Alles fing damit an, dass Frank, dieses Arschloch, mich gebeten hat ihm... sagen wir bei einer Lieferung besonderer Art zu helfen". Er schüttelt frustriert den Kopf. „Stell dir das mal vor! Mein eigener Vater, hat mich zum Drogenhandel aufgefordert". Fast hätte ich Mitleid mit ihm bekommen, doch gerade noch rechtzeitig erinnere ich mich daran, dass ich sauer auf ihn bin. „Ich leckte Blut und merkte, dass man damit echt Kohle scheffeln kann, wenn man die richtigen Leute kennt. Und ich kannte sie". Er zuckt nur die Schultern. „Alles Weitere hat sich ergeben. Und dann wurde ich erwischt, als ich eine große Lieferung mithilfe von Chucky übern Flughafen schmuggeln wollte". Ich runzele die Stirn. „Chucky?" „Mein... Neffe, ein Nazi und nicht die hellste Kerze auf der Torte und ich hab das ausgenutzt. Er wurde mit dem Stoff erwischt, den ich verticken wollte. Er kam auch in den Knast und ich hab gegen ihn... egal, das ist eine andere Geschichte". Er tritt einen Kieselstein mit dem Fuß beiseite. Ich schnaube erschöpft und greife mir ins Haar. „Und... haben Fiona und Lip nicht versucht... dich da irgendwie rauszuholen?" Jetzt lacht Carl freudlos auf. „Oh doch, gerade Fi. Sie hat mir sogar so ne beknackte Brille aufgeschwatzt und mir eingebläut ich solle ja so tun als tue es mir leid". Ich beiße auf meiner Lippe herum. „Und... tut es das denn nicht, Carl?" Er schafft es nicht, mir in die Augen zu sehen und dreht den Kopf weg. „Damals nicht. Jetzt... jetzt bist du da. Alles ist anders". „Ach ja?" Er nickt und sieht mir nun doch traurig und zugleich so liebevoll in die Augen, dass mir die Luft wegbleibt. „Ja. Du veränderst mich mann. Ich hab auf einmal dieses Gefühl... ich will dich nicht enttäuschen, dir nich wehtun. Das hatte ich noch nie. Ich fühle Reue, Elodie. Alles nur wegen dir". Ich kann nicht anders, als leise zu Lächeln. Das waren wohl die intelligentesten Worte, die Carl jeh von sich gegeben hat, ohne sie von mir zu klauen. Eine einzelne Träne, ob aus Trauer, Wut oder Rührung, kann ich gerade nicht sagen, löst sich aus meinem Augenwinkel und vermischt sich mit dem Regen. Dann werde ich wieder ernst. „Was ist dann passiert?" Carl streicht sich das nasse Haar aus der Stirn. „Ich kam vor Gericht. Als mich die Richterin fragte, ob ich meine Tat bereuen würde sagte ich, dass einzige was mir leid täte wäre, dass ich einen Behinderten mit einem Auftrag für einen Profi beauftragt habe und würde ich wieder dealen, würde ich es besser wissen". Er schüttelt den Kopf. „Als sie mir eine letzte Chance bot, mal mit ihr alleine zu sprechen, weil sie mich andernfalls in den Knast stecken müsse... ehmpf... sie fragte ob ich in den Knast will. Und ich dummer, asozialer Hurensohn sagte nur: Ja bitte. Die aufgeplusterte Fotze sagte, das sei nicht das was sie hören wollte, tz, als ob ich das nicht wüsste". Er beißt die Zähne fest zusammen. „Und dann habe ich sie als fett beleidigt und gesagt, dass ich sie nur vielleicht flachlegen könnte, würde sie 20 Pfund abnehmen. Gut, fett war sie wohl auch. Die hat mich natürlich sofort einbuchten lassen. Als ich wieder aus 'm Bau kam, hab ich angefangen, mir mit Waffenhandel Kohle zu verdienen". Ich habe die Arme vor der Brust verschränkt doch jetzt werfe ich sie in die Luft, während ich ihn fassungslos anstarre. Ich will nicht glauben, was er versucht mir weiszumachen. Eisiges Schweigen macht sich zwischen uns breit. Er bangt um meine Antwort. „Carl! Wie konntest du nur?", brülle ich schließlich und das nasse Haar klatscht ihm ins Gesicht, als ich mich ruckartig umdrehe. Ich will davonstürmen, doch er packt mich am Handgelenk. „Warte!", fleht er. Ich halte inne, drehe mich jedoch nicht um. Das spärliche Licht einer flackernden Straßenlaterne leuchtet auf uns nieder, wie ein Scheinwerfer im Theater. Und wie in einer dramatischen Tragödie fühle ich mich auch. „Es tut mir leid. Alles. Das mit den Drogen, dass ich die blöde Richterin beleidigt habe und dass ich dir die ganze Scheiße verheimlicht hatte. Ich... ich hatte eine Scheißangst vor deiner Reaktion, dass du mich dann abweist". Ich stoße abfällig die Luft durch die Zähne aus. „Ja, warum wohl? Warum wolltest du unbedingt in den Knast, dass du dich so dämlich verhalten hast?" Ich klinge nicht mehr ganz so aggressiv, aber zornig bin ich weiterhin. „Ganz ehrlich? Hauptsächlich wegen meinem Coolnessfaktor". Ich lache hysterisch auf. „Du findest es cool, im Knast gewesen zu sein?" Carl zuckt reumütig die Schultern. „Damals ja. Jetzt wünschte ich, ich hätte das alles nicht gemacht. Ach man... du hast ja recht. Ich hab mich behindert benommen. Aber ich handele nicht mehr mit Waffen. Und auch nicht mit Drogen. Besonders wegen dir. Und was ich getan habe, kann ich nicht mehr ändern, ok?" Ich schüttele nur den Kopf, aber er merkt, dass ich mich ergebe. Langsam lässt er mein Handgelenk los und geht dann um mich herum, lässt mir jederzeit die Möglichkeit wieder zu fliehen. Schließlich steht er mit unglaublich traurigem Blick vor mir. „Man, Elodie... verzeih mir". Er nimmt eine meiner steifgefrorenen, winzigen Hände in seine großen und wärmt sie so. Zweifelnd sehe ich ihm in das verunsicherte Gesicht. „Warum nennst du mich immer Elodie, und nie Elle?", frage ich dann, was so deplatziert ist, dass es beinahe wieder amüsant ist. Doch ein sanftes Lächeln umspielt Carls regennasse Lippen. „Weil es so klingt wie Melodie. Elle, dein Name, wenn ich ihn sage, deine Stimme, wenn du irgendwas Schlaues sagst oder mit mir schimpfst, weil ich's nicht anders verdiene... das ist meine absolute Lieblingsmelodie. Du bist das". Ich grinse. „Ach. Auf einmal bist du so ein Romantiker. Wo ist der Gangsters hin?". Seine Miene verdüstert sich. „Ok, hör zu. Ich will ehrlich sein, ich werde nie ein kitschiger Romeo für dich sein können. Ich bin ein Gangster, mit einer verfickten Vergangenheit. Und ja man, manchmal holt mich die ein. Aber für dich will ich zumindest versuchen, dass alles zu vergessen, ja? Ich will nicht mehr so ein Arschloch sein. Aber das schaff ich nicht ohne dich. Ich brauch dich, Elodie. Ich flehe dich an. Kannst du mir verzeihen, dass ich so ein feiger Wixer war und dich belogen habe?" Zögernd betrachte ich unsere ineinander gefalteten Hände, dann seine wunderschönen Augen, die mich beschwörend ansehen. Mein Blick wandert über seinen vollen Mund, dass markante Kinn, den Hals, an dem nervös die Aorta pulsiert, über seine breiten Schultern, und die muskulösen Arme. Und wieder die Hände. Da wird mir klar, dass ich, trotz allem was Carl an Scheiße gebaut hat, nicht mehr auf ihn verzichten will. Auf das herrliche Gefühl, dass er mir gibt, dass Gefühl wertvoll zu sein. Und dass ich Carl in diesem Moment mehr liebe, als alles andere auf der Welt. Trotz der abschreckenden Dinge, die ich gerade über ihn erfahren habe. „Ich verzeihe dir, Gallagher", sage ich lächelnd. Er seufzt überglücklich auf, die Erleichterung ist ihm deutlich anzusehen. Dann packt er mich an der Taille, wirbelt mich einmal im Kreis über seinem Kopf und strahlt dabei zu mir hoch, so dass ich kichern muss. Als er mich wieder auf die Füße stellt, sind wir uns ganz nah, meine Hände ruhen auf seiner Brust und unsere Becken pressen sich aneinander. Ich sehe verliebt zu ihm hoch. „Von wegen, du kriegst das mit der Romantik nicht hin, Romeo", flüstere ich. Er lacht leise. Und dann verlieren wir uns in einem innigen Kuss, der die letzten Minuten verschwimmen lässt. Mir wird von meinem Herzen heraus so heiß im ganzen Körper, dass sogar der strömende Regen und die beißende Kälte, mir nichts mehr ausmachen können.

Different worlds- ShamelessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt