Probleme mit dem Ex

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Ungeduldig warte ich vor der Schule auf Jacob. In fünf Minuten muss ich in einer Prüfung sitzen. Normalerweise würde ich in diesem Moment meine Karteikarten noch einmal durchgehen und meine Atemübungen machen, um mich zu beruhigen. Stattdessen stehe ich hier, während ein Vollpfosten, den ich meinen Freund nennen muss, mich schon zweiundzwanzig Minuten warten lässt. Genervt puste ich mir eine Strähne aus der Stirn. Gerade als ich mich umdrehen und gehen will, ich habe nur noch zwei Minuten, höre ich Jacobs Schritte hinter mir und setzte mein gefaktes Lächeln auf. Ich drehe mich um und es tröpfelt mir von den Lippen, als ich ihm ins Gesicht blicke. Seine Lippe ist aufgeplatzt und er hat eine klaffende Wunde am Kiefer, auch seine Nase sieht ungesund verdreht aus. Er hat sich eindeutig geprügelt. "Babe, was ist passiert?" Mit unechter Mitleidsmiene streiche ich ihm über das Gesicht und er zuckt zusammen. Es tut mir fast leid. „Na rate mal", grummelt er missmutig. Verwirrt ziehe ich die Augenbrauen hoch. Woher sollte ich das wissen? „Dein Exfreund war angepisst auf mich!" Ich ziehe die Hand zurück als hätte ich mich verbrannt. „Carl?" Er nickt schnaubend. Ich verstehe nichts mehr. Was soll das? Wenn er Jacob hätte verprügeln wollen, warum dann erst jetzt, drei Wochen nach Beginn meines Plans? „Zusammengeschlagen hat er mich!", eschauffiert er sich weiter. „Es hatte wohl irgendwas mit dir zutun". Ich werde wütend. Carl scheint immer noch zu denken er hätte ein Recht auf mich und müsse mich beschützen. Doch ich reiße mich zusammen um Jacob nicht zu zeigen, wie sehr mich das beschäftigt. „Weshalb, was hast du angestellt?", frage ich mit einem grazilen Lächeln und einem lasziven Augenaufschlag. Erneut lege ich ihm die Hand an die Wange. Er grinst mich dreckig an. „Er war wohl angepisst wegen Marlie, hat uns in der Besenkammer gestört. Tja, war wohl eifersüchtig, egal was er sagt". Meine Finger verkrampfen sich aber ich lasse sie an Ort und Stelle. Ich ahne Schreckliches. „Wer ist denn Marlie und wobei hat dieses Arschloch euch gestört?", hake ich mit schmeichelnder Stimme nach. „Ach das ist nur die Bitch die es mir hin und wieder besorgt". Ich presse die Lippen zusammen und ziehe die Hand zurück. „Was?" Ich hatte mich schon gewundert, dass er es mit mir ohne Sex aushält, und vielleicht war es verblendet und dumm von mir, aber ich hatte nie auch nur geahnt, dass er sich einfach anderswo beschäftigt. „Ich dachte dir wäre das klar?", wundert sich Jacob. „Nein", sage ich nur. Er fährt sich durch das Haar. „Ja wie auch immer, Elle, sorry du bist echt heiß und süß und so, aber es ist vorbei. Gallagher hat mir deutlich gesagt, dass ich dich in Ruhe lassen soll, nachdem er uns erwischt hat. Und während er mir die Nase gebrochen hat". Im ersten Moment bin ich ehrleichtert, dass es zwischen mir und Jacob endlich vorbei ist, aber dann werde ich zornig. „Du hast mich die ganze Zeit betrogen?!" Er nickt und zuckt die Schultern. „Ach apropos, wenn du jetzt Bock hast, würde ich trotzdem mit dir schlafen, also... willst du?" Ich trete auf ihn zu, mit einem falschen Lächeln im Gesicht, wie immer. Dann reiße ich ihm mit einem Ruck die gerade verheilte Kruste von der Wunde auf seinem Kiefer herunter und Blut tritt aus. Er stöhnt gequält auf und ich drehe mich ruckartig und mit fliegendem Haar um. Zornig stolziere ich davon, mein Blick könnte in diesem Moment töten. Ein deutliches Nein. Als ich den Klassenraum erreiche, ist der Flur bereits leer und die Lehrerin, Mrs. Malanda, will gerade die Türe schließen. Als sie mich sieht, hält sie sie allerdings noch kurz auf und ich schlüpfe, mit einem dankbaren Blick zu ihr, hinein. Als erstes fällt mein Blick auf Carl, der auf seinem gewohnten Platz hinter dem meinem sitzt. Wenn es wahr ist, was mir Jacob erzählt hat, dann hat er mich, nach allem was ich getan habe, verteidigt und gerächt. Obwohl das ja nur nötig war, weil ich unbedingt meine Rache an ihm wollte und ihm viel Kummer bereitet habe. Er spürt meinen Blick und sieht auf. Die gewöhnliche Trauer und Sehnsucht liegt in seinem Blick doch dieses Mal gibt er mir nicht den Kick des Triumpfs, sondern lässt etwas in mir zerbrechen. Ich kann den Anblick seiner blauen Augen, die wegen mir ihren Glanz verloren haben, nicht länger ertragen und setze mich rasch. Carls Präsenz ist heute deutlicher als jeh zuvor und ich werde von anhaltender Gänsehaut geschüttelt, obwohl es sehr warm ist. Mein Fuß tippt in einem stetigen Rhythmus auf den Boden, ich verknote meine Finger und kaue auf meiner Unterlippe herum. Mrs. Malanda wirft mir einen freundlichen Blick zu, sie denkt ich sei wegen der Prüfung nervös. Aber in Wahrheit quält mich nur der Gedanke, ob ich vielleicht zu impulsiv gehandelt habe und Carl das, trotz allem, nicht verdient hat. Und vor allem wüsste ich gerne, ob er mich noch immer liebt, ob ich ihn noch immer liebe und vor allem, ob ich ihm doch noch verzeihen kann. Ich drehe meinen Kopf über die Schulter und sehe ihm direkt ins Gesicht. Die Zeit scheint wie immer einzufrieren, als ich die Antwort auf die ersten beiden Fragen erhalte. Natürlich liebt mich Carl noch. Und, möge der Teufel mich holen, aber das tue ich auch. Ich sehne mich mit jeder Faser meines Körpers nach ihm, nach seinen liebevollen Worten und Berührungen. Kann ich ihm verzeihen? Ihm ein weiteres Mal eine Chance geben? Ich will es so sehr. Beinahe unterbewusst recke ich meine Hand nach ihm aus. Doch bevor er reagieren kann, teilt Mrs. Malanda die Arbeitsblätter aus und ich drehe mich so schnell um, als hätte ich von seiner Anwesenheit einen Stromschlag erlitten. Was gar nicht so unwahrscheinlich ist, denn die Luft um uns herum schien gerade elektrisch aufgeladen.

Es ist geschehen. Ich habe zum ersten Mal eine Prüfung vermasselt. Ich habe das Blatt am Ende der Stunde so weiß wie zu Beginn abgeben. Ich habe es wirklich versucht, doch ich konnte mich einfach nicht zusammenreißen. Die ganze Zeit habe ich mich zu Carl umgedreht, der seinerseits ebenfalls kein Wort zu Papier gebracht hat, wie ich mit einem Blick feststellen konnte. Die Frage, ob ich ihm verzeihen kann, hat mich zu sehr abgelenkt, als dass ich mich auf Algebra hätte konzentrieren können. Das wird eine Sechs, soviel steht fest. Noch immer nachdenklich verlasse ich den Klassenraum und verstaue meine Bücher in meinem Spint. Ich zucke zusammen, als mich urplötzlich eine warme, raue Hand an der Schulter berührt. Meine Haut prickelt an der Stelle, wo Haut auf Haut trifft. „Elodie". Ich hätte die Stimme auch erkannt, wenn er nicht Elodie gesagt hätte, wobei er hier von allen Schülern wohl der Einzige ist, der mich bei meinem vollen Namen nennt. „Carl". Ich drehe mich zu ihm um. Er sieht schrecklich aus und Schuldgefühle ergreifen von mir Besitz. Die tiefen Augenringe, die blasse Haut. Hat er abgenommen? Jedenfalls sieht er dünne aus. Er scheint mit sich zu ringen, denn er beißt auf seiner Lippe herum, wie ich es eben getan habe. „Hey, ähm... also... ach ich... ich will dich nicht nerven, aber ich denke du solltest wissen, dass dein Jacob noch eine Andere hat". Während er geredet hat, blickt er zu Boden, die linke Hand lag in seinem Nacken. Jetzt sieht er mir wieder nervös ins Gesicht. „Marlie, ich weiß". Meine Stimme klingt distanziert. „Du hast ihn zusammengeschlagen". Ich weiß nicht wie ich mich verhalten soll. Seine Miene verdüstert sich. „Warte... du weißt davon?" Ich nicke verwundert. „Ja klar. Es ist ja schwer zu übersehen". Jacobs Wunden springen einem geradezu ins Auge. Entsetzt mustert Carl mich und ich werde immer verwirrter. „Ich... also ich hätte nie gedacht, dass du dich darauf... ach ist ja auch egal. Mach's gut Elodie". Mit diesen Worten, kälter als jede Eiszeit, verschwindet er. Und mich lässt er, ratloser denn jeh, zurück. Was ist eigentlich sein Problem?


Different worlds- ShamelessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt