Ignoranz

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Ich glaube, ich bin noch nie so müde in die Schule gegangen. Die letzte Nacht verlief unruhig für mich. Ich wälzte mich von einer Seite auf die Andere, ohne eine angenehme Position zu finden. Dominiques Worte gehen mir nicht mehr aus dem Kopf. Auch wenn ich das niemals vor ihr zugeben würde, ich fürchte mich vor Carls Freundin. Zwar habe ich nichts Intimes mit ihm gehabt, dass viele mir in meinen dunkelsten Träumen nicht ein, doch dieser eine Moment, hätte ich die Luft um mich herum beinahe greifen und damit kaputte Glühbirnen zum Leuchten bringen können, so elektrisch aufgeladen schien sie zu sein. Doch Dominique hat auch recht. Ich sollte mich von Carl fernhalten und das werde ich auch tun. Es ist besser für alle beteiligten. Er gehört zu Dominique und nicht in meine brave Welt. Er ist ein Badboy. Ja unser gemeinsames Wochenende war irgendwie schön, aber es muss auch dabeibleiben. Von jetzt an werde ich wieder mein normales Leben leben. Sam kommt von hinten auf mich zu und drückt mich erst mal fest. Ich gebe einen Laut von mir, als würde sie die Luft aus meinem Bauch pressen. Sam war gestern erkältet, behauptet sie zumindest (vermutlich hatte sie einfach keine Lust zur Schule zu kommen), kann sich jetzt wohl nicht mehr herausreden. So hat sie auch nichts von Dominiques Angriff mitbekommen. "Na? Wieder gesund?", ziehe ich sie auf. "Ich weiß gar nicht was du meinst", sagt sie augenzwinkernd. "Uuuuundddd? Wie war dein Wochenende mit Carl?" Ich zucke zusammen. "Nett. Seine Familie ist sehr zuvorkommend. Vielleicht nicht die besten Manieren, aber herzlich. Und er selbst war auch eigentlich sympathisch". Sie schmollt. "Das ist alles?" Ich zucke die Schultern. "Ich habe sein Haus aufgeräumt". "Was?" Genauso gut könnte ich ihr erzählt haben, dass ich mein Haar wie Harley Quinn Neon Pink und Neon Blau färben möchte, so klingt ihre Stimme. "Du solltest das mal sehen, ein einziger Saustall", eschauffiere ich mich. "Willst du mich eigentlich frühzeitig ins Grab bringen vor Ungeduld? Du weißt doch genau von was ich rede. Ich will alle schmutzigen Details. Und ich rede nicht von dem unordentlichen Haus der Gallaghers". Ich schweige. "Es GIBT schmutzige Details, geb's zu!", konfrontiert Sam mich. "Hast du doch noch mit ihm geschlafen?" "Nein!" Sam spinnt sich da schon wieder etwas in ihrer Fantasie zusammen. "Petting?" "Nein!" Ich schnaube. "Kuss?" Dieses Mal schnaube ich nicht. "Ihr habt euch geküsst?" "Nein", murmele ich, jetzt weniger enthusiastisch. "Doch!" "Naja fast. Es ist kompliziert". Ich erzähle meiner besten Freundin was geschehen ist. "Heilige Scheiße, Elle! Dominique Winslow als Feindin zu haben ist echt übel, dass ist ne kleine verfickte Bitch!" "Sam, ich bitte dich!" Auch wenn ich ihr ja irgendwie zustimme, so redet man nun mal nicht über Mitmenschen, nicht mal über Dominique. Ich habe meine Prinzipien. Sam verdreht nur die Augen, sie kennt das schon von mir. "Ich werde mich jetzt von Carl fernhalten, damit ich keinen Ärger mehr mit ihr bekomme". Sie seufzt ergeben. "Tu was du für richtig hältst Süße". Damit zieht sie ab. Verdutzt blicke ich ihr hinterher. Wie meint sie das? Ärger aus dem Weg zu gehen ist doch wohl die bessere Strategie, als ihn zu provozieren. Außerdem will ich ja gar nichts von Carl, er war einfach sehr zuvorkommend, aber Sam scheint in diesen Fast- Kuss viel zu viel hineinzuinterpretieren.

Nach der Mathestunde schultere ich meine Tasche und verlasse, mit der plappernden Sam im Schlepptau den Raum, die schon wieder eine Party plant, auf die ich sie ganz sicher nicht begleiten werde. Carl fällt mir ins Auge, ohne dass ich nach ihm Ausschau gehalten hätte. Er steht an seinen Spind gelehnt und starrt ins Leere. Sofort wende ich den Blick ab und ignoriere das Bedürfnis ihm zuzulächeln. Dennoch spüre ich seinen intensiven Blick auf meinem Rücken.

Zwei Tage. Zwei Tage lang ist es mir nun gelungen, Carl wie Luft zu behandeln, genau wie vor unserem gemeinsamen Wochenende. Dominique hat am ersten Tag noch Giftpfeilblicke auf mich geworfen, doch offenbar hat sie verstanden, dass ich ihrer Aufforderung folge leiste und jetzt ignoriert sie mich einfach. Sam tut mir den gefallen und spricht nicht über ihn und ich hege schon die Hoffnung, dass alles wieder normal werden kann. Die letzte Stunde am Freitagnachmittag ist gerade vorbei und ich schlendere, ohne Sam, die heute von ein paar von ihren Trinkfreunden, mit denen ich mich nie anfreunden konnte, abgeholt wird. Ich schlendere entspannt den Nachhauseweg entlang und genieße die Sonnenstrahlen, die über mein Gesicht tanzen. Plötzlich höre ich Schritte hinter mir. Zuerst versuche ich sie zu ignorieren, doch sie kommen immer näher und ich passe mein Tempo an. "Elodie!" Carls Stimme lässt das Blut in meinen Adern gefrieren und die Haare in meinem Nacken stellen sich auf. Ich bleibe stehen und starre auf den Asphalt zu meinen Füßen. "Was kann ich für dich tun?", frage ich, als er vor mir steht. "Nix, ich dachte wir gehen heute vielleicht zusamn zu Mcs oder so". Ich schaue ihn nicht an und meine Stimme klingt kühl, als ich ihm antworte. "Tut mir leid, aber ich kann heute nicht". "Morgen?" Ich schüttele den Kopf. "Sonntag, Montag?" Wieder schüttele ich den Kopf. Eine Lüge, ich habe nichts vor, aber ich darf keine Zeit mit ihm verbringen. "Können wir irgendwann mal hängen, oder so?" Die selbe Reaktion wie vorher. "Was ist denn los, Elodie?" Ich gehe um ihn herum und versuche, der peinlichen Situation zu entkommen, doch er folgt mir. Ich starre stur zu Boden. "Elodie!" Ich beginne fast schon zu rennen, bloß weg von diesem Jungen, der nur Ärger bedeutet. Doch ich habe keine Chance zwischen den sportlichen Carl, der mich binnen Sekunden eingeholt hat und mir wieder den Weg versperrt. "Seit Tagen gehst du mir aus dem Weg, du redest nicht mit mir, du guckst mich nicht mal an. Warum? Ich dachte wir sind jetzt befreundet. Habe ich mich geirrt? Antworte mir, bitte!" Ich schnaube. "Deine Freundin ist das Problem. Sie denkt wir hatten was miteinander und will nicht das ich mit dir rede". Er stutzt. "Das ist alles?" Ich stoße die Luft durch die Zähne aus. "Du nimmst das nicht ernst, aber für mich es ist das, verdammt ernst sogar. Ich habe keine Lust auf Ärger, wirklich nicht". Ein Lächeln umspielt seine Lippen. "Ich dachte schon, du magst mich nicht mehr". Ich erschlaffe, lasse meine Schultern sinken. "Quatsch, du bist schon in Ordnung". Er gluckst leise, ein Laut, den ich noch nie bei ihm gehört habe, der ihm aber wirklich gut steht. Ich lächele auch leise in mich hinein. Dann legt Carl sanft zwei Finger unter mein Kinn und hebt es an. "Hey, hey, sieh mich an", befiehlt er, als ich mich abwende und ich gehorche dann doch, ich kann einfach nicht anders. Durchdringend, sieht Carl mir in die Augen. "Dom ist meine Freundin, ja, aber sie hat mir nicht zu sagen, mit wem ich befreundet bin, okay? Und zwischen uns läuft doch nichts, oder bist du da anderer Meinung?" Ich schüttele heftig den Kopf. "Na siehst du? Dann sind ihre Sorgen doch unbegründet". Er grinst. Nicht versaut, oder belustigt, sondern beruhigend und beinahe glücklich. Ein Lächeln, dass seine Augen zum Strahlen bringt. Mein Körper entspannt sich merklich. "Ich werde ihr sagen, dass du keine Bedrohung für sie darstellst, sie will doch nur ihr Revier markieren". "Danke". Ich lächele ihn an. "Also, ich frage dich nochmal. Hast du heute wirklich keine Zeit oder willst du mit mir was Essen gehen? Als Freunde". Die Wahrheit ist, nichts würde ich lieber tun. Und so, stimme ich zu.

Different worlds- ShamelessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt