In seinem TShirt

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Ich brauche gerade mal dreißig Sekunden um mein Bett einzurichten. Mir ist zwar nicht klar, warum Carl mir hilft, aber es war mir auch egal, Hauptsache ich muss meine Eltern nicht enttäuschen. Mein Handy lege ich auf den Nachtisch und Carl bietet mir sein Ladekabel an, ich habe nur noch elf Prozent. "Willst du dir was Anderes anziehen?", fragt Carl. "Ich hab doch gar nichts dabei", wende ich ein. Auch wenn diese Sachen wirklich unbequem sind. "Bullshit, du kannst was von mir oder Debbie haben". "Danke nochmal", grinse ich. Der hübsche Typ mit den sinnlichen Lippen ist gar nicht so gemein, wie ich gedacht habe. "Hey, Debbs!", brüllt Carl. Ich zucke instinktiv zusammen. Ein Mädchen, vielleicht 15, 16 Jahre, sowie ich und Carl, erscheint in der Tür. Sie hat braune Haare, ein rundes, sommersprossiges Gesicht und einen leicht säuerlichen Gesichtsausdruck. "Was Carl?" Sie entdeckt mich und anstelle des typisch genervten Teenagerausdrucks, tritt ein Lächeln auf ihr Gesicht, dass mich an Sonnenstrahlen erinnert. "Hi, noch eine Schwester von der ich nichts weiß?", grinst sie mich an. "Ich bin Elodie, eine...", stelle ich mich vor, zögere dann jedoch. Bin ich eine Freundin von Carl? Oder sind wir nur flüchtige Bekannte. "Ne Freundin von mir", führt Carl den Satz jedoch zu Ende. Ich muss lächeln. Bisher hatte ich nur Sam als wirklich Freundin und jetzt stellt sich ausgerechnet der einzigwahre Carl Gallagher als mein Freund vor. Guter Freund, natürlich. Ich hatte Carl nie gemocht oder um seine Aufmerksamkeit gekämpft, aber ich weiß sehr wohl, welche Position er in unserer Schule hat. "Hi, ich bin Debbie, Carls Schwester". Sie reicht mir ihre Hand. Ich beschließe, sie zu mögen. "Meinst du, du könntest ein, zwei Hosen von dir abdrücken? Sie bleibt bis Montag und hat nix dabei", erklärt Carl schnell. "Klar mann, bin gleich zurück". Debbie verschwindet. Carl geht zu einem Schrank und holt drei T-Shirts heraus, eins grau, eins schwarz, dass andere dunkelblau und alle riesig. Er wirft sie mir zu und ich fange die Kleidungsstücke ungeschickt auf. "Da pass ich ja dreimal rein!", beschwere ich mich und breite eins vor mir aus. Er zuckt nur die Schultern und grinst. "Oversize". Debbie kommt zurück, ein paar Jogginghosen über dem Arm. "Hier Elodie, ich hab auch etwas Unterwäsche dazugetan, ich weiß nicht, welche Körbchen Größe du hast, aber besser als wenn du drei Tage das gleiche trägst, oder?" Ich nicke und höre nur wie Carl hinter uns unterdrückt in sich hinein gluckst. "Ach halt doch deine Scheißfresse Carl!", flucht Debbie und zeigt ihm den Mittelfinger. "Schon gut, schon gut". Er lächelt immer noch, ziemlich versaut, wie ich finde. "Ist nicht schlimm, wenn was dreckig wird, muss sowieso bald mal wieder gewaschen werden", sagt sie noch, dann ist sie auch schon wieder verschwunden. Ich sehe mir die BHs an, die sie mir hingelegt hat. Das müsste gehen. Carl hüstelt vernehmlich. "Wenn es dich stört, dann geh doch", sage ich, vollkommen ernst gemeint, nicht aggressiv, sondern sachlich. "Nene, lass ma". Ich halte mit einem Stoffstück in der Hand inne. "Carl? Wieso fragt keiner deiner Geschwister nach, weshalb wir nicht einfach Sachen bei mir zuhause holen können?" Diese Frage wurmt mich, seit ich Debbies Reaktion gesehen habe. Er räuspert sich und schaut zu Boden. "Elodie, in diesem Haus ist man es gewohnt, dass die Mitbewohner Schwierigkeiten haben. Da fragt keiner nach, wenn ma einer n Versteck braucht". Zumindest ist er ehrlich. "Wie viele Geschwister hast du?", frage ich weiter, während ich die Klamotten durchsuche. "Fünf. Liam, Debbie, Ian, Lip und Fiona. Frank, unser Vater, ist ein Drogen und Alkoholabhängiges Arschloch, der eigentlich nie da ist. Fiona sorgt für uns, die Älteste". Ich sehe ihn mitfühlend an. "Is egal, ich kenn's nicht anders", murmelt er, aber ich weiß, dass es ihm irgendwo dann doch nicht ganz egal ist. Mit seinem Fuß malt er auf den Zimmerboden. "Zieh dich mal um, ich bin unten falls du was brauchst", sagt er und verschwindet aus dem Zimmer. Da ist er wieder, der unnahbare Carl Gallagher, den ich kenne. Ich schlüpfe in die frische Unterwäsche, eine graue Jogginghose und dass dunkelblaue Shirt von Carl. Aus einem Instinkt schnuppere ich an dem Stoff. Es riecht nach einer Mischung aus Zigaretten Qualm, Männerduschgel und Vanille. Vanille? Es ist ja auch nicht wichtig. Ich krame nach meinem Handy und wähle Sams Nummer. Nach einer gefühlten Ewigkeit in der ich dieses Klingeln ertragen muss, geht meine beste Freundin ran. "Heyyy Süße". Ich höre ihr das schlechte Gewissen durch das Mobiltelefon an. Zumindest ist ihr klar, dass ich sauer bin. "Du blöde Kuh! Du lässt mich einfach so da alleine! Für was? Für einen One-Night-Stand?", beschimpfe ich sie. "Sorry Elle, es tut mir mega leid, ich war total voll", entschuldigt sie sich zerknirscht. "Ich wäre beinahe vergewaltigt worden!", eschauffiere ich mich weiter. "Was?", fragt sie entsetzt. "Irgend so ein Volltrottel hat mir etwas in den Drink gemixt, mir ist total schummrig geworden, ich konnte weder laufen noch sprechen". Im Normalfall hätte ich nicht einmal die Worte Blöde Kuh oder Volltrottel in den Mund genommen, aber ich bin wütend und habe jetzt schon fast vierundzwanzig Stunden im Haus der Gallaghers verbracht, irgendwelche Auswirkungen muss es haben, dass ist doch logisch. Oder liegt es an Carls Gesellschaft? "Oh mein Gott, wie schrecklich, scheiße man, ich hätte da sein sollen, es tut mir mega leid man, kannst du mir verzeihen?" Ich seufze. "Klar. Du bist meine allerbeste Freundin. Aber nur das das klar ist: keine Partys mehr!" "Ich verspreche es. Aber jetzt sag ma! Wie bist du da rausgekommen?" Ich beiße mir auf die Lippe bei der Erinnerung an die letzte Nacht. "Ich wurde gerettet. Von Carl". Stille am anderen Ende der Leitung. "Gallagher?" "Ne du, Carl Jamesson. Kennen wir noch einen Carl?". Sie atmet genervt aus. "Warte warte! Wir reden hier schon vom gleichen Carl Gallagher, oder?" "Soweit er sich nicht geklont hat, ja". Sie kichert. "Dem würd ich's sogar zutrauen, man! Erzähl alles, was ist passiert!" Ich schildere ihr den letzten Abend, von dem Moment an, wo ich mich an die Bar gesetzt habe, bis wohin ich mich auf Carl erbrochen habe. "Du hast auf ihn gekotzt?" Ich spüre, dass ich schon wieder rot werde. "Ich kann mich nicht erinnern, aber er sagt das". "Uuuh, shit". Ich nicke, obwohl sie es ja gar nicht sehen kann. "Peinlich, was?" "Wo bist du jetzt? Zuhause?" Ich schweige kurz, weil ich genau weiß, wie sie reagieren wird. "Nein. Ich bin noch bei ihm... bis Montag". Wieder Stille. "Was. Zur. Hölle?" Ich muss das Handy vom Ohr weghalten, weil sie so laut schreit. Wusste ich es doch. "Sag mir nicht, du hast mit Gallagher gefickt?", konfrontiert sie mich. "Was? Nein! Ich habe doch nicht mit Carl geschlafen!", weise ich Sam zurecht. "Ok, ok, ok, erzähl weiter!" Ich berichte zu Ende. "Also, lass mich zusammenfassen", sagt sie, als ich fertig bin, "er hat dich vor einem notgeilen Arsch gerettet, sich als Kotzzielscheibe benutzen lassen, dich zu sich nach Hause gebracht und in seinem Bett schlafen lassen, dir dein Handy aus dem Alibi geholt und lässt dich jetzt zwei Nächte bei sich pennen? Und du trägst seine Klamotten?" "Und Debbies", wende ich ein. "Und das alles ohne Gegenleistung? Weder will er Geld, oder irgendwie Sex, Blowjob oder so?" Ich würge. "Boah Sam, du bist eklig! Nein er will nichts dafür!" Ich höre förmlich wie sie grinst. "Klingt so, als stehe er auf dich!" Ich erstarre. "Blödsinn, vielleicht will er einfach nur nett sein". Ein amüsiertes Schweigen. Dann kann sie das Lachen nicht mehr zurückhalten. "Du, ich kenne Menschen wie Carl, und besonders kenne ich Carl. Der will nie, einfach nur nett sein. Entweder er kriegt was von dir, oder..." "Du spinnst!" Sie spinnt. So muss es sein. Ich bin gar nicht Carls Typ. Außerdem hat er eine Freundin. "Ich sag's dir! Ich habe recht!" Ich schnaube entnervt. "Du Sam, mein Akku ist leer, ich muss auflegen", lüge ich. Der würde noch bestimmt zehn Minuten aushalten, außerdem hängt es am Strom. "Nein, warte! Ich muss das mit dir ausdisskutie...", doch da habe ich schon aufgelegt und auf Stummgeschaltet. Ich lege mein Handy, mit dem Display nach unten, zurück auf den Nachtisch und lasse mich auf das Bett plumpsen. Und wenn doch was dran ist? Quatsch. Ich bin viel zu intellektuell für Carl. Er steht mehr auf Menschen wie Dominique.

Different worlds- ShamelessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt