Brechendes Eis

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Entsetzt schaue ich Carl an. "Mist!", rufe ich aus und weiche zurück. "Wow, hey, was dein Problem?" Er runzelt besorgt die Stirn und nimmt seine Hand von meiner Schläfe, die bis dahin geruht hatte. "Du, ich, wir... Dominique... warum?", bringe ich stammelnd hervor. "Scheiße, Dom", fällt ihm dann auch wieder ein. "Ja! Dom! Deine Freundin". Er stößt angespannt die Luft aus und lehnt sich an den Baum. "Ich kann es nicht fassen, dass ich das zugelassen habe!" Meine Stimme klingt schrill vor Panik und Abscheu. Nicht vor Carl oder dem Kuss an sich, nein von mir. Dass ich mich habe küssen lassen. Er hat mir die Chance gegeben Einspruch zu erheben und ich habe sie nicht genutzt, im Gegenteil ich habe die Augen geschlossen und mich ihm voller Erwartung entgegengereckt. "Warum, Carl? Warum?", fahre ich ihn an. "Ich dachte du bist in Dominique verliebt?" "Ich bin mit ihr zusammen, ich weiß nich, ob ich noch in sie bin", wiederspricht er und zuckt die Schultern. "Was?" Meine Stimme wird immer höher. "Ja ich... is ja auch egal, sie wird jedenfalls Stress machen, wenn sie's rauskriegt". Ich schnaube. "Darauf würde ich wetten. Und auch, dass sie eher gegen mich die Faust erheben wird, als gegen dich". Seine Miene verdüstert sich und eindringlich sieht er mich an. "Wenn sie dir auch nur ein Haar krümmt, dann mach ich ihr Probleme. Das lass ich nich zu, klar, Elodie?" Ich erlaube mir ein kurzes Lächeln. Dann zwinge ich mich, wieder ernst zu werden. "Mach dir keine Sorgen Bücherwurm", versucht er mich wieder zu beruhigen. "Ich mach mir aber Sorgen, nicht nur um mich, auch... ich meine, dass ist total unmoralisch. Du hast sie gerade betrogen, Carl". Jetzt schnaubt er und rückt sich auf dem harten Boden in eine bequemere Position. "Also, ich bin mir sowas von sicher, dass Dom mich mehr als einmal betrogen hat". Überrascht sehe ich ihm in die Augen. "Wieso bist du dann noch mit ihr zusammen?" Ein versautes Lächeln umspielt seine Lippen, die von dem Kuss noch immer rosig sind. "Weil sie gut blasen kann". "Carl!" Ich funkele ihn böse an, er entzieht sich meiner Musterung. "Nein, nicht nur deswegen, ich... ich mag sie schon aber... keine Ahnung man". Jetzt sieht er mir in die hellblauen Augen und ich kann eine Sehnsucht in seinem Blick ausmachen, die ich nie für möglich gehalten hätte. "Ich will dich auf eine ganz andere Art. Soviel mehr". Mir bleibt die Luft weg. "Man was machst du nur mit mir, Bücherwurm?" Ich lege ihm sanft eine Hand an die Wange, streichele die weiche Haut. "Eine Frage auf die ich ausnahmsweise Mal keine Antwort weiß", gestehe ich. Und dann beuge ich mich vor, und küsse ihn erneut, zuerst zögerlich, dann immer leidenschaftlicher. Fast schon, verzweifelt klammern wir uns aneinander fest, er streichelt über meine Schultern, meinen Nacken, ich vergrabe haltsuchend meine Finger in seinem Haar. Schließlich sitzen wir Stirn an Stirn und um Atem ringend da, die Augen geschlossen. "Und jetzt?", frage ich zwischen zwei Atemzügen. "Hey du bist hier das wandelnde Lexikon". "Wenn du mich wirklich willst, musst du mit ihr Schluss machen". Sein Mund formt eine gerade Linie. "Warum?" "Weil ich keine billige Affäre sein werde Carl". "Verstehe", murmelt er und ich seufze. Er schweigt. Und dieses Schweigen, bringt etwas in meinem Inneren zum splittern. Ich kann förmlich hören, wie sich Risse bilden, wie in einer dünnen Eisschicht. "Tut mir leid". Jetzt breche ich durch die Oberfläche und falle in das kalte Wasser. Ich wende mich ab, versuche die Tränen zurückzuhalten die in meinen Augen brennen und drohen herauszustürzen. "Carl ich dachte du siehst in mir mehr als nur eine deiner Mädchen. Ich dachte...". "Hey, hey". Er versucht wieder meine Hand zu nehmen, schließlich höre ich auf sie wegzuziehen, es fühlt sich einfach zu richtig an. "Elodie, das tu ich, dass musst du mir glauben, du bist keine meiner Bitches". Ich werfe die freie Hand erzürnt in die Luft. "Was bin ich dann, Carl? Warum kannst du dann nicht mit Dominique Schluss machen?" "Es... is kompliziert". Beinahe hysterisch lache ich. "Nein Carl. Mathe ist kompliziert, und selbst das verstehe ich. Erklär's mir! Wenn ich dir doch angeblich so unglaublich viel bedeute, warum willst du dann nicht mir zusammen sein, bei Dominique ist es doch kein Problem". Er seufzt müde. "Es geht doch nicht nur um Dom". Ich schüttele genervt den Kopf. "Und worum dann?" Wieder legt er seine Hände an meine Wangen und schaut mir traurig in die Augen. "Ich..." Doch seine Stimme erstirbt und er wendet sich wieder ab. "Ich glaube nicht, dass ich das bin was du brauchst", bringt er schließlich hervor, auch wenn ich mir ziemlich sicher bin, dass da noch mehr ist, was er mir nicht sagen will. "Und was, wenn ich genau das will, was nicht gut für mich ist?" Ich sehe ihn nicht an, doch spüre seinen Blick auf mir. Lieber betrachte ich wieder die Sterne. "Dom fährt weg, für drei Wochen", murmelt er. "Irgendwas Familiäres. Vorher werde ich mit ihr reden und sagen, dass es aus ist". Meine Augen weiten sich. "Wirklich?" Meine Stimme ist nun ganz leise und sanft. "Für niemanden sonst, aber...", weiter kommt Carl nicht, weil ich seinen Mund mit meinen Lippen verschließe.

Als ich abends wieder in meinem Bett liege, kann ich nicht anders, als vor mich hin zu lächeln. Mir ist klar was das bedeutet. Ich habe mich in Carl Gallagher verliebt.

Carl soll Recht behalten, Dominique kommt am nächsten Montag nicht in die Schule. Ich sehe ihn auf einer Bank sitzen, neben ihm ein paar seiner Freunde, alle mit einer Zigarette im Mund. Als er mich entdeckt, winkt er mich zu sich. Zögerlich folge ich seinem Ruf und schlendere zu der verrauchten Ecke, ein kurzes Husten entfährt mir. Er grinst darauf hin. "Elodie, meine Süße wie geht's?" Er ist eindeutig high, vielleicht sogar betrunken. "Du hast getrunken Carl oder?", frage ich streng und ignoriere die Jungs, die hinter vorgehaltener Hand über mich kichern. "Ne, nur ein Bier", murmelt er. Meine Augenbrauen schießen in die Höhe. "Aber ich hab gekifft, Süße, willst du auch?" Wehemend schüttele ich den Kopf. Er steht auf und zieht mich an sich, ich kann den Qualm von Kippen und Graß ausmachen. Trotzdem fühle ich mich sofort wohl in seinem Arm. "Jungs, das ist Elodie, meine neue Freundin", stellt er mich vor. Ich unterziehe mich der Musterung von drei Teenagern mit dunkler Haut und Tattoos. Mir ist klar, was sie von mir halten, doch, wenn Carl mich mag, ist mir das egal. Er stellt mir sie vor, doch ich vergesse die Namen sofort wieder. "Ich muss zum Unterricht", weise ich ihn zurecht. "Willst du nicht mit uns schwänzen?", fragt er. "Kommt gar nicht in Frage!" "Na gut". Er lässt mich los, doch bevor ich verschwinden kann, hält er noch meinen Ärmel fest, zieht mich nochmal an seine Brust und drückt mir einen verruchten Kuss auf die Lippen. Ich kichere, küsse ihn noch einmal flüchtig und verschwinde dann.

Different worlds- ShamelessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt