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Früher lebten die Magier auf der ganzen Welt verteilt, doch es gab zwei Orte, an denen sie sich regelmäßig trafen.
Der Ratssitz, eine riesige Halle, erschaffen durch Magie, vor den Augen der Menschen unentdeckt und nur von Magiern höheren Ranges zu betreten und der Lehrlingsstuhl, ein Zelt, das der Größe des Ratssitzes gleich kam und in dem angehende Magier darauf vorbereitet wurden ihre Kräfte zu kontrollieren und zu gebrauchen.

Bernia war eine dieser angehenden Magier. Sie hatte das 25. Lebensjahr noch nicht erreicht, ihre Kräfte waren für sie noch nicht vollständig kontrollierbar und dennoch, sie hatte große Träume, deswegen arbeitete sie hart. Härter, als die anderen Lehrlinge, denn im Vergleich zu ihnen fiel ihr ihre Gabe nicht in den Schoß.

Die Geschichte startet am Anfang, dort wo jede Geschichte beginnt, doch es ist nicht der Anfang eines Lebens, sondern der, der einen Wandel herbeiführte.

Lange schon sitzt Bernia am Tisch und sieht in die Wasserschüssel vor sich. Um sie herum ertönen immer wieder "Oh's" und "Ah's", während sie allmählich die Geduld verliert.

Sie sieht gar nichts, außer den braunen Tonboden.

"Das kann doch nicht so schwer sein", denkt sie sich, während sie immer wieder versucht ihre Konzentration aufzubauen, sich zu fokussieren und ihre Kraft zu kanalisieren, sowie es der Großmagier ihr immer sagt.
Es dauert einen Moment, da lehnt sie sich mit einem endgültigen Seufzen zurück und betrachtet die anderen Lehrlinge. Bei ihnen klappt es, sie können sehen was ihre ausgewählte Person gerade tut.

"Esinka", nennt man es. Man stellt sich eine Person vor, konzentriert sich, fokussiert sich und kanalisiert seine Kraft. Dann soll man die Person durch die Wasseroberfläche bei dem beobachten können, was sie gerade tut und scheinbar funktioniert es bei jedem, außer bei ihr.

Großartig

Ein Lachen ertönt und Bernia spürt, wie ihr eine leichte Zornesröte ins Gesicht steigt. Sie weiß genau, wer sich da gerade amüsiert. "Was?", keift sie und dreht sich um.
Elanko, der schräg hinter ihr sitzt, wischt sich gerade eine Träne aus dem Augenwinkel, während er sich den Bauch hält.
"Was?", fragt sie erneut, dieses Mal weitaus weniger laut.
"Herrlich", keucht er nur und beißt sich auf die Zähne.
"Was?"
"Du", speit er förmlich aus und Bernia wünscht sich einen kurzen Moment, er würde sich an seiner eigenen Spucke verschlucken.
Oh, sie würde es ihm gönnen, diesem Besserwisser, der in jedem Unterricht mit seinen Fähigkeiten glänzt. Sie hasst ihn dafür, auch wenn sie ihn eigentlich liebt.

"Warum hast du mich gewählt, wenn du sowieso sehen kannst, was ich tue?"
Er grinst, "Ich kann nur deinen Rücken sehen, nicht aber dein Gesicht und Wahnsinn, ist das herrlich mit anzusehen."
Er lacht erneut, was Bernia dazu bringt sich umzudrehen und "blöder Trottel" zu murmeln.

Erleichtert, dass der Unterricht bald ein Ende finden wird, verbringt sie die restliche Zeit damit in die Luft zu starren. Sie lernt eh lieber für sich alleine und das macht sie jedes Mal nach dem Unterricht. Jedes Mal, wenn ihre Versuche nicht von Erfolg gekrönt waren. Sie kann sich in der Stille sowieso viel besser konzentrieren, weit ab von dem Geschnatter der anderen, die ihre Erfolge in die Welt hinausschreien, als hätten sie diese gerade gerettet.
Ansehen wird groß geschrieben, doch Erfolg noch viel größer.

Nach dem Unterricht begibt sich Bernia dorthin, wo sie in all dem Tumult ein wenig Ruhe findet. Auf ihren kleinen Felsen, nicht weit weg vom Zelt, doch weit genug, um die anderen Lehrlinge nur noch als monotones Rauschen wahrzunehmen.

Das Zelt befindet sich inmitten einer kargen Wüste, deren Sandlandschaften nur gelegentlich von Felsen durchbrochen werden. Auf einem kleineren dieser Sorte sitzt nun Bernia mit ihrer Wasserschüssel.
Sie schließt die Augen, konzentriert sich und spürt eine ganz Zeit lang nichts, außer feine Sandkörnchen, die vom Wind getragen, ihre Haut berühren.
Bernia konzentriert sich noch mehr, blendet alles um sich herum aus, stellt sich ihre Mutter vor.

Zunächst ihre welligen braunen Haare, dann ihre blauen Augen, die kleine Stupsnase und ihre schmale Figur. Es ist, als würde Bernia sich sich selbst vorstellen, denn ihre Mutter und sie gleichen sich bis auf die Nase. Leider hat Bernia diese nicht geerbt, stattdessen die von ihrem Vater, der sie damit aufzieht.
Eine Fee mit einem Zinken, sagt er immer.

Bernia vertreibt den Gedanken und fokussiert sich auf das Bild ihrer Mutter.
Sie spürt die Kraft an sich, wie sie anfängt in ihren Adern zu pulsieren. Sie ist erwacht. Bernia muss nur nach ihr greifen und...

"Hier bist du also wieder!", ertönt eine laute Stimme nahe ihres Ohres und im nächsten Moment spürt sie eine schwere Hand auf ihrer Schulter.

So abrupt wie ihre Magie erwacht ist, so abrupt verabschiedet sie sich auch wieder. Stattdessen erwacht nun etwas anderes in ihr. Glühend heißer Zorn.
Mit einem Schrei springt sie auf, stößt dabei die Schüssel um, sodass sich der Inhalt auf den Felsen ergießt. Einen Moment blickt sie herab, betrachtet das Wasser, wie es in Rinnsalen das Gestein hinabläuft und dann in den Sand tropft.

Ihrem Mund entkommt hektischer Atem. Sie wirbelt herum und greift nach dem Kragen von Elanko.
Während sie ihn schüttelt, heult sie: "Was fällt dir ein? Wie konntest du das tun? Du elender, mieser..."
"Hey, hey, hey", bringt er überrascht hervor, während sein Kopf hin und her schaukelt.
Kurzerhand befreit er sich aus ihrem Griff und sucht Sicherheitsabstand.
Kapitulierend hebt er die Hände und geht noch ein paar Schritte zurück, bis er im Sand steht.

Bernia sieht aus wie eine Kriegerin. Noch immer steht sie auf dem Felsen, die Sonne in ihrem Rücken, die Haare im Wind fliegend, die Hände zu Klauen geformt und in ihrem Gesicht steht die blanke Wut.
Sie atmet schwer, als sie langsam auf ihn zugeht.
"Ich bringe dich um", knurrt sie und macht einen weiteren Schritt.

"Wir müssen doch nicht gleich zu solchen Mitteln greifen", entgegnet Elanko, dem der Schweiß auf der Stirn steht. "Sieh mal, ich wollte nur wissen, ob du etwas essen möchtest. Das ist ein guter Gedanke, der es nicht verdient hat mit dem Tode bestraft zu werden", plappert er vor sich hin, genau wissend, was ihm droht.
"Ich esse schon, wenn mir danach ist", knurrt sie und den letzten Meter überbrückt sie im Sprung.

Ihr ganzes Gewicht knallt gegen ihn und er überrascht davon, fällt um wie ein Baum. Dank des Sandes landet er weich.
Funkelnde Augen blicken auf ihn herab und wenn man die beiden so sehen würde, könnte man nicht glauben, dass es gerade um Leben und Tod geht.

"Ich habe es fast geschafft", keucht Bernia über ihm.
"Und du wirst es wieder fast schaffen", antwortet er und beißt sich im nächsten Moment in die Zunge. Er stöhnt innerlich, er konnte aber auch einfach nicht seinen Mund halten.
Bevor Bernia ansetzen kann, ihn zu erwürgen, neigt er ihr seinen Kopf entgegen bis ihre Lippen sich treffen.

Innerhalb weniger Sekunden verraucht Bernias Wut und sie gibt sich dem Gefühl hin, das jedes Mal ihren Bauch kribbeln lässt, wenn sie einander so nah sind.
Lange liegen sie einfach nur da, während ihre Zungen ein langsamen Tanz vollführen, der zeigt was sie auch füreinander empfinden können.
Keuchend löst sich Bernia von ihm. Elanko lässt seinen Kopf wieder auf den Sand fallen und sieht sie von unten siegessicher an.

"Du spielst mit unfairen Mitteln", flüstert sie und legt den Kopf auf seine Brust.
"Und du mit übertriebenen", antwortet er und Bernia spürt bei jedem Wort das sanfte Vibrieren an ihrem Ohr.
"Ich wollte es einfach schaffen. Dir fällt es so leicht und mir..."
Sie lässt den Satz offen.
Elanko seufzt und legt seine Hand auf ihren Kopf. Sanft beginnt er ihre Haare zu streicheln.
"Du schaffst es auch. Du lernst eben einfach anders, als die anderen. Das ist nicht schlimm. Hätte ich dich nicht gestört, hättest du es auch geschafft."
Da ist er sich sicher, auch wenn Bernia das anders sieht.

Sie will gerade etwas erwidern, als ein bebendes Donnern sie erschrocken hochfahren lässt.
"Was war das?", fragt sie atemlos und dreht sich in die Richtung, aus der es kam. Auch Elanko setzt sich auf.
Gemeinsam blicken sie in die Ferne und sehen eine riesige schwarze Wolke, die immer größer zu werden scheint.
In ihr blitzt es, als wüte dort ein Gewitter.
Es sieht so aus, als sei sie vom Himmel gefallen, denn sie schwebt nur wenige Meter oberhalb des Bodens.
Doch das ist nicht das merkwürdigste an ihr. Nein, das merkwürdigste ist, dass sie sich ausbreitet und dabei immer größer wird.

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