Kapitel 10 ~ Hilflos

42 7 21
                                    

Blitze zucken über den Himmel, genau in dem Moment, als Linea das Tor zu dem westlichen Teil der Stadt erreicht

Hoppla! Dieses Bild entspricht nicht unseren inhaltlichen Richtlinien. Um mit dem Veröffentlichen fortfahren zu können, entferne es bitte oder lade ein anderes Bild hoch.

Blitze zucken über den Himmel, genau in dem Moment, als Linea das Tor zu dem westlichen Teil der Stadt erreicht.
Bereits aus der Ferne konnte sie seine imposante Erscheinung ausmachen, nun wo sie ihm direkt gegenüber steht, erfasst sie so etwas wie Unglauben. Es ist unheimlich hoch, höher als jedes Haus in der unmittelbaren Umgebung.
Es wirkt wie das Maul einer Kreatur, nur darauf wartend seine ahnungslose Beute zu verschlingen.

Das Tor besteht aus zwei massiven Flügeltüren. In den anthrazitfarbenen Stein wurden majestätisch aussehende Krähenköpfe eingeschlagen. Es wird von je zwei Feuersäulen gesäumt, die vom Boden hinauf reichen und bei denen eindeutig Magie im Spiel ist. Kein Feuer würde so gelenkt brennen, stattdessen würde es zu allen Seiten ausschlagen, sich seinen Weg suchen und dabei nichts als Asche und Rauch zurücklassen. Doch hier, hier ist weder das eine noch das andere zu sehen, nichts dergleichen, nur die unnatürlich langen Flammen.

Die Türen sind offen und geben den Blick auf etwas frei, das Linea so in der Form hier nicht erwartet hätte.
Sie erblickt einen Wald, doch dieser Wald ist anders, als alle Wälder, die sie jemals sah.
Die Bäume sind eher spindeldürre Gebilde, ohne Blätter, dafür mit unzähligen feinen Zweigen, die ineinander greifen. Es wirkt fast wie eine zweite Mauer, die als Barriere zum Rest der Stadt dient. Doch das ist noch nicht das merkwürdigste. Diese dünnen, schwarzen Zweige scheinen sich zu bewegen, als sei ihnen Leben eingehaucht worden, als würden die unzähligen Bäume gemeinsam atmen.

Ein Schauder läuft Lineas Rücken hinab, als ihr klar wird, dass sie dort durchgehen muss. Hinein muss in diesen unnatürlichen Wald. Sie strafft die Schultern, reckt das Kinn und geht langsam auf die Flügeltüren zu. In ihrem Magen formt sich mit jedem weiteren Schritt ein Stein, der je näher sie dem Spindelwald kommt schwerer und größer wird.
So schwer, dass sie kurz vor dem Geäst stehen bleiben muss. Sie ist nun so nah dran, dass sie nicht mal die Hand ausstrecken müsste, um die Zweige zu berrühren.

Linea atmet tief ein, will gerade den nächsten Schritt machen, da hört sie links hinter sich ein Geräusch.
Sie hat kaum genug Zeit zu realisieren, was das für ein Geräusch gewesen ist, da ertönen schnelle dumpfe Töne hinter ihr. Schritte...
Sie dreht den Kopf, will wen auch immer ansehen, zur Not auch abwehren, doch bevor sie zu etwas davon in der Lage ist, spürt sie schon einen Schlag.
Kurz entflammt Schmerz, doch dieser verflüchtigt sich schon wenige Sekunden später. Sie taumelt, als die Schwärze sie umarmt wie eine Mutter ihr neugeborenenes Kind. Linea wird in einen Schlaf gewiegt, in dem sie weder sehen, hören noch fühlen kann.

Ihr Körper sackt zusammen, fällt ungebremst zu Boden und bleibt dort regungslos liegen.

~•~

Stille liegt über dem alten Kellergewölbe, in das man die junge Frau brachte.
Der Boden ist sandig, die Wände bestehen aus nacktem Stein und im ganzen Raum verteilt ragen Stützbalken zur Decke empor. Spinnenweben hängen herab und Staub liegt auf den Überbleibseln vergangener Tage.
Ein altes Klavier, das bereits die meisten seiner Tasten verloren hat, wird von der grauen Schicht bedeckt, sodass kaum noch sein schwarzer Glanz erkennbar ist. Weiter rechts steht ein nussbrauner Schrank, dessen Regalbretter vertikal an der Wand lehnen und von Kratzern sowie Alter zerfressen sind.
Die einzige Lichtquelle besteht aus Gaslampen, die verteilt im Raum auf dem Boden stehen.

Ansonsten befindet sich nichts mehr im Kellergewölbe, außer die junge Frau, die an einen Stuhl mit Armlehnen gefesselt worden ist. Die Fesseln bestehen aus silbernen Ketten, die unnatürlich hell glänzen, als würden sie von der Sonne beschienen werden.
Ihr Kopf ist nach vorne geneigt, die schwarzen Haare hängen vor ihrem Gesicht und nur das stetige Heben ihres Brustkorbes lässt darauf schließen, dass sie noch lebt.
Blut sickert aus einer Wunde an ihrer Schläfe und tropft ungehindert zu Boden. Eine kleine Lache hat sich bereits an einem Stuhlbein gesammelt.
Das einzige Geräusch, das die Stille durchbricht, ist das konstante Tropfen.

Lineas Kopf fühlt sich schwer an. Nur langsam erwachen ihre Sinne wieder, zuerst ihr Geruchssinn. Modrige Luft steigt in ihre Nase, es riecht alt, kalt und verfault.
Die Luft ist derart drückend, dass ihr das Atmen schwer fällt. Sie hustet.
Langsam hebt sie den Kopf und spürt sogleich einen Blitz durch ihren Nacken fahren. Sie zischt und im nächsten Moment erfüllt ihr Stöhnen den Raum.
Ihre steifen Glieder beginnen zu prickeln, als sie ihre Hände und Füße bewegt. Doch abgesehen von Scharren und dem Ballen der Hand ist ihr Bewegungsspielraum eingeschränkt.
Sie versucht den Arm zu heben, doch er wird an Ort und Stelle gehalten.
Blinzelnd öffnet sie die Augen und sieht sich um. Zunächst fällt ihr Blick auf den sandigen Boden, dann schweift er durch den Raum und zuletzt bleibt er an ihren Fesseln hängen.

Sie braucht einen Moment, um zu realisieren was geschehen ist und als die Erkenntnis, dass sie nicht aus freien Stücken an diesem Ort ist, in ihr Bewusstsein dringt, spürt sie wie ihre Gedanken beginnen Karussell zu fahren.

Wo bin ich? Warum bin ich hier? Wer hat mich hierher gebracht?
Sind nicht wenige dieser Gedanken und je länger sie Zeit hat sich Gedanken zu machen, desto unruhiger wird sie.

Linea beginnt wie wild an ihren Fesseln zu zerren, versucht ihre Arm drunter durchzuschieben und am Ende aller mühseliger Versuche, probiert sie sich mit ihrer Magie aus dieser Lage zu befreien. Dann passiert etwas merkwürdiges. Als Linea in sich hinein spürt und ihre Kräfte anrufen will, spürt sie wie die Fesseln um ihre Arme plötzlich heiß werden. Wie Feuer brennen sie sich in ihre Haut. Ein Schrei dringt aus ihrer Kehle, als der Schmerz sich durch ihr Fleisch frisst. Ihre Konzentration löst sich auf und mit ihm das Brennen an ihren Unterarmen.
Sie japst laut auf, atmet hektisch.

Der Schmerz ist so schnell gekommen wie er auch wieder gegangen ist. Linea wird heiß und kalt, als ihr klar wird, dass er mit dem Wirken der Magie eintritt. Doch ohne Magie wird sie sich nicht befreien können und diese Erkenntnis löst nicht nur einen bitteren Geschmack in ihrem Mund aus, sondern auch bodenlose Hilflosigkeit.

Sie ist wem auch immer vollkommen ausgeliefert und als wäre dieser Gedanke eine stille Einladung erklingen hinter ihr gemächliche Schritte.


The Crows Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt