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"Verdammt aber auch", knurrt Heran und zieht erneut an der Kette, die seine Handgelenke unmittelbar mit der Wand verbindet. Seine Schulter fühlt sich schon ganz wund an. Es könnten Minuten oder auch Stunden sein, in denen er genau mit dieser an dem kalten Stein lehnt und jedes Mal, wenn er den Versuch startet sich zu befreien, reibt genau diese Stelle über die raue Oberfläche. Als würde seine Haut Ebene für Ebene abgetragen werden.

"Das ist sinnlos", murmelt Firora, die mit Kieran an der gegenüberliegenden Wand hockt und mit Ketten, die die magischen Kräfte unterbinden, handlungsunfähig gemacht wird.
"Besser als tatenlos rum zu sitzen", murrt Heran und zieht erneut an seinen Fesseln. Es klirrt, doch das ist auch das einzige, was er mit seinen Versuchen bewirkt.

Zeit ist in dem Kerker der Crows nichts greifbares. Als Firora die Augen aufgeschlagen hat und den einen Teil ihresgleichen in Vielzahl spürte, war ihr direkt klar, wo sie sich befinden. Trotzdessen, dass ihre Erinnerungen erst viel später eingesetzt haben.

"Was machen wir jetzt?", erklingt Merine's Stimme zart in der dämmrigen Dunkelheit. Nur das kleine Fenster in der massiven Holztür, durch die sie geschleppt worden sind, lässt gerade genug Licht hereinfallen, dass sie die Umrisse ihrer Mitstreiter erkennt.

Es antwortet ihr Stille. Ungewöhnliche Stille, denn normalerweise hat zumindest einer von ihnen immer einen Plan.
Sie will gerade erneut ansetzen, da antwortet ihr Firora: "Ich weiß es nicht."
Merine reißt die Augen auf.
Damit hat sie nicht gerechnet. Ihrem Mund entweicht ein überraschter Ton.
Firora hat immer eine Antwort, doch hier scheint sie genauso hilflos zu sein wie Merine sich fühlt.
Eine bodenlose Angst breitet sich in ihr aus.

Was die Crows wohl mit ihnen machen werden? Sicherlich nichts gutes und sicherlich etwas, bei dem der Tod wünschenswert ist. Ihr wird übel.

"Die bessere Frage ist doch, warum sie von uns wussten?"
Heran stellt seine Versuche ein.
"Sie haben uns erst überfallen, nachdem Linea ins Nest gegangen ist..." Er lässt den Satz offen nachklingen und schiebt düster hinterher: "Ein merkwürdiger Zufall."

"Nun bin ich froh, dass Aorian mit ihr ging", flüstert Merine hoffnungslos, "So ist er nicht hier und hat eine Chance zu entkommen. Hätte er auf mich gehört, wäre er..." Ihr versagt die Stimme. Trauer schwang in ihren Worten mit. Eine Trauer, die darin begründet liegt, ihren Sohn nie wieder sehen zu können.

Heran schüttelt den Kopf und blickt die übrigen beiden Umrisse an.
"Findet ihr das gar nicht merkwürdig?", fragt er fordernd.

Kieran seufzt. "Sie ist es nicht. Ich habe jeden Winkel ihres Geistes durchsucht, Heran."
"Vielleicht ist deine Gabe auch nicht mehr das, was sie mal war", gibt er zähneknirschend zurück. Mit einem Zufall kann und will er sich nicht zufrieden geben. Er spürt es in seinem Urin, der seine Blase bereits seit einiger Zeit reizt.

Plötzlich ertönen schwere Schritte. Firora blickt auf, Kieran tut es ihr gleich.
"Spürst du es?", fragt sie an ihn gewandt. "Du auch, ja? Es ist keine Einbildung?"
Firora schüttelt den Kopf, während Heran und Merine fragend in die Dunkelheit sehen.
"Was? Was spürt ihr?", flüstert Heran, als die Schritte sich von ihrer Tür entfernen.

"Eine Dove", antwortet Kieran.

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Bernia geht den Gang entlang. Vor ihr schwebt, wie von unsichtbaren Händen getragen, der leblos wirkende Körper ihrer Tochter.

Sie hat sich das Gespräch mit ihrer Tochter ein wenig anders vorgestellt, vorallem den Ausgang. Doch Elanko nahm seine Impulsivität erneut zum Anlass ihr zu beweisen, dass sie ihr Ziel um jeden Preis erreichen müssen.

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