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Der Tunnelausgang hat zu einem Gefälle geführt, das sie emporkrakseln mussten, um am Ende in einer kleinen Höhle, mit einer unfassbar niedrigen Decke, heraus zu kommen.
In der Hocke haben sie diese hinter sich gelassen und als sie wieder aufrecht stehen konnten, hat sich ihnen ein dichter Wald eröffnet.

Einige Bäume wirken so, als seien sie Jahrhunderte alt. Ihre riesigen, ausladenden Baumkronen strecken sich dem Mond entgegen, als bettelten sie ihn an noch heller zu strahlen, ihnen noch mehr Licht zu schenken. Ihre dünnen Ärmchen sind kahl. Kein einziges Blatt befindet sich an ihnen. Sie wirken wie tot oder auf dem besten Weg dahin.

Linea hat geglaubt, dass das Viertel der Crows nur aus den Bauten besteht, doch dem ist nicht so. Es ist wie ein eigenes kleines Land, eine eigene kleine Welt.

Der Mond leuchtet hell am Himmel, der sich über das Viertel spannt wie ein Zelt. Trotzdessen, dass es eigentlich Tag ist, werden die imposanten Bäume von Dunkelheit umhüllt. Nur schwach schafft es das Mondlicht sich gen Boden zu kämpfen und alles in der näheren Umgebung unter einen weißen Schleier zu legen.

"Ach Verdammt", flucht Merine und sieht sich um.
Aorian, der gerade aus dem Ausgang klettert, tupft sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn.

"Was ist los?"
Auch Heran sieht sich um, dreht sich dabei einmal um sich selbst.
Merine fasst sich an die Stirn, reibt daraufhin ihre Wangen und gibt ein langgezogenes Stöhnen von sich.
"Das ist unmöglich. Sie haben es nie in so kurzer Zeit getan."

Linea ahnt, worauf Merine hinaus will und wird prompt von ihr bestätigt.
"Wir hätten nahe den Unterkünften bei der Mauer herauskommen müssen. Bei meinem letzten Rundgang befand sich genau da die Höhle und nicht hier!" Sie streckt die Arme von sich und zeigt auf den Wald.

"Ist das jetzt ein Problem?" Linea will es nicht so recht verstehen. Immerhin wissen sie, dass die Crows Teile ihres Viertels immer wieder neu umsetzen. Da sollte die Überraschung nicht all zu groß sein.

"Oh... Ja", stöhnt Merine, "Wir sollten umkehren. Wir haben keine Kenntnis mehr wo wir lang müssen."
Auch Heran sieht zweifelnd aus, während in Aorian die Zuversicht zu wohnen scheint. Er legt seine Hand auf die Schulter seiner Mutter.
"Beruhig dich", murmelt er, "Das ist nun zwar unerwartet, aber was kann man bei den Crows überhaupt erwarten?"

Merine seufzt und täschelt die Hand ihres Sohnes, "Du hast recht. Tut mir leid."
"Ihr müsst die Karten doch sowieso neu skizzieren, dann können wir das Eine doch mit dem Anderen verbinden", schaltet sich Linea ein, die zuvor nichts konstruktives zu der Konversation beigetragen hat.

"Wir sind zu viele und durch unsere Unwissenheit viel zu auffällig. Das ist zu gefährlich", antwortet Merine und schüttelt den Kopf, "Das geht nicht."

"Es ist sowieso gefährlich", erwidert Linea ungehalten, "Ich habe keine Zeit zu warten bis ihr neue Karten anfertigt. Entweder gehen wir gemeinsam oder ich gehe alleine."
"Das geht nicht. Das ist nicht gut. Das...", murmelt Merine vor sich hin und beginnt ihren Nasenrücken zu massieren. Aorian macht einen Schritt von seiner Mutter weg und beugt sich ein wenig herab, sodass er, obwohl sie gen Boden sieht, in ihr Gesicht blicken kann.
"Geht zurück und wartet Firoras Meinung ab. Ich gehe mit Linea, dann sind wir schon ein paar weniger."

Merine sieht schlagartig auf. Die Hand, die bis eben ihren Nasenrücken massiert hat, packt nun das Handgelenk ihres Sohnes. Mit lodernden Augen sieht sie ihn an.
"Auf gar keinen Fall!" Jedes einzelne Wort wird von ihr scharf betont, als müsse sie extra langsam reden, sodass deren Inhalt auch bei Aorian ankommt.

"Also ich..." Heran meldet sich, als wolle er nicht einfach so das Gespräch der Beiden unterbrechen, "halte das auch für keine gute Idee." Doch seine Worte kommen bei dem Mutter-Sohn-Gespann nicht an. Es ist, als umgebe sie eine unsichtbare Barriere, die dafür sorgt, dass sie nur einander wahrnehmen und so auch nicht mitbekommen, dass Linea sich gerade abwendet und in den Wald marschiert.

The Crows Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt